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Statler schrieb am 11.6. 2008 um 22:32:24 Uhr über

Tomatis-Therapie

ACADÉMIE NATIONALE DE MÉDECINE
16, RUE BONAPARTE - 75272 PARIS CÉDEX 06
TÉL : (1) 43 26 96 80 - FAX : (1) 40 46 87 55
___________
(Übersetzung des französischen Originaltextes)

BERICHT
einer Arbeitsgruppe
bestehend aus: Boulard, Duche, Pialoux (Präsident); Gäste: Buffe, Chouard, Tran Ba Huy

Zum Antrag auf Kostenübernahme durch die
Krankenversicherung für die Tomatis-Methode

Paul PIALOUX

Es sei noch einmal in Erinnerung gerufen, dass die Tomatis-
Methode auf der Hörumerziehung mit Hilfe eines
„elektronischen Ohres" beruht. Es besteht gemäß seinen
Erfindern aus einer Art beidohriger Hörhilfen, wobei die
Ausgangssignale eine Verschiebung oder Transposition
zwischen beiden Hörhilfen und/oder zu den
Eingangssignalen erfahren. Dieses „Eingangssignal" scheint
im wesentlichen aus Musik von Mozart zu bestehen.

Die Methode würde es erlauben - nach der Aussage ihres
Autors in seinen zahlreichen Werbebroschüren -
Stimmstörungen beim Sprechen und Singen, Legasthenie,
Lateralitätsstörungen, Gedächtnis- und
Verhaltensstörungen, Schizophrenie, Taubheit und
Schwerhörigkeit zu behandeln. Außerdem würde mit dieser
Methode das Erlernen von Fremdsprachen erleichtert. Die
Wirkungsansätze, so der Autor, seien verschiedene. U. a.
gehöre dazu eine Umerziehung des Mittelohres: „Mit Hilfe
des Apparates gelingt es, eine auditive Gymnastik der
Mittelohrmuskeln durchzuführen, aufgrund derer man ein
rasches und dauerhaftes Ergebnis erhält" („Wir sind alle
mehrsprachig geboren", Seite 19).

Diese Untersuchung befasst sich zum einen mit den
Theorien von Tomatis, mit denen er das begründet, was er
Audio-Psycho-Phonologie nennt. Zum anderen werden die
Ergebnisse der Tomatis-Horchsitzungen untersucht, für die
die staatliche Krankenversicherung aufkommen soll.



THEORIEN:

Grundsätzlich ist hier folgendes anzumerken:
1. Die Theorien bedienen sich nicht einmal ansatzweise
einer üblichen medizinischen Argumentation.

2. Die Theorien von Tomatis sind nur in
populärwissenschaftlichen Heften und Blättern erschienen.
Es gibt keine Veröffentlichung in einer medizinischen
Fachzeitschrift, welche sich an ein wissenschaftliches
Publikum wendet.
Befassen wir uns mit den physiologischen Begriffen, die die
Grundlage für die Theorien geliefert haben dürften.

Das Gehör", sagt Tomatis, (warum gerade Mozart?, Seite
91), „ist stark von der Psyche beeinflusst, zumal 90% der
Fasern des Hörnervenbündels vom Gehirn kommend zum
Ohr führen".


Schon diese Voraussetzung ist grundsätzlich falsch. Der
Hörnerv besteht zu 95% aus afferenten Fasern (die die
Erregung von der Cochlea ins Gehirn weiterleiten) und zu
5% aus efferenten Fasern, welche zur Erregung der
äußeren Haarzellen bestimmt sind.
Die Haltung für das Hörerfassen ... erfordere eine
aufrechte Position, welche die Aufladung des Gehirns
begünstigt ... Das Ohr verhält sich wie ein Dynamo, und
den größten Anteil der Energie, deren sich das Gehirn
bedient, bezieht es geradewegs aus der Aufladung durch
das Hörorgan» („Aber warum Mozart?«, Seite 143).

Es ist nicht nachzuvollziehen, warum die aufrechte Haltung
für das Hören notwendig ist („günstigste Haltung für die
Aufnahme von Sprache"), und noch weniger ist zu
verstehen, wie sie die zentrale Ladung gewährleistet. Bei
der Übertragung des Gehörten zu den Hörzentren wird
keinerlei messbare Energie zur Aufladung der cortikalen
Zentren transportiert.

-Das Ohr führt im Bereich des Vestibulums alle
Informationen aus dem gesamten Körper zusammen. Dies
geschieht mit Hilfe von Sinnesumwandlern, also
Generatorzellen des Ohres, insbesondere aus dem Corti-
Organ» („Aber warum Mozart«, Seite 144).
In keinem Fall wird die von den Hörrezeptoren
aufgenommene Schallinformation, welche zu den Zentren
weitergeleitet wird, zum Vestibulum, dem peripheren
Gleichgewichtsorgan, geleitet. Das Konzept der
Zentralisierung ist in keiner Weise bestätigt.

Da jener (der Stapediusmuskel) vom Gesichtsnerv
innerviert wird, erfahren auch die übrigen Gesichtsmuskeln
eine besondere Gymnastik. Auch der Trommelfellspanner
(tensor tympanie), der ebenfalls Bestandteil des
Mittelohres ist und den Kiefer bewegt, fügt sich in
Positionen, die in die neue Gesamtheit passen (wir sind alle
mehrsprachig geboren", Seite 34).
Es ist zunächst richtig, dass der Gesichtsnerv den
Stapediusmuskel innerviert. Aber es ist nicht
nachvollziehbar, wie dieser, als eine rein motorische Einheit
auf die übrige Gesichtsmuskulatur einwirken soll (und es ist
noch weniger verständlich, inwieweit dieser Muskel ein
höheres motorischen Zentrum sein soll!). Der
Trommelfellspanner ist Antagonist zum Stapediusmuskel
und wird vom Trigeminusnerv versorgt. Es ist schwer
vorstellbar, in welche Position er sich fügen soll.

Das Trommelfell ist ein hochsensibler Aufnahmeort für
Sprache und wird wie der Stapediusmuskel vom
Parasympatikus innerviert" („Wir sind alle mehrsprachig
geboren", Seite 65).
Tatsächlich ist aber der Parasympatikus kein sensibler
Nerv, und ebenso wird der Stapediusmuskel nicht vom
Parasympatikus versorgt.
Die Legastheniker sind zu 80% schwerhörig " (Zitat aus
dem Heft der Audio-Psycho-Phonologie, Seite 4).
Demgegenüber belegen sämtliche Statistiken, dass der
Anteil der Schwerhörigen1 unter den Legasthenikern
genauso hoch ist wie in der Gesamtbevölkerung.

„... das unmittelbare und vollständige audiophonologische
Ineinandergreifen bis in den Cortexbereich wird
repräsentiert im Wernickegebiet, welche nicht nur für das
Hören und nicht nur für die Sprache zuständig ist, sondern
beide Funktionen gleichzeitig repräsentiert, sozusagen als
Kreuzung zwischen Hörreiz und sprachlicher Antwort"
(„Broschüre des Zentrum für Audio-Psycho-Phonologie",
Seite 5).
Demgegenüber kann festgestellt werden, dass, wenn eine
Wernicke-Aphasie auftritt, in der Regel aber nicht
gleichzeitig eine Schwerhörigkeit gegeben ist. Ein
Zusammentreffen wird als zufällig betrachtet.

Andere sogenannte physiologische Konzepte des Autors
verdienen es nicht einmal, hier diskutiert zu werden, so z.
B.:
-Eine aufsteigende Kurve (des Audiogramms) ... führt zu
einer aufrechten Haltung der Wirbelsäule mit maximaler
Aufhebung der Krümmung im Hals- und Lendenbereich.
Dagegen führt eine absteigende Kurve zu einem
gerundeten, kyphotischen Rücken, wobei der Kopf und der
Nacken nach vorn übergeneigt sind. Dies war bei
Beethoven der Fall, der in Abhängigkeit von seiner
Hörstörung immer mehr eine nach vorn übergebeugte
Haltung einnahm ...» („Aber warum Mozart?«, Seite 102).
-Die großen Zyklen, denen es (das neurovegetative
Nervensystem) folgt, lassen erkennen, dass die
Sendestation nur der Kosmos selbst sein kann." („Aber
warum Mozart?", Seite 148)
Derartige Zitate ließen sich weiter aufführen.


DIE WIRKSAMKEIT DER TOMATIS-METHODE

Die Antwort ist einfach und klar.
Die Wirksamkeit der Tomatis-Methode ist nicht erwiesen,
da sie nicht nachweisbar ist, und zwar aus mindestens
zwei Gründen:

1. Bei Tomatis kamen niemals international anerkannte
Hörprüfungsverfahren zur Anwendung. Die uns zahlreich
vorliegenden Unterlagen zeigen, dass bei den angeblich
schwerhörigen Patienten, die von Tomatis behandelt
wurden, gar keine Schwerhörigkeit vorlag. Die
audiometrischen Kurven, erstellt bei aufgesuchten
HNO-Ärzten, waren vollkommen normal und widersprachen
völlig denen, welche in Tomatis-Zentren gemessen wurden.

2. Die Verbesserungen und Erfolge, die von Tomatis
berichtet wurden, gehören in den Bereich der Affekte, der
Befindlichkeit, also in den Bereich des Subjektiven. Es ist
schon möglich, dass ein Kind, welches in einem Audio-
Psychologischen-Zentrum gefördert wird und dort in einer
spielerischen Umgebung vor einen Bildschirm und eine
Tastatur gesetzt wird, den Eindruck vermittelt, sich
gebessert zu haben.

Beim gegenwärtigen Stand der Forschung bleibt es Tomatis
überlassen, den Wert seiner Methode zu beweisen.

Unsere Aufgabe ist es, die Organe der öffentlichen
Versorgung auf den äußerst zweifelhaften Nutzen der
Tomatis-Methode aufmerksam zu machen. Nach allem ist
die Kostenübernahme der Tomatis-Methode durch die
Krankenversicherung nicht gerechtfertigt.


Die Akademie hat in ihrer Sitzung am Dienstag, dem 5.
Januar 1993, diesen Bericht einstimmig angenommen.


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