Von meinem ersten Aufenthalt in einer Tagesklinik habe ich sehr profitiert. Okay - ich war dermaßen im Arsch, dass GAR nix mehr ging und deshalb bereit, mit anderen imarschenen Leuten abzuhängen und meine Wunden zu lecken und den anderen imarschenen Leuten beim Lecken ihrer Wunden zu assistieren.
Der Tagesablauf ist strukturiert, und auf deinem Weg stromabwärts durch die Zeit warten mehr oder minder hilfreiche Therapieangebote auf dich, die dich einladen, dein Innerstes nach außen zu kehren. Wenn du es nämlich nicht tust, sind alle furchtbar sauer auf dich und lassen dich das auch ganz deutlich spüren.
Ich hatte nur immer das vage Gefühl, die Therapeuten schauspielern ihr Sauersein nur und versuchen krampfhaft, sich selbst davon zu überzeugen, dass sie NICHT schauspielern, sondern »echt« sind. Überhaupt spielte »echt« sein wohl nur deshalb eine derart große Rolle im Leben auf der Station, weil das Personal von der eigenen Authentizität nicht restlos überzeugt war.
Wir haben viele Dinge gemalt. Egal, was du malst, es ist eh verkehrt. Ich erinnere mich an diese Entspannungs-CD, die uns vor dem Malen einredete, wir säßen im Regenwald unter einem Baum und würden uns an seinen Stamm lehnen und uns furchtbar wohl dabei fühlen. Ich dachte an die Unmengen von Ameisen, die den Urwald bevölkern und garantiert auch auf dem nassen, schmutzigen und bemoosten Baumstamm hinter mir rumkrabbeln. Ameisen in den Tropen sind außerdem immer bissig und wehrhaft. Wir hatten dann fünf Minuten Zeit, unsere Empfindung zu Papier zu bringen. Was habe ich gemalt? Richtig! Ameisen. War wohl nicht so ganz das, was die haben wollten.
Ein anderes Mal sollten wir ein Gruppenbild fabrizieren. Mich hat man als Erdmännchen gemalt, was ich rührend fand. Jedenfalls waren die Therapeuten bestürzt, weil wir ihnen keine Platz auf unserem Bild gegeben hatten!
»Kommunikative Bewegung« war auch seltsam. Man kann sich ja nicht nicht verhalten und muss Dinge tun, die verdächtig an Feuerlaufen und Managerseminare erinnern. Du tust also all diese seltsamen Dinge und stellst hinterher fest, dass sie dir nicht gut bekommen sind und dann redest du darüber. In der Gruppentherapie.
Gruppentherapie ist doof. In der Gruppentherapie ereignen sich schlimme Szenen. Peinliche Szenen auch, aber vorwiegend sind die Szenen schlimm. Und was immer du tust - es ist verkehrt!
Es ist auch nicht so, dass alles, was in der Gruppe besprochen wird, in der Gruppe bleibt. Eine ältere Dame aus der anderen Gruppe hat mich erst geliebt und dann gehasst und dann zum Thema der Sitzung gemacht. Die Mitglieder ihrer Gruppe sagten nur, ich solle mich in acht nehmen vor ihr. Sie drohte mir Schläge an und ich weiß bis heute nicht wieso. Wahrscheinlich war sie verrückt.
Normalerweise gibt es ein oder zwei Labertaschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung, die die Gruppentherapie bestreiten. Das ist gut so, denn es erspart dir, dich unglücklicher zu machen als du ohnehin schon bist. Reden tut nämlich nicht immer gut - oh nein! Ich bin auf die glorreiche Idee gekommen, in der Gruppe über meine beschissene Schulzeit zu reden. Ich habe geheult wie ein Schlosshund. Hinterher ging es mir sehr schlecht. Wieso? Weil ich über Dinge geredet habe, die besser nicht zur Sprache gekommen wären.
Die Musiktherapie hat ebenfalls Erinnerungen vorwiegend unangenehmer Art hinterlassen, und sie half mir auch nicht dabei, mit mir selbst in Kontakt zu kommen. Ich kann nun aber akzeptieren, dass ich ein zutiefst unmusikalischer Mensch bin und das gefälligst auch bleiben möchte! Mit Klanghölzern und Triangel gehst du jedenfalls auf Nummer sicher.
Sport hat gefetzt, und Ergotherapie auch. Sport habe ich beibehalten und ich werde mir wieder einen Töpferkurs suchen, weil die Arbeit mit Ton einfach Spaß macht. Körbe waren damals meine Sache nicht.
Heute würde ich wohl auch mal eine Weile Körbe flechten - aus reiner Neugier. Und aus Neugier würde ich mir in der Musiktherapie auch mal zeigen lassen, wie man aus einer Geige Töne herausholt oder wo man beim Klavier die Finger hintun muss.
So eine Tagesklinik ist schon eine feine Sache. Ich habe dort unter anderem gelernt, dass meine Geduld Grenzen hat. Das verwirrende Gefühl, alles verkehrt zu machen, ist auch nicht verschwunden. Ich komme allerdings besser zurecht damit.
|