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® schrieb am 2.10. 2010 um 02:16:36 Uhr über

Stuttgart21

CDU und »Stuttgart 21«
Gefangen in der Bahnhofs-Mission
Von Severin Weiland und Philipp Wittrock

.Foto: REUTERS
Video: Reuters»Stuttgart 21« kommt. Daran lassen Kanzlerin Merkel und Ministerpräsident Mappus trotz der Empörung über den rabiaten Polizeieinsatz keinen Zweifel. Doch in ihre Entschlossenheit mischt sich auch Unbehagen: Denn sie verlieren den letzten Draht zu den Gegnern des Bahnhofsprojekts.

Berlin/Stuttgart - Der Rollladen am Fenster hinter dem Stehpult ist fast ganz heruntergelassen, nur wenig Tageslicht dringt hindurch. Man könnte auf die böse Idee kommen, Stefan Mappus wolle sich verschanzen, wolle lieber nicht sehen, was da draußen in der Landeshauptsstadt vor sich geht. Aber natürlich sollen im Runden Saal der Stuttgarter Villa Reitzenstein nur die Kameras der Journalisten vor störendem Gegenlicht geschützt werden.


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Wegzuschauen, nichts zu sagen, das wäre jetzt wohl auch nicht die richtige Strategie.

Also legt Baden-Württembergs Regierungschef, als er am Freitagmittag in seinem Amtssitz vor die Presse tritt, viel Betroffenheit in die Stimme. »Die Bilder von gestern dürfen sich nicht wiederholen«, sagt Mappus. »Es darf keine weitere Eskalation, keine weitere Verletzten bei Demonstranten und Polizisten geben

Die Bilder von gestern: Wasserwerfer pusten Demonstranten von der Straße, Polizisten schleppen wenig zimperlich Menschen aus dem Mittleren Schlossgarten, ein Mann blutet aus den zugeschwollenen Augen, junge Männer und Frauen, zum Teil noch Kinder, spülen sich gegenseitig Pfefferspray und Tränengas aus den Augen, aufgebrachte und verängstigte Mütter und Väter machen ihrem Unmut über Einsatzkräfte Luft. Je nach Sichtweise werden zwischen 130 und 400 Personen als verletzt gemeldet.

Vorwurf der »Rambo-Politik«

Der Protest gegen das Bahnhofsprojekt » Stuttgart 21« ist eskaliert. Und Stefan Mappus hat ein Problem. Die CDU hat ein Problem. Die Bundeskanzlerin hat ein Problem. War es vorher schon schwierig genug, den umstrittenen Bahnhofsumbau mitten in der Stadt gegen den massiven Widerstand zu rechtfertigen, gehen nun auch noch Bilder um die Welt, die den Eindruck vermitteln, die Staatsmacht mache den Weg frei. Rücksichtslos, um jeden Preis.

Der Aufschrei der Empörung ist groß. Die Opposition im Ländle und in Berlin spricht entsetzt von »Skandal« und »Rambo-Politik«, Rücktrittsforderungen gegen Mappus werden laut, Gewalt gegen Jugendliche und Rentner seien der Demokratie und dem deutschen Rechtsstaat unwürdig, heißt es. Aus der Union wird zurückgekeilt: Da werde »Grüne Propaganda« gemacht, von der Instrumentalisierung jugendlicher Demonstranten durch »linksextremistische Protestanführer« ist gar die Rede.


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14 Bilder»Stuttgart 21«: Erste Bäume fallen
Es ist eine schwierige Situation für die Befürworter von »Stuttgart 21«. Die Stimmung ist aufgeheizt. Mappus versucht am Freitag den Spagat zwischen Aufruf zur Besonnenheit und Verteidigung des Polizeieinsatzes. Er stellt sich »voll und ganz« hinter seine Beamten, erklärt ihr rabiates Vorgehen zur Reaktion auf Angriffe aus den Reihen der Demonstranten. Zugleich mahnt er zum Dialog zwischen Gegnern und Freunden des Projekts.

Kein Interesse, winken am Freitagabend die »Stuttgart 21«-Gegner ab. »Mit Falschspielern verhandeln wir nicht«, sagt Carola Eckstein, Sprecherin der sogenannten Parkschützer, der dpa. »Über was sollen wir mit ihm sprechen? Über das WetterDas Vorgehen der Polizei am Donnerstag gegen die »Stuttgart 21«-Gegner habe Mappus zu verantworten. »Er hat Fakten geschaffen, nur um seine Macht zu demonstrieren

Mappus spürt immer mehr, dass entgegen den Planungen der CDU »Stuttgart 21« längst zum zentralen Wahlkampfthema geworden ist. Mehr noch: Es wird zum Symbol eines vermeintlichen Kampfes der Bürger gegen unliebsame politische Entscheidungen. »Stuttgart 21« steht in einer Reihe mit der Gesundheits- und Hartz-Reform, mit der Verlängerung der AKW-Laufzeiten. Das Projekt kann Mappus die Macht in Baden-Württemberg kosten, die große Karriere, die ihm mancher in der Partei vorausgesagt hatte, könnte schon im März 2011 abrupt wieder vorbei sein.

Merkel in der Falle

Auch weil Angela Merkel »Stuttgart 21« zu ihrem Projekt gemacht hat. Im Bundestag erhob sie die Landtagswahl im Südwesten zur Volksabstimmung über das Bahnhofsprojekt und die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Dass sie dies nun bereut, davon will in ihrem Umfeld offiziell natürlich niemand etwas wissen. Dennoch hat auch die Kanzlerin - wie viele Unionsabgeordnete im Übrigen auch - die Bilder aus Stuttgart mit großem Unbehagen gesehen. So hatte man sich die Umsetzung der neuen Merkelschen Entschlusskraft nicht vorgestellt.

Die CDU-Chefin sitzt in der Falle. Es sei auch » Merkels Einsatz, wenn jetzt Schlagstöcke und Reizgas gegen Schülerinnen und Schüler eingesetzt werden«, ätzt Renate Künast. Das weist Merkels Generalsekretär zwar empört zurück. Doch im Kanzleramt weiß man, dass an der zugespitzten Darstellung der Grünen-Fraktionschefin durchaus ein Fünkchen Wahres dran ist. Der Gewaltausbruch vom Donnerstag hat eine neue Stufe der Emotionalisierung in die Debatte gebracht.


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12 BilderGroßprojekt »Stuttgart 21«: Hauptbahnhof soll tiefergelegt werden
Wirklich etwas ändern kann Merkel daran derzeit nicht. Sie kann nicht mehr zurück. Eine offizielle Bewertung des Polizeieinsatzes verkneift man sich seitens der Bundesregierung am Freitag. Alles, was Merkel bleibt, ist ihren Sprecher erklären zu lassen, man möge doch bitte phantasievoll und in guter Absicht miteinander ins Gespräch kommen - ohne Baustopp wohlgemerkt. Durchhalten heißt die Parole.

FDP in großer Not

Auch für den kleinen Koalitionspartner in Baden-Württemberg und im Bund ist die Lage nicht einfacher geworden. Die FDP ist für »Stuttgart 21«, doch als Rechtsstaatspartei sind am Tag nach der Eskalation auch nachdenkliche Töne zu vernehmen. »Weder Blockaden und Provokationen noch Gewalt der Polizisten helfen einer inhaltlichen Diskussion«, sagt der Vorsitzende der Jungen Liberalen, Lasse Becker. »Bei manchem Vorwurf gegen Polizisten, der heute im Raum steht, würde eine klare Kennzeichnung jedes einzelnen Beamten mit einer Identifizierungsnummer helfen


ANZEIGEDer baden-württembergische FDP-Bundestagsabgeordnete Werner Simmling mahnt: »Wir müssen auf beiden Seiten aufpassen, dass es rechtsstaatlich zugeht und es nicht zu einer Eskalation kommtFür die Liberalen sieht es in ihrem Kernland derzeit nicht gut aus, bei fünf Prozent dümpeln sie in den Umfragen. Die Partei droht im Konflikt um den Bahnhof zwischen den großen Blöcken - CDU auf der einen und Demonstranten und Grünen auf der anderen - zerrieben zu werden.

Vize-FDP-Landeschef Michael Theurer wagt sich am Freitag am weitesten vor und plädiert für eine »Denkpause«, etwa durch ein Mediationsverfahren. Er sei für »Stuttgart 21«, »aber nicht auf Kosten von Verletzten«. In der Demokratie setzten die Liberalen »auf die Kraft der Argumente, nicht auf Pfefferspray und Steinewerfen«. Das sei, mahnt er, »für die dauerhafte Legitimation und Akzeptanz demokratischer Entscheidungen zentral wichtig«.

Viel wird nun davon abhängen, wie die nächsten Demonstrationen verlaufen werden. Schon am Freitagabend erwarteten die »Stuttgart 21«-Gegner bis zu 100.000 Menschen zu ihrem wöchentlichen Protestmarsch.



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