Gerade vom Sofa aufgestanden, den Tagschlaf noch angenehm dumpf in den Gliedern. Jacke übergeworfen (es ist ja kein Sommer draußen) und zum kleinen Penny-Markt spaziert, da noch ein wichtiges Frühstücksutensil für den nächsten Morgen fehlte. Der Schlaf war traumlos, komatös gewesen. Nicht bemerkt, überhaupt eingeschlafen zu sein als das Telefon zur angedachten Weckzeit klingelte: Eine Stunde, die es für mich nicht gegeben hat.
Hinaus in die Wirklichkeit, auf die Straße. Menschen. Geräusche, Gerüche. Das schwere Grün der Bäume drängt wie Gewitterwolken. Graudiesig die Atmosphäre.
Nichts ist echt. Alles nur Beispiel, Option. Mein Geist ist weit geöffnet, läßt es sich gefallen, daß die so genannte Welt durch ihn hindurchrauscht. Doch sie bewegt ihn nicht. Er ruht in ihr wie ein Fischlein, das im Strome zu stehen scheint.
Alles, alles nehme ich wahr, aber nichts drängt sich auf. Es ist, als würde ich ein Kunstwerk betrachten.
Die Menschen sind besonders interessant. Ihre klaren Augen. Ihre seltsamen Gesichter, so unbeholfen geformt als sagten sie: Ich kann nichts dafür.
Die Menschen tragen Hosen, Schuhe, Jacken, aber sie sind nackt, sie sind menschlich. Ihre Muskeln, ihre Herzen, ihre Fingernägel: Alles prasselt auf mich ein, an mir vorbei.
Sie tun mir leid.
Im Penny-Markt eine hoch gewachsene Schönheit, die sich wundert, warum der Leergut-Automat ihre Bierflasche nicht annimmt, solange, bis sie ein vorbeischlendernder Türkischer Mitbürger auf das Schild aufmerksam macht, das am Automaten angebracht ist: Keine Glasflaschen. 5,68 Euro soll ich an der Kasse zahlen, ich finde zwei, fünfzig, siebzig, bekomme einen glänzenden Kupferzweier zurück. Die Hochgewachsene ist nach mir dran und muß 7,13 Euro bezahlen, sie hat eine Riesentüte Paprika, Zucchini, grüne Gurken. Ihre Augen sind viel zu stark geschminkt, finde ich.
Auf dem Heimweg reiht sich eins ins andere, die Welt scheint kurzzeitig sinnvoll zu sein. Das heißt: Die kleine dunkle Katze, die da gerade um ein parkendes Auto schleicht, hat ihren Sinn, ihre Aufgabe. Ich habe meinen Sinn, meine Aufgabe.
Alles Denken webt sich strukturiert. Ein bekanntes Gefühl, ein ewiges Gefühl. Im Kindergartenalter hatte ich es schon. Und später. Ein vertrautes Gefühl.
Traumtänzer haben sie mich oft genannt. Wenn ich wiedermal nicht mitbekommen hatte, daß ein Erwachsener mit mir sprach. All die Sprüche, die sie sich meinethalben einfallen lassen haben:
Wenn du nicht kopfrechnen kannst, wird aus dir nichts werden. Mit Träumen kommst du nicht weit. Junge, wach mal auf! Schlafmütze. Der ist schwer von Begriff. Mitdenken, nicht träumen! So wird das nie was. Und du willst mal einen Schulabschluß machen? Du wirst dich noch umgucken, mein Freund! Du bist ein Traumtänzer.
Ja. Umgeguckt habe ich mich immer noch nicht. Das Leben sorgt dafür, daß mir alles Entgegenkommt, was für mich bestimmt ist. Mittlerweile habe ich mehr erreicht als sie alle, als all die Sprücheklopfer. Ohne Kopfrechnen - das kann ich immer noch nicht. Wozu auch?
Ohne Mitdenken: Mir reicht es, wach zu sein, wenn Entscheidungen anstehen. Schwer von Begriff immer. Ich habe andere Kanäle.
Das Leben holt mich wieder ein mit seiner Langweiligkeit. Die Waschmaschine ist gerade fertig geworden. Was ist so schlimm daran, ein Traumtänzer zu sein?
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