In der Geschichte vom bösen Friedrich wird als besonderes Zeichen von dessen Aggressivität angeführt: »Er peitschte seine Gretchen gar!« Dieser Satz hat mich als Kind immer ein wenig irritiert, beziehungsweise auf gedankliche Abwege geführt, war es doch klar, daß ein einzelnes Gretchen, ebenso wie ein Hänschen oder ein Hündchen aller biologischen Vernunft zum Trotz ein grammatisches Neutrum einfordert. Es musste sich also um mehrere Frauen oder Mädchen handeln, wobei auf dem beigestellten Bild jedoch nur eine Person unbestimmbaren Alters zu sehen war, die sich angstvoll vor den Peitschenhieben des argen Wüterichs in Deckung zu bringen trachtete. Es mußte aber weitere Gretchen geben, die möglicherweise unsichtbar für den kindlichen Betrachter in einer Art Verlies oder Zwinger untergebracht waren, was in mir das Bild eines Finsterlings von Dutroux'scher Perfidität aufsteigen ließ, der sich neben der Züchtigung und Gefangennahme junger Frauen auch der seelischen Grausamkeit schuldig machte, seine Opfer durch Gleichbenennung zu entindividualisieren und zu demütigen, noch dazu mit einem Namen, der, wenngleich nicht mehr sehr verbreitet in meiner Generation, in Analogie zum 'Hänschen' der Jungen das weibliche Geschlechtsteil bezeichnet. Offenbar war ich nicht der einzige Leser, der über diese Falle gestolpert ist, denn in den neueren Ausgaben des Struwwelpeters wurde dieser Satz durch die Umarbeitung zu »Er peitschte, ach, sein Gretchen gar!« seiner irisierenden Vieldeutigkeit beraubt, was ganz ohne Zweifel auf lange Sicht zu einer Verarmung der kindlichen Phantasie und der Verbratkartoffelung der Sexualität führen wird.
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