Man sollte den Gänsen den Kopf abreißen! Wie, und vor Allem warum kommt man als erstes auf diesen Gedanken, sobald man Menschen und Gänse zusammen auf einem Bild sieht?
Einmal im Fernsehn gesehn und schon auf ewig ins Hirn gebrannt: Der kranke Rausch des Reiters, der wie ein Wilder immer wieder an der gleichen Gans vorbei reitet und versucht ihr den Kopf abzureißen. Die Gans hängt kopfüber an einer gespannten Schnur. Sehr gut befestigt, damit der Reiter nicht versehentlich die ganze Gans abreißt. Das wäre nicht im Sinne des Handelnden. Ganz und gar nicht. Schließlich zählt nur der Kopf: Die makabere Enthauptung einer Leiche!
Was ist von Menschen zu halten, die in ihrer Freizeit einmal jährlich diesem skurillen, ja widerlichen Hobby nachgehen? Ich möchte es nicht gern sagen, ich möchte nichts beschwören, aber diese Menschen, die ich im Fernsehn sah, haben mein Verhältnis zur Gans nachhaltig beeinflusst. Ich denke nicht daran, dieses wundervolle Geschöpf Gottes in den Arm zu nehmen, es lieb zu haben, ja vielleicht mit ihm zu spielen. Nein! Ich denke an Leichenschändung und meinen anwachsenden Hass auf bestimmte Menschen. Nicht auf alle Menschen. Das will betont sein. Nein, auf menschen die wegen einer Tradition glauben, sich das Recht rausnehmen zu können, jedwede Ethik zu ficken. Am liebsten würde ich wegen so etwas gleich alle Traditionalisten in einen Sack mit der Aufschrift »Wider Tradition« stecken und kräftig draufhaun.
Natürlich sind nicht alle Traditionen schlecht. Das ist klar. Traditionen werden ja auch im Allgemeinen als gut angesehen. Erschreckend ist nur, wie oft unter dem Deckmantel der Tradition die perversen Neigungen einiger Menschen ihre Rechtfertigung finden. Erschreckend, dass dieser Mantel so gut funktioniert. So gut, dass ich einen Automatismus gegen Traditionen entwickelt habe. Mein Unterbewusstsein grenzt mich aus. Von Vielem. Letztlich sollte ja der persönliche geschmack entscheiden, ob man Teil eines Traditionsritus werden möchte. Dies aber ist eben nicht möglich, wenn sich das Innerste gegen das Tradierte sträubt. Sich sträubt aus Angst vor der Falle des traditionellen Deckmantels. Der Falle des Abstumpfens, der Verrohung, Verdummung und Unmenschlichkeit.
Die persönliche Freiheit zu entscheiden, ob ich gerne an Traditionen teilnehme, ob ich andere, gar fremde Traditionen gutheißen oder ablehnen kann wurde mir genommen. Geraubt vom Barbaren zu Pferde. Dem Reiter meiner persönlichen Apokalypse. Dem Dieb meiner Freiheit.
Dieser barbarische Akt des Leichenfledderns schindet also nicht nur die tote Gans, sondern auch meine allgemeine Toleranz. Er macht mich zu einem schlechten Menschen. Und das nicht nur quer gedacht, wie gerade getan, sondern auch absolut: Denn wenn ich mich einmal als Teil des Ganzen, also der gesamten Menschheit betrachten würde und irgend eine moralisch übergeordnete Instanz das Enthaupten der Gänseleiche als Untat, ja etwas Negatives, was Schlechtes bewerten würde, dann sänke das Ansehen der Menschheit in den Augen dieser Instanz sicherlich. Und somit auch mein eigenes. Mein Streben nach Höherem würde in diesem Fall durch den verrückten Gänseschinder behindert.
Aus diesem Grunde fordere ich diese Tradition zu stoppen. Im Namen aller Traditionen dieser Welt, im Namen alle Frommen: Stoppt den Reiter der Apokalypse, er wird uns alle in die Hölle führen!
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