Laß, Fürstin, laß noch einen Strahl (BWV 198)
1. CHOR
Laß, Fürstin, laß noch einen Strahl
aus Salems Sterngewölben schießen
und sieh, mit wieviel Tränengüssen
umringen wir dein Ehrenmal.
2. REZITATIV
Sopran
Dein Sachsen, dein bestürztes Meißen
erstarrt bei deiner Königsgruft,
das Auge tränt, die Zunge ruft,
mein Schmerz kann unbeschreiblich heißen.
Hier klagt August und Prinz und Land,
der Adel ächzt, der Bürger trauert,
wie hat dich nicht das Volk bedauert,
sobald es deinen Fall empfand.
3. ARIE
Sopran
Verstummt, verstummt, ihr holden Saiten.
Kein Ton vermag der Länder Not
bei ihrer teuren Mutter Tod,
o Schmerzenswort, recht anzudeuten.
4. REZITATIV
Alt
Der Glocken bebendes Getön
soll unsrer trüben Seelen Schrecken
durch ihr geschwungnes Erze wecken
und uns durch Mark und Adern gehn,
o könnte nur dies bange Klingen,
davon das Ohr uns täglich gellt,
der ganzen Europäerwelt
ein Zeugnis unsers Jammers bringen.
5. ARIE
Alt
Wie starb die Heldin so vergnügt.
Wie mutig hat ihr Geist gerungen,
da sie des Todes Arm bezwungen
noch eh er ihre Brust besiegt.
6. REZITATIV
Tenor
Ihr Leben ließ die Kunst zu sterben
in unverrückter Übung sehn,
unmöglich konnt es denn geschehn,
sich vor dem Tode zu entfärben.
Ach, selig, wessen großer Geist
sich über die Natur erhebet,
vor Gruft und Särgen nicht erbebet,
wenn ihn sein Schöpfer scheiden heißt.
7. CHOR
An dir, du Fürbild großer Frauen,
an dir, erhabne Königin,
an dir, du Glaubenspflegerin,
war dieser Großmut Bild zu schauen.
8. ARIE
Tenor
Der Ewigkeit saphirnes Haus
zieht, Fürstin, deine heitern Blicke
vor unsrer Niedrigkeit zurücke
und tilgt der Erden Dreckbild aus.
Ein starker Glanz von hundert Sonnen,
der unsern Tag zur Mitternacht
und unsre Sonne finster macht,
hat dein verklärtes Haupt umsponnen.
9. REZITATIV und ARIOSO
Baß
Was Wunder ist's, du bist es wert,
du Fürbild aller Königinnen,
du mußtest allen Schmuck gewinnen,
der deine Scheitel itzt verklärt.
Nun trägst du vor des Lammes Throne
anstatt des Purpurs Eitelkeit
ein perlenreines Unschuldskleid
und spottest der verlaßnen Krone.
So weit der volle Weichselstrand,
der Niester und die Warthe fließet,
soweit sich Elb und Muld ergießet,
erhebt dich beides, Stadt und Land.
Dein Torgau geht im Trauerkleide,
dein Pretzsch wird kraftlos, starr und matt;
denn da es dich verloren hat,
verliert es seiner Augen Weide.
10. CHOR Doch, Königin, du stirbest nicht,
man weiß, was man an dir besessen,
die Nachwelt wird dich nicht vergessen,
bis dieser Weltbau einst zerbricht.
Ihr Dichter, schreibt, wir wollen's lesen,
sie ist der Tugend Eigentum,
der Untertanen Lust und Ruhm,
der Königinnen Preis gewesen.
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