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Höflichkeitsliga schrieb am 1.7. 2002 um 16:52:17 Uhr über

ThomasMann

Obwohl ich Literatur im allgemeinen verabscheue, finde ich Thomas Mann sehr lustig. Die weit ausholende Bewegung, besonders seine Betrachtungen über europäische Kultur und europäisches und insbesondere deutsches Wesen, das ist eine Art der Betrachtung die seit dem zweiten Weltkrieg, oder zumindest seit den späten sechziger Jahren ja etwas aus der Mode gekommen ist, die aber durchaus zu faszinieren weiß, ja die im erträglichen Sinne des Begriffes bildungsbürgerliche Sicht auf die Geschichte, die ja am liebsten in großen Schritten und Begriffen denkt etwa: altes römisches Reich - neues römisches Reich - Reformation - Französische Revolution - Erster Weltkrieg, und die an dieser Entwicklungslinie eine Tradition des Konfliktes zwischen Liberalismus und »deutschem Wesen«, zwischen französischer revolution und deutscher Reformation, kurz, zwischen westeuropäischem, vom römischen Reich beerbtem Universalitätsgedankens nicht zuletzt in politischer Hinsicht, und zwischen deutscher Innerlichkeit wie sie im Sola Fide Martin Luthers zum Ausdruck käme, also diese Sicht des Weltlaufs, also, will sagen es ist heutzutage lustig zu lesen was sich die Leute damals so gedacht hatten, nun meine ich daß so eine Intelektuelle verfasstheit, die heutzutage weitgehend unzugänglich ist, von deren Existenz man ja eigentlich recht überhaupt keine Ahnung haben kann, wenn man sich nicht die Mühe macht und diese ganzen Leute auch wirklich liest, also neben Thomas Mann auch vielleicht Oskar Spengler oder so Sachen, also vor dem Hintergrund eben daß das alles noch gar nicht so lange zurückliegt, man sich aber trotz allem nur schwerlich in solchen Überlegungen wiederfinden kann, die sicherlich eine ganz lange Zeit unter den Leuten die man gemeinhin das Bildungsbürgertum nennt, zumindest bis zu dessen Abdanken nach dem ersten Weltkrieg, eine gar nicht zu vernachlässigende Wirkungsmächtigkeit hatte, also daß es da so ein kulturell geerdetes Traditionsbewußtsein gab (das ja heute hierzulande zumindest was den Goethe betrifft nachwirkt), wo sich Konflikte entzünden konnten die immer auch national kodiert waren, daß finde ich nun sehr interessant, und auch und gerade die Tatsache daß das nach dem ersten, spätestens aber nach dem zweiten Weltkrieg all diese Sachen einfach implodiert sind. Ich meine besonders interessant ist das natürlich wenn man das in gewisser Weise mit einer sozialistischen Sicht der Dinge abgleicht, das geht ja nun überhaupt nicht ineinander, klar, das sind antagonistische Sichtweisen der Welt, den Fabrikarbeiter der 1914 eingezogen wird, den interessieren Voltaire und Martin Luther einen Dreck, wieso sollten sie auch. Krupp und Thyssen, die werden den ersten Weltkrieg nicht so sehr als Ringen von Kulturprinzipien verstanden haben, die haben sich ja einfach gefreut daß sie jetzt ein paar Aufträge mehr bekommen, und die OHL und die politisch Verantwortlichen, die werden auch weniger Gedanken an das deutsche Wesen verschwendet haben, als an die Aussicht auf deutsche Suprematie auf dem Meer und einen Haufen neuer Kolonien, aber trotzdem finde ich ist auch gerade dieser Bildungsbürgerliche Hintergrund irgendwie ein Bindeglied das man auf keinen Fall bei der Betrachtung dieser Zeit vernachlässigen darf, und in gewisser Weise ist es ja auch berechtigt, und klingt durchaus logisch, wenn man so einen deutschen Sonderweg nicht nur in politischer Hinsicht seit sagen wir mal 1815 konstatiert, sondern diesen Sonderweg vielleicht auch als einen kulturellen begreift, der durchaus zumindest seit der Reformation, wenn nicht gar viel länger, am Wirken ist, daß man hier das zwanzigste Jahrhundert durchaus als das begreifen kann als was Thomas Mann das in seinen »Betrachtungen eines Unpolitischen schildert, nämlich den Zeitpunkt der katastrophalen Spannungsentladung eines europäischen Kulturantagonismus (so archaisch rechtskonservativ sich das anhört), dessen Erscheinungsformen eines übersteigerten Nationalismus sowie eines gefräßigen und mörderischen Raubkapitalismus vielleicht nur solche zweiter Ordnung sind. Sind sie das? Andererseits, Luther, Voltaire, Rousseau, Goethe, daß ist ja eine kulturelle tradition, die erst mit dem 16. Jahrhundert beginnt, und mit Ausnahme Martin Luthers fallen ja nun recht eigentlich alle europäischen Geistesgrössen in die Epoche eines sich formierenden, langsam erwachenden Kapitalilsmus, zudem sind alle diese Leute Repräsentanten einer erwachenden Kultur des europäischen Bürgertums, das ja sein Selbstbewußtsein noch irgendwo anders verankern musste als in der eigenen ökonomischen Potenz, also noch im dreissigjährigen Krieg wird den Leuten das deutsche Wesen egal gewesen sein, und auch hundert Jahre später, im siebenjährigen Krieg, einem Krieg der wie der spanische Erbfolgekrieg Krieg eigentlich ein Krieg der Herrscherhäuser war, und in dessen Vorgeschichte und Verlauf die Koalitionen ja auf bunteste Art und Weise gewechselt hatten, so daß sich auch unter diesen Krieg schwerlich sowas wie ein kultureller Subtext hätte legen lassen, nun, es bietet sich an zu sagen, das alles läuft auf die französische Revolution hinaus im Endeffekt, das ist nun vielleicht tatsächlich der Punkt, die «Befreiungskriege", an dem sowas wie kulturelle tradition oder dessen Konstrukt zum ersten Mal eine integrative Aufgabe erfüllt hatte, und zwar in der Hinsicht als daß in weiten Teilen der Bevölkerung erstmals sowas wie ein nationales kulturelles Bewußtsein verankert wurde, das klingt zumindest plausibel, aber eigentlich wollte ich über sowas gar nicht reden, sondern eigentlich eher über Thomas Mann, ich weiß gar nicht wieso ich jetzt so weit mit diesen Platitüden abgedriftet bin...hmm


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