Sture Union könnte an Stuttgart 21 scheitern
Schon der Polizeieinsatz hat den Gegnern von Stuttgart 21 in die Hände gearbeitet, die Rechtfertigung durch die Landesregierung und die Bundeskanzlerin verstärkt dies nur
Die schwarz-gelbe Regierung in Baden-Württemberg hat am Donnerstag mit dem rabiaten Einsatz der Polizei gegen Gegner des Projekts Stuttgart 21, darunter auch viele Jugendliche, noch einmal Öl ins Feuer gegossen und taktisch unklug gehandelt (Stuttgart 21 - Konflikt eskaliert). Noch verheerenden für die Regierung war sicherlich, zunächst einmal nur auf die Demonstranten zu verweisen und die Schuld an den Gewalttätigkeiten einzig auf diese abschieben zu wollen, teils mit falschen Behauptungen. Die Polizei habe sich letztlich nur verteidigen müssen, sie habe nur reagiert, sagen unisono Polizeichef, Innenminister Rech und Ministerpräsident Mappus.
Offenbar haben die Befürworter noch immer nicht verstanden, dass sich hier eine Protestbewegung gebildet hat, die gewissermaßen aus der Mitte kommt und mit der man nicht mit den eingeübten Strategien umgehen kann (Die neue APO des Establishments). Mindestens 130 Demonstranten, die Organisatoren der Proteste sprechen von bis zu 400, sind durch den Einsatz von Pfefferspray, Knüppeln und Wasserwerfern verletzt worden
Auch das Mantra, doch offen für Gespräche zu sein, aber einen vorübergehenden Stopp der Abrissarbeiten anzubieten, so symbolisch dies auch sein mag, ist schlicht politisch unklug. Seltsam auch, dass sich Bundeskanzlerin Merkel, die bislang eher Entwicklungen zuschaute, um sich dann auf die Gewinnerseite zu schlagen, nun meint, Entschlossenheit demonstrieren zu müssen, um dieses Projekt auf Biegen und Brechen gegen die Menschen durchzusetzen, obgleich sie weiß, dass die schwarz-gelbe Regierungskoalition derzeit nicht mehrheitsfähig ist.
Kein Wunder, dass es am Freitag zu der bislang größten Demonstration gegen Stuttgart 21 gekommen ist. Zwischen 50.000 (Polizei) und 100.000 (Veranstalter) Menschen sind nach der Polizeiaktion am Vortag auf die Straße gegangen. Der Widerstand dürfte erst einmal gewachsen sein.
Die Landesregierung versucht nun, mit einer Erklärung die Wogen zu glätten, in der man Betroffenheit äußert, wiederholt aber nur wieder uneinsichtig die Vorwürfe, die zur bislang größten Demonstration geführt haben: »Wer auf Arbeiter oder Polizeibeamte Flaschen wirft, selbst mit Pfeffersprays sprüht und sich nicht an die Anweisungen der Polizeibeamten hält, handelt rechtswidrig. Auf solche Situationen mussten die Polizeibeamten reagieren. Ich stelle mich hinter unsere Beamtinnen und Beamten. Ich weiß, dass das schwierige Situationen sind. Ich bedauere aber außerordentlich, dass ein solches Vorgehen notwendig geworden ist.«
Und auch in der Erklärung wird wieder versucht, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Was demokratisch einmal beschlossen wurde, müsse umgesetzt werden. Dass sich die Kosten und die Situation verändert haben, wovon die Kritiker ausgehen, erwähnt man mal nebenbei. Das Gesprächsangebot bleibt weiterhin für die Gegner unannehmbar, eben weil nicht einmal symbolisch gezeigt wird, dass es »konstruktiv« sein könnte. Und weil sich die Landesregierung geschlossen hinter die Polizei und den Einsatz stellt, müssen die Betroffenen die letzten Worte, die an sie, nicht an die Landesregierung und die Polizei gerichtet sind, auch als zynisch interpretieren: »Mein dringender Appell gilt aber allen, die guten Willen haben: Bitte bleibt besonnen! Auch der Streit um ein solches Projekt, der zur Demokratie sicher dazu gehört, rechtfertigt niemals Gewalt gegen Sachen und Personen - und die Bilder von gestern dürfen sich nicht wiederholen!«
Die Steilvorlage für die Kritiker wird von diesen natürlich ausgebeutet. Die Online-Kampagnen-Organisation campact.de hat sich nun auch eingeschaltet und eine Aktion gestartet, mit der der Rücktritt des baden-württembergischen Innenministers und ein sofortiger Baustopp gefordert wird. Aufgefordert wird, eine Email an den Ministerpräsidenten und seinen Innenminister zu versenden: »Ihre Landesregierung will das Prestigeprojekt offensichtlich mit Wasserwerfern, Reizgas und Schlagstöcken durchprügeln. Herr Rech, tragen Sie die politische Verantwortung für den brutalen Polizeieinsatz und treten Sie umgehend zurück! Herr Mappus, erlassen Sie einen sofortigen Baustopp für «Stuttgart 21» und ebnen Sie den Weg zu einem Volksentscheid über das Infrastrukturprojekt! Nur so kann der Graben quer durch Baden-Württemberg überbrückt werden.«
Florian Rötzer02.10.2010
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