Die Straßenbahn fährt nachts, auch nachts, ich weiß das, meinem Fenster gegenüber nämlich ist der Straßenbahnhof, das Depot, trostlose Großstadtgemütlichkeit. Mit Blick auf den künstlich erleuchteten Hof lese ich Rilke, um dabei Erleuchtung zu erlangen, die mich in meine Jugendzeitschwärmereien zurückführt. Konstanze weiß darüber einiges, ihr schrieb ich einen Monat lang oder länger jeden Tag einen Brief, jeden Tag, und es waren lange Briefe. Ich blieb bis nachts um drei Uhr auf, schrieb chinesische Märchen, Gleichnisse meiner Verliebtheit, brachte sie dann mit dem Fahhrad zu einem Briefkasten, der noch in derselben Nacht geleert wurde, damit die Post innerhalb Leipzigs den Empfänger noch am selben Tag erreichte. In der Hochschule sah ich Konstanze dann und konnte die Reaktion auf mein Geschriebenes ihrer Stimmung entnehmen, dem Blick, den sie mir zuwarf, der Art, wie sie ihr Haar trug, ihr schönes braunes Haar.
Ich schrieb jeden Tag einen Brief, mehr als einen Monat lang. Als ich damit aufhörte, begann Konstanze, die Briefe zu vermissen.
Heute, neun Jahre danach, wenn ich in der Straßenbahn sitze, denke ich, manchmal, an Konstanze.
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