Die Zukunft der Erinnerung – 40 Jahre „Die Unfähigkeit zu trauern“
Tagung in der Evangelischen Akademie Tutzing vom 30.11.-2.12.2007
mit u.a. A. Assmann, G. Brockhaus, E. Finger, H. Mommsen, V. Knigge, A.v.Plato, I. Quindeau
Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing und der Brockhaus Stiftung
„Psychologisch wäre es keine Unmöglichkeit, nach der Tat einzusehen, was wir im Dritten Reich taten...“ (A. u. M. Mitscherlich)
In ihrem Buch „Die Unfähigkeit zu trauern“ beschrieben Alexander und Margarete Mitscherlich 1967 die schwierige Erbschaft des Nationalsozialismus. Was war gemeint mit diesem zum Schlagwort gewordenen Buchtitel? Warum wurde und wird über die NS-Geschichte erbittert gestritten? Wie beziehen wir uns heute auf diese Vergangenheit – in der öffentlichen Gedenkkultur wie im persönlichen und familialen Umgang? Manche Angehörige der jüngeren Generation erklären den Nationalsozialismus inzwischen zu einer fernen Episode unserer Geschichte, die für die Nachgeborenen nur noch wenig Relevanz habe und keine moralischen Probleme mehr aufwerfe.
Die Mitscherlichs diagnostizierten im deutschen Umgang mit der NS-Vergangenheit eine intensive Abwehr von Schuld und Scham sowie eine Verleugnung der emotionalen Bindungen an die NS-Ideologie und an Hitler. Diese Abwehr der Trauer habe zu einem politischen und psychosozialen Immobilismus in der BRD geführt und eine demokratische Entwicklung der deutschen Nachkriegsgesellschaft behindert. Wie ist diese Diagnose heute einzuschätzen? Warum löste das Buch neben Zustimmung auch heftige Ablehnung aus? Ist eine persönliche und emotionale Auseinandersetzung mit der Täterschaft der Deutschen erforderlich? Welche Nachwirkungen hat der Nationalsozialismus auf die nachfolgenden Generationen? Wie beziehen sich die Kinder und Enkel auf die NS-Verstrickung von Angehörigen („Opa war kein Nazi!“)?
Seit Erscheinen der „Unfähigkeit zu trauern“ hat sich der gesellschaftliche Umgang mit der Verbrechensgeschichte des Nationalsozialismus verändert. Öffentliches Gedenken ist etabliert und als unverzichtbar anerkannt. Es gerät jedoch in die Gefahr, in Museen oder in ritualisierte Feiern an Gedenktagen abgeschoben zu werden. Schlagworte aus dem Kontext der NS-Verbrechen dienen als Versatzstücke im politischen Tageskampf. Die NS-Geschichte wird zu leicht konsumierbaren Medienspektakeln verarbeitet. Deutsche interpretieren sich als Opfer von Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung. Sehnsucht nach einem ‚unbefangenen’ Patriotismus wird laut. Neue Erfahrungen von Diktatur, Verfolgung und Genozid überlagern die NS-Geschichte. Nach dem Tod der meisten Zeitzeugen wird die Erinnerung immer mehr von den Medien geprägt. Wie wird die Zukunft der Erinnerungskultur aussehen?
Freitag, 30.11.2007
18.00 Beginn der Tagung mit Abendessen
19.00 Begrüßung und Einführung
Dr. Christoph Meier, Evangelische Akademie Tutzing
Dr. Gudrun Brockhaus, Brockhaus Stiftung
19.30 Aufarbeitung und Verdrängung
Die Rolle der Zeitgeschichtsschreibung
Prof. Dr. Hans Mommsen, Historiker, Feldafing
20.30 Die Unfähigkeit zu trauern“ in der deutschen Erinnerungspolitik
Gesprächsforum zum Buch und seiner Rezeption mit:
- Prof. Dr. Heiner Keupp, Sozialpsychologe, LMU München
- Arbeitsgruppe Sozialpsychologie des Nationalsozialismus, München
21.30 Fortsetzung der Gespräche in den Salons des Schlosses
Samstag, 1.12.2007
UNFÄHIG ZUR TRAUER? AUSEINANDERSETZUNG MIT EINER KOLLEKTIVDIAGNOSE
9.00 Umgeschriebene Erinnerungen
Psychoanalytische Anmerkungen zu den Erregungen der Erinnerungskultur
Prof. Dr. Ilka Quindeau, Psychoanalytikerin, Fachhochschule Frankfurt/M.
10.00 Waren „wir Deutsche“ unfähig zu trauern?
Nutzen und Grenzen einer psychologischen Kollektivdiagnose
Prof. Dr. Alexander v. Plato, Historiker, Universität Wien
11.00 Stehkaffee/Tee
11.30 Ein ganzes Volk auf die Couch?
Streit um die ‚Bewältigung‘ der NS-Vergangenheit
Dr. Gudrun Brockhaus, Sozialpsychologin, München
12.30 Mittagessen
BILDER DES NATIONALSOZIALISMUS HEUTE
14.00 "So war es wirklich“
Konstruktionen des Dritten Reiches im Geschichtsfernsehen
Boris Schafgans, Filmautor, Kurator, Berlin und Bonn
15.30 Stehkaffee/Tee
16.00 Das Selbstbild der Deutschen in TV-Spielfilmen
Evelyn Finger, Literaturwissenschaftlerin, Redakteurin „Die Zeit“, Hamburg
17.00 „Richtige“ und „falsche“ Geschichtsbilder
Angst, Projektionen, Authentizitätsbegehren - Eine Interviewstudie
Dr. Phil C. Langer, Dr. Angela Kühner, Dipl.-Psych. Daphne Cisneros, Forschungsgruppe »Holocaust Education«, LMU München
18.30 Abendessen
FAMILIENGESCHICHTEN
19.30 Zwischen Dämonisierung und Entlastung
Nazi-Geschichten in der eigenen Familie
J. Utz Palußek, Psychoanalytiker, München
20.15 Familiale Tradierung
Diskussion eines Filmbeispiels
„ War einst ein wilder Wassermann“ (Dokumentarfilm 2001, 43 Min.) von Claudia von Alemann
21.30 informelles Beisammensein in den Salons des Schlosses
Sonntag, 2.12.2007
ZUKUNFT DER GEDENKKULTUR
9.15 Jenseits der Erinnerung
Neue Herausforderungen an die Gedenkkultur
Prof. Dr. Volkhardt Knigge, Historiker, Universität Jena, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald
10.15 Grenzerfahrungen
Bildobjekte der Tat und die Ordnung des Erinnerns
Dr. Habbo Knoch, Historiker, Universität Göttingen
11.15 Pause
11.30 Die Unfähigkeit zu trauern im intergenerationellen Dialog
Prof. Dr. Aleida Assmann, Kulturwissenschaftlerin, Universität Konstanz
12.30 Ende der Tagung mit Mittagessen
Anmeldung und weitere infos unter:
http://www.ev-akademie-tutzing.de/doku/programm/detail.php3?lfdnr=1100&part=detail
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