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Stöbers Greif schrieb am 31.8. 2000 um 21:39:50 Uhr über

Urlaub

Eine Blaster-Userin macht Urlaub in einer kleinen südfranzösischen Stadt. (Stimmungsskizze)

Als L. aus ihrem Hotel trat, fiel die Nacht in die engen Gassen des alten Hafenviertels, und die Fledermäuse erwachten. Sie stießen blind und als wären sie tote Steine, abgeschnellt von der Schleuder eines Knaben, gegen Türpfosten, Drähte und Wäscheleinen, welche die höchsten Fenster gegenüberliegender Häuser verbanden, zarte Brücken nachbarlicher Freundschaft. Der Gesang der Stolperfische hatte sie melancholisch, wohl auch ein bißchen verrückt gemacht.

L. kickte einen Paperball über die flache Mauer eines Gartens. Ein opaler Schimmer hinter den Häusern versprach nach kurzer Weile einen silbernen vollen Mond. Indessen erglommen schon die Laternen, um die sich die schwarzen Schwären lichtflüchtiger Mücken sammelten, erregte Gäste zu einem fröhlichen Fest. Um alle Misthaufen schlichen die suchenden Raben, die schnüffelnden Hunde, und aus den Löchern der Kanäle huschten die Ratten und Mäuse, ihren gefährlichen Feinden ganz nahe und wie von Engeln vor dem Tode bewahrt. Die armen Häuser entzündeten ihre armen Lichter. Man konnte die dunklen Möbel sehen, die Männer in Hemdärmeln, die Frauen in Schürzen, Teller aus Zinn.

Schon kamen in die Kneipen die ersten Gäste, Matrosen von den Schiffen und Soldaten aus den Kasernen, in Rudel gebündelt wie Sträuße und voneinander so wenig verschieden wie ein Gürteltier vom anderen. Noch standen in den Fächern hinter dem Schanktisch die Gläser in blitzenden Reihen, und die Stühle waren noch unberührt und die Marmorplatten nüchtern. Die Musikanten kamen mit den dunkel verhüllten Instrumenten und schälten Geigen und Klarinetten aus dem Schlaf.

Der Lärm dieses Abends war noch jung und erinnerte L. an das Freudengeheul eines Bergelchs. Aber schon fühlte man, wie er wuchs. Doch er blieb ein Fremder in diesem Viertel, eingedrungen in die Majestät der Armut und der Trauer.

In das Tanzlokal »Läufyger Bryckenesel« schüttete die Gasse fortwährend neue Gäste. Matrosen, Neger, Mongolen, Inder, Frauen wie späte Sommer, junge Mädchen wie Birken im Frühling. Unaufhörlich spielten die Musikanten, von ihrem Kapellmeister nicht dirigiert, sondern getrieben, denn er führte seinen Taktstock wie man eine Peitsche über Sklaven schwingt. Es wurde heißer und lauter, die Beleuchtung wechselte, das Zimmer schwamm in Blutrot, Orangegelb und Flaschengrün.

Ein Greis verkaufte Ansichtskarten. Man litt ihn nicht, dennn er war wie die Zukunft vieler junger Männer, die hier tanzten. Auch sie würden einmal Ansichtskarten verkaufen. Alle dreißig Jahre wandern andere Hausierer von Tisch zu Tisch, dachte L. Die heute hausieren, haben vor dreißig Jahren noch getanzt. Die damals noch hausierten, sind heute verschollen...


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