Was genau macht man? Man fordert die Patientin auf, erst mal das Bild herzustellen: Die
Zebrastreifen, die genaue Situation: »Was war da besonders belastend für Sie?« "Ja
eigentlich gar nicht, daß ich angefahren wurde, sondern daß das so lange dauerte, bis der
Notarztwagen kam.» «Aha, was sehen Sie da für ein Bild?» « Ja ich lieg’ da auf dem Boden
und warte und warte und warte und der kommt nicht.» «Gut, was gibt es in Ihrem Inneren,
Verhaltenstherapeuten sagen: für negative Kognitionen, Psychoanalytiker: für
Über-Ich-Anteile, was gibt es in Ihnen so an kritischen Stimmen oder an Stimmen, die Sie
verurteilen? Manche denken, da bin ich ja selber schuld, oder ich bin doch ein Döspaddel
oder geschieht mir recht oder der arme Autofahrer, jetzt bin ich der Anlaß gewesen, daß er
sich Schuldgefühle macht. Bin ja selber schuld, hätte ja aufpassen können." Ich frage dann
weiter: "Was für ein positiver Gedanke würde zu der Situation gehören, wenn Sie vernünftig
darüber reden?» «Ja, das war sein Fehler, ich habe schon aufgepasst, der ist viel zu schnell
gefahren und war wohl in Gedanken ganz woanders, und mit mir, das ist in Ordnung, also
ich habe richtig gehandelt.» In einem positiven Gedanken kommt kein «nicht" vor, das Gehirn
denkt nicht »nicht«; das klassische Beispiel ist, wenn ich Sie bitte, in der Mittagspause nicht
an einen lila Elefanten zu denken, denken Sie bitte nicht an einen lila Elefanten, denken Sie
nicht an einen lila Elefanten, also das geht nicht. Deshalb müssen die Formulierungen so sein,
daß sie kein »nicht« enthalten, sondern nur positive Kognition.
»Welcher Affekt ist dabei? Was fühlen Sie?« »Todesangst, Panik.« "Wie stark ist dieses
Gefühl? 10 wäre unerträglich, 0 wäre: macht mir nichts aus?» «Ja ist so bei 8 zur Zeit.» «Wo
spüren Sie den Affekt im Körper?" Es ist immer besonders wichtig, die Affekte mit den
Körpersensationen zu verbinden. "Ja, das ist so ein Druck im Bauch und im Hals, das spür’
ich ganz gut.» «Gehen Sie in die Situation hinein, stellen Sie sich das Bild vor, lassen Sie den
Gedanken zu: Selber schuld! Spüren Sie die Todesangst und spüren Sie ihre Körpergefühle
und schauen Sie auf meine Hand!" Dann bewege ich die Hand hin und her, und die
PatientInnen bewegen die Augen hin und her, 24 mal, 25 mal, dann bekommt man auch so
ein Gefühl dafür, wann der Blick anfängt zu flackern, wann es ruckelt, wann es hakt, wann
es nicht mehr so flüssig geht und dann. "Gut, Augen zu, tief Luft holen, Bild zurücktreten
lassen, wieder Augen aufmachen, was passiert?"
Dann laufen in der Patientin traumähnliche, schwer vorhersagbare Prozesse ab, mit denen
ich nie gerechnet hätte. Nach mehreren Sets nach diesem Muster sind die Leute im
allgemeinen bei etwas gelandet, was die Sache gut macht: "Also ich seh’ jetzt einfach nur
noch mich als kleinen Jungen auf einem Dreirad immer die Straße auf und ab fahren und
fühle mich ganz toll dabei.» «Bleiben Sie dabei", das verstärke ich noch einmal mit
Augenbewegungen, "und gehen Sie jetzt noch einmal zurück in die Szene, wie hat sich das
verändert?» «Ja, irgendwie ist das Bild blasser geworden, die Todesangst ist nur noch beim
Wert 5, die spür’ ich nicht mehr im Bauch, sondern mehr so im Hals."
Nach einer erneuten Sequenz, in der ich das Ganze durcharbeite, ist es im allgemeinen so,
daß bei Monotraumata oft schon in zwei, drei Sitzungen die Symptomatik sehr
zurückgegangen und fast weg ist. Ich habe eine Patientin behandelt, die hatte einen Tumor
im Bereich der Nackenwirbelsäule, war operiert worden und hatte hinterher aufgrund des
Ödems einen hohen Querschnitt, wußte nicht, ob sie sich wieder bewegen konnte; hat sich
wieder stabilisiert, ist nach draußen gekommen, hat gut weiter gelebt, mußte jetzt wieder in
die Klinik, weil sie ein Rezidiv hat und die hatte eine solche Angst vor der Situation des
Querschnittes, daß Sie nicht in die Klinik gehen konnte, um sich operieren zu lassen. Dann
hätte sie aber natürlich erst recht einen hohen Querschnitt bekommen oder wäre an ihrem
Tumor gestorben; das bedeutete, sie mußte in die Klinik. Bei dieser Frau hat eine Sitzung
ausgereicht, um diesen Zustand der völligen Hilflosigkeit durchzuarbeiten,
durchzuprozessieren, so daß sie in die Klinik gehen konnte und jetzt weiterstudiert.
Bei solchen Monotraumata reicht oft eine Sitzung. Bei den vielfach Traumatisierten müssen
Sie sich auf einen Prozeß einstellen, der länger dauert. Es sind ja mehrere
Traumatisierungen, und wir machen im Durchschnitt so 10 Traumasitzungen in dieser Zeit.
Man muß richtig eine Karte aufstellen, mit den frühen Traumatisierungen beginnen,
weiterschreiten zu den späteren. Da ist es auch nicht so, daß hinterher alles wieder gut ist.
Oft ist es so, daß die Patientinnen hinterher Intrusionen an andere Erfahrungen haben, daß
sich die Bilder zwar verändert haben, daß dafür aber neue Bilder kommen.
Dieses Verfahren ist alles andere als indifferent. Das sage ich den Patienten auch vorher;
denn durch die Traumaarbeit, gerade mit EMDR, sind Amnesien oft schlagartig aufgehoben:
Sachen, die über Jahre und Jahrzehnte nicht erinnert wurden, stehen plötzlich ganz kalt vor
Augen, ganze Lebensabschnitte zwischen 8 und 12 sind plötzlich da, und das ist dann nicht
mehr rückgängig zu machen! Es kann sein, daß die Aufteilung der Familienmitglieder:
»Mutter hat nichts gewußt« oder: »Oma war immer eine sichere Zuflucht«, daß die plötzlich
weg ist, weil der Patientin Bilder vor Augen stehen, daß die Mutter sich das Ganze ansieht
und eine Weinflasche in der Hand hat und eine Zigarette raucht und dreckig lacht.
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