Keine Zustimmung für »Enduring Freedom«
15.11.2002: Persönliche Erklärung von Hans-Christian Ströbele zu TOP 10 der Bundestagssitzung am Freitag, den 15.11. 2002 (Enduring Freedom)
Die Teilnahme der Bundeswehr an dem Krieg gegen den Terrorismus im Rahmen von »Enduring Freedom« lehne ich nach wie vor ab.
Es ist zwar richtig, dass sich die politische Situation in Afghanistan durch den Kriegseinsatz im Rahmen von »Enduring Freedom« grundlegend geändert hat. Das Taliban-Regime ist beseitigt, El Quaida Ausbildungslager sind zerstört. Frauen gehen ohne Schleier, Mädchen besuchen die Schulen, überhaupt leben die Menschen in der Hauptstadt und in einigen anderen Landesteilen freier. Aber zur Befreiung der Frauen, für ein freieres Leben der Menschen wurde der Krieg nicht geführt. Die Beseitigung eines diktatorischen, die Menschenrechte missachtenden Regimes rechtfertigt keinen Angriffskrieg. Wie sollten wir auch sonst gegen einen Krieg gegen den Irak zur Beseitigung Saddam Husseins und seines Regimes argumentieren.
Offizielles Kriegsziel war der internationale Kampf gegen den islamistischen Terrorismus, die Verfolgung der Hintermänner der Anschläge in den USA vom 11.9. 2001. Diese sollten aufgespürt, gefangengenommen und zur Verantwortung gezogen werden; oder »bring to justice«, wie es in der UN-Resolution heißt.
Der Krieg wurde vom US-Militär von Anfang an nicht und wird bis heute nicht so, als eine Art Polizeiaktion geführt, um die für die Anschläge Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, wie Bundestagsbeschluss und UN-Resolution dies vorsehen.
Der Krieg ist schmutzig und grausam. Er wurde in Teilen als Vernichtungsfeldzug geführt. Flächenbombardements, Streubomben, Einkesseln und gnadenloses Vernichten von vermeintlich oder tatsächlich feindlichen Einheiten hatten den Tod von Tausenden von Menschen zur Folge. Über 6000 unbeteiligte Zivilisten wurden getötet und zu Krüppeln. Gefangene wurden nicht gemacht, weder bei der »versehentlich« angegriffenen Hochzeitsgesellschaft, noch beim Zusammenbomben des Konvois von Besuchern der Feierlichkeiten in Kabul, noch beim Auslöschen von Menschengruppen in den Bergen. Gefangene sollen auch gar nicht gemacht werden. Fallen doch mal Gefangene in die Hände der US-Armee, wie die in Kuba inhaftierten, dann findet kein rechtsstaatlicher Prozess statt. Extralegale Exekutionen, wie zuletzt im Jemen, gehören zur Kriegführung.
Die Bundeswehr hat die US-Kriegführung von Anfang an unterstützt. Unabhängig davon, wie die Unterstützung im einzelnen konkret aussieht, wie wichtig sie ist, ob sie etwa nur im Beobachten und Aufspüren besteht, die Bundeswehr ist Teil dieser Kriegführung und mitverantwortlich.
Zur wirksamen Bekämpfung des islamistischen Terrors ist dieser Krieg ungeeignet. Das angegebene Kriegsziel wurde nur zum geringen Teil erreicht. Bin Ladin, sein Stellvertreter und der Talibanführer Omar wurden im Krieg in Afghanistan nicht gefangen. Sie befinden sich weiter in Freiheit und wirken fort. Die wichtigsten Verdächtigen und die terroristischen Strukturen wurden aus Afghanistan in die Nachbarländer verdrängt. Dieser Krieg und insbesondere die gnadenlose Kriegführung droht auch zu einem Rekrutierungsprogramm für Terroristen weltweit zu werden, im arabischen Raum von Kuwait bis Marokko, aber darüber hinaus auch in Ländern wie Indonesien und Pakistan.
Die Bekämpfung dieses Terrorismus muss rechtsstaatlich mit polizeilichen Mitteln geschehen und zwar dort, wo er sich überwiegend organisiert und wo Attentäter ihre Ausbildung erhalten. Der Kampf mit polizeilichen Mitteln in Deutschland, Europa und in den USA war ungleich erfolgreicher bei der Zerschlagung terroristischer Strukturen und bei Festnahmen von Verdächtigen als der Krieg »Enduring Freedom«.
Es gibt eine Alternative auch zu diesem Krieg: In Europa und den USA und in anderen Ländern, wo Terroristen rekrutiert und ausgebildet werden, wie Saudi Arabien, Marokko, Pakistan, Indonesien, den Kampf gegen den islamistischen Terrorismus politisch und mit polizeilichen Mitteln fortzusetzen und zu intensivieren.
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