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mcnep schrieb am 29.9. 2006 um 14:11:20 Uhr über

Tampondreherei

Schräg gegenüber von unserem Haus ist eine Niederlassung von Johnson&Johnson, einem der großen Hersteller von Intimtextilien. Und jeden Werktagmorgen kurz vor sechs, kaum abgehoben vom bleigrauen Licht, fahren drei Busse vor, die eine Unzahl geduckter Frauen ausspucken, die binnen weniger Minuten vom zumeist abweisend vergitterten Mund des Werkstores geschluckt werden. Das ist dann die Zeit, zu der wir Anwohner wissen, dass wir die Fenster geschlossen halten müssen, weil als erstes die Zellstoffhasplerinnen ihr gesundheitsschädigendes Werk verrichten. Begleitet von bei Ostwind weithin hörbaren ernsten Arbeitsgesängen in vietnamesischen und albanischen, osmanischen und schwarzafrikanischen Sprachen, die sich zu einem polyphonen Threnos mischen, füllt sich die Luft auf viele hundert Meter mit alles bedeckenden Weißflusen, ein ewig wiederkehrender Altweibersommermorgen, der sich fingerdick auf Autos, Straßen und Gebäuden ablagert. Schnarrt dann die Werkssirene zur viertelstündigen Mittagspause, greifen wir Anwohner zu Schaufel und Besen, denn die Zeit des größten Schmutzes ist vorbei - die Halbtagskräfte werden, sofern sie nicht ohnehin in den Baracken des rückseitigen Fabrikgeländes untergebracht sind, hastig in einem Bus verstaut und hinter die Stadtgrenze gefahren, dafür beginnen nun die Sanitärrollerinnen ihre vergleichsweise gutbezahlte Tätigkeit; denn es braucht Jahre der Übung, bis aus den zuvor gefertigten Zellstoffflicken in Dutzenden von Arbeitsschritten jene Blutsauger entstehen, die den Reichtum unseres Nachbarunternehmens mitbegründen. Heiterer sind die Gesänge, die in diesen Stunden aus den Hallen schallen, Scherzund Spottgesänge untermalen die monotone und doch so differenzierte Arbeit der braungebrannten Schönheiten, und mählich füllen sich, wie vom zweiten Stock unseres Anwesens einsehbar ist, die Container mit der Tagesproduktion. Eine fast versöhnliche, an südstaatliche Plantagenromantik gemahnende Szenerie, die ein jähes Ende findet, wenn zur dritten Schicht mehrheitlich stämmig gebaute, oftmals bekopftuchte und mit hartem Vertriebenendialekt sprechende Frauen eintreffen, die die gefahrvolle Arbeit des Rückholfädcheneinschießens übernehmen. Die an ein Konzert von Bolzenschussgeräten gemahnende Tätigkeit überzieht unser schönes Wohnviertel erneut mit einer Aura des Unfriedens, bis es nach dem letzten Sirenenton um Punkt 22 Uhr in einen kurzen, traumlosen Schlaf sinkt.


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