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3. Da ein von Vernunft u. freiem Willen unberührtes sinnl. Triebleben der Eigenart des Menschen als sittl. Wesens nicht entspricht, ist es sittl. Aufgabe des Menschen, sein Triebleben gemäß der von der Vernunft erkannten sittlichen Ordnung willensmäßig entscheidend selbst zu regeln. Das Ziel ist nicht die Auslöschung des sinnl. Begehrens, sondern die Umwandlung des dem Willensentscheid voraus gehenden Begehrens in ein ihm nachfolgendes (concupiscentia consequens) u. von ihm beeinflußtes. Der Einfluß des Willens kann sich darauf erstrecken, daß eine s. R. durch ihn hervorgerufen od. bei ihrem selbständigen Auftreten bejaht wird. Durch diesen Einfluß wird die s. R. willentl. (sittl.) u. je nach ihrem Verhältnis zur sittl. Ordnung als gut od. böse anrechenbar (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 1,2 q.77 a.6; CICC. 2206). Sie bindet dann zwar mehr an das folgende Tun, aber weil der Mensch selbst es so will.
Das Ziel der verantwortl. Regelung des Trieblebens durch den Menschen ist nicht der leidenschaftslose Mensch, der überhaupt keine s.n R.en mehr kennt. Da sich diese Regungen aus einer wirkl. im Menschen vorhandenen Seinsschicht naturgemäß ergeben, würde dem Menschen, in dem alle s.n R.en erstorben sind, etwas am vollen Menschsein fehlen. Das Ziel kann natürl. auch nicht ein Triebleben sein, das der Wille zwar im Griff hat, das er aber anders steuert, als die von der Vernunft erkannte rechte Ordnung es verlangt. Das Ziel muß vielmehr ein vom Willen gemäß der durch die Vernunft erkannten sittl. Ordnung geformtes Triebleben sein (vgl. 2. Vat. Konz., GS 17). Derart geordnete Regungen finden sich auch bei Christus: »Und er blickte sie ringsherum zornig an, betrübt über die Verhärtung ihres Herzens« (Mk 3,5). » Er begann zu erschauern u. zu zagen u. sprach zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis in den Tod« (Mk 14,33 f). »Der Herr, der sich herabließ, ein Knechtsleben zu führen, ließ menschl. Empfindungen zu, wo er es für gut fand; denn in ihm, der einen wahren menschl. Leih u. eine wahre menschl. Seele besaß, gab es auch wahre menschl. Regungen« (Augustinus, De civ. D. XIV 9; vgl. Hieronymus, Com.in Mt IV ad 26,37; PL 41,415; 26,197; Thomas v. Aq., S.Th. 3 q.15 a.4).
Zur Regelung des sinnl. Trieblebens durch den Willen gemäß der sittl. Ordnung stehen drei Wege zur Verfügung:
a) Der Wille hindert das sinnl. Begehren an der Ausführung seines Verlangens (Weg der Versagung). Die dem Willen widerstrebende Sinnlichkeit besteht dabei weiter u. wird vom Willen nur unter Druck gehalten. Dieser Weg kann jedoch nur ein Notbehelf sein, der gegenüber einer Triebübermacht für kurze Zeit angewandt wird, solange sie für die Lenkung durch den Willen noch nicht reif geworden ist. Die unmotivierte Triebversagung ist keine Dauerlösung, da sie die Gefahr schafft, daß der verdrängte Trieb eines Tages gegen den Willen durchbricht od. daß es zu einer seelischen Verkrampfung (Neurose) kommt.
b) Der Wille strebt intensiv dem der Vernunft als richtig erkannten Ziel zu u. richtet sich damit auf ein anderes Objekt als das Verlangen des sinnl. Triebes. Diese intensive Bewegung der höheren Kraft greift auf die niedere über u. zieht sie mit. Außerdem wird durch die intensive Betätigung des höheren Vermögens dem niederen die psychische Energie entzogen (alle Seelenvermögen sind durch ihre Verwurzelung in dem einen Seelengrund miteinander verbunden). Dieser Weg der rechten Ökonomie der Seelenkrafte (S. Freud u. C.G. Jung sprechen von einem Gesetz der Ökonomie der psychischen Energie) besteht also in der Bindung der psychischen Energien durch geistige lnteressen. Auch er kann nicht voll befriedigen. Seine ausschließl. Beschreitung müßte zur Verkümmerung der zum Sein des Menschen gehörigen sinnl. Schichten u. damit zur Schmälerung der Persönlichkeitsentfaltung führen.
c) Daher muß sich mit diesem Weg jener der Motiveinsicht verbinden. Die Sinnlichkeit richtet sich immer nur auf Teilausschnitte der menschl. Bedürfnisse, die Vernunft dagegen kann die Gesamtinteressen des Menschm überblicken. Wenn die Vernunft aufzeigt, welches Verhalten des sinnl. Begehrens die Gesamtinteressen des Menschen verlangen, bietet sie damit dem sinnl. Begehren ein Motiv für die Unterordnung der Teilinteressen des Triebes unter die Gesamtinteressen des Menschen. Dadurch kann erreicht werden, daß die Sinnlichkeit, weil sie auf ihre Sinnhaftigkeit innerh. des gesamtmenschl. Seins angesprochen u. dafür aufgeschlossen wird, sich der Führung durch den vernunfterleuchteten Willen fügt. Die Sinnlichkeit des Menschen hat eben dadurch, daß sie einem Menschen angehört, einen anderen Charakter als die des Tieres. Das Tier verhält sich mit erstaunl. Sicherheit in seiner Triebbetätigung richtig. Es erfaßt anscheinend, welche Betätigung seiner Natur u. ihrer Grundausrichtung (appetitus naturae) entspricht u. welche nicht. Die Fähigkeit, Einklang od. Widerspruch eines Verhaltens mit der Natur zu erfassen, nennt man sinnl. Instinkt (Thomas v. Aq., S.Th. 1 q.78 a.4: »vis aestimativa« ). Für den Menschen genügt nicht ein sinnl. Instinkt zum Erfassen, ob eine Triebbetätigung seiner Natur entspricht od. nicht. Seine Sinnlichkeit ruht ja nicht in sich selbst, sondern ist in der umfassenden Ganzheit seines geistig-sinnl. Wesens beheimatet u. findet in dieser ihren Sinn. An der Feststellung dessen, welche Triebbetätigung dieser Gesamtnatur u. ihrer Grundausrichtung (app. nat.) entspricht u. welche nicht, muß die geistige Erkenntnisfähigkeit beteiligt sein, die imstande ist, die Interessen dieser Gesamtnatur allseitig zu beurteilen; so spielt für den Mensdhen die Vernunft die Rolle eines geistigen lnstinkts (Thomas v. Aq., S.Th. 1 q.78 a.4; » vis cogitativa« od. »ratio particularis«), für den seine im Vergleich zu der des Tieres weit instinktunsicherere Sinnlichkeit offen ist u. dessen sie zur richtigen Betätigung bedarf. Eben desh. ist es auch mögl., daß der sinnl. Instinkt des Menschen, der auf Teilinteressen geht, sich dem geistigen Instinkt fügt, der die Gesamtinteressen des Menschen im Auge hat. Diese Einordnung der Triebinteressen in die gesamtmenschl. Interessen ist nicht Verdrängung, sondern wahre Sublimierung. Durch sie werden die Akte des sinnl. Begehrens zu echt menschl. u. menschenwürdigen Akten. Erst bei solcher Durchformung der sinnl. Sphäre wird die sittl. Ausrichtung nicht nur von seinem Wollen, sondern von seinem ganzen Sein getragen. Als typische Vertreter des ersten u. des dritten Weges stehen einander F. de Suàrez u. Thomas v. Aq. gegenüber. Nach Suàrez bewältigt der Mensch die sinnl. Strebekräfte sittl., wenn er sie zügelt, d.h. dazu bringt, überhaupt nicht zu begehren (De act. hum. in genere tract. IV disp.3 sect.7 n.5). Für Thomas dagegen besteht die Hauptaufgabe der Tugend gegenüber dem sinnl. Begehren nicht in einer Unterdrückung, sondern in einer positiven Mitbeteiligung der sinnl. Triebkräfte am guten Wollen. »Es kommt der Tugend nicht zu, daß jene Bereiche, die der Vernunft untergeordnet sind, von eigenen Akten ablassen, sondern daß sie, die eigenen Akte vollziehend, den Befehl der Vernunft ausführen« (S.Th. 1,2 q.59 a.5).
aus:
Sinnliche Regung
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral ****
http://www.stjosef.at/morallexikon/sinnlich.htm
**** bitte nicht ausprobieren!
Bei Zuwiderhandlung übernehme ich für gescheiterte Lebensentwürfe keine Verantwortung.
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