Tübingen. Er sitzt gern in der Sonne vor seiner wuseligen kleinen Werkstatt in der Aixer Straße, spielt eine Partie Schach und freut sich, wenn jemand vorbeischaut. Der 56 Jahre alte Ralph Barta ist nicht der Typ, der mit viel Speed die Karriereleitern der Leistungsgesellschaft hochklettert. Zwar hat der hagere Mann mit dem krausen Haar in Schwäbisch Gmünd Produktgestaltung studiert, doch legte er nie viel Wert darauf, mit seinem Wissen das große Geld zu verdienen. Und er raucht gern mal einen Joint. Das tut er schon lange. „Auf Festivals“, sagt er, „war das ja üblich.“
Weil Cannabis teuer ist und von keiner Krankenkasse in Deutschland verschrieben wird, baut der Tübinger seit Jahren seinen eigenen Hanf an. Seine Pflanzen kann jeder sehen, der sie sehen will. Sie wachsen auf dem Balkon zur Aixer Straße, der gut frequentierten Hauptstraße des Französischen Viertels in Tübingen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis irgendwann auch die Polizei auf den Hanfanbau aufmerksam werden würde. Am 3. Juli dieses Jahres war es so weit. Vier Polizeibeamte und ein städtischer Zeuge klingelten an seiner Tür, traten ein und durchsuchten Wohnung und Werkstatt. Sie wurden schnell fündig. Außer den beiden Pflanzen auf dem Balkon entdeckten sie noch zwei Tütchen mit insgesamt 0,33 Gramm Cannabis-Samen.
Zwei Tütchen und zwei Pflanzen: Das ist nicht gerade eine riesige Ausbeute. Dennoch erhielt Barta am 9. September einen Strafbefehl des Tübinger Amtsgerichts zugestellt. Wegen unerlaubten Anbaus und Besitzes von Betäubungsmitteln soll der selbstständige Produktgestalter 40 Tagessätze zu je 40 Euro bezahlen. Macht insgesamt 1600 Euro.
So viel Geld hat Barta nicht, weshalb er beschloss, in die Öffentlichkeit zu gehen. Hausdurchsuchung und Strafbefehl, glaubt er, seien politisch motiviert und richteten sich gezielt gegen ihn als linken Aktivisten. „Dass der Kamikaze-Kapitalismus aus Hab-Sucht den Planeten gegen die Wand fährt, ist genehmigt“, sagt er. Aber bei der Rehabilitation der seit altersher als Heilmittel bekannten Hanfpflanze gehe es nur „quälend langsam“ vorwärts.
Um dagegen ein Zeichen zu setzen und auch aus Solidarität mit sechs chronisch kranken Hungerstreikenden, denen der Hanfanbau untersagt wurde, will Barta die Strafe deshalb nicht bezahlen und lieber ins Gefängnis gehen: „Wohlan, sitze ich ab!“, sagt er.
Vierzig Tage müsste Barta ins Gefängnis, wenn er seine Ankündigung wahr macht. Weil die Unterbringung im Gefängnis etwa 85 Euro pro Tag kostet, müsste der Steuerzahler stolze 3400 Euro aufbringen – wegen zwei Hanfpflanzen auf einem Balkon.
Das aber will niemand so recht, weshalb Rainer Ziegler, der Direktor des Tübinger Amtsgerichts, denn auch im Gespräch mit dem TAGBLATT eindringlich darauf hinwies, dass der Strafbefehl ja „noch nicht rechtskräftig“ sei. Barta könne Einspruch erheben und etwa darauf verweisen, dass er den Hanf nur für den Eigenbedarf anbaue. In so einem Fall erlaubt das Betäubungsmittelgesetz, auf die Strafe zu verzichten. „Aber er muss sich äußern“, sagt Ziegler
Doch Barta bleibt vorerst stur. Er schweigt und verweist auf den amerikanischen Philosophen Henry Thoreau: „In einem Staat, der seine Bürger ungerechterweise einsperrt, ist es eine Ehre für einen Mann, im Gefängnis zu sitzen.“
Heute läuft die Frist für den Einspruch ab.
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