Cocomo
oder
der Junge, der nicht sprechen wollte
„Hast du Hunger mein Sohn?“, fragte sie ihn, doch er antwortete nicht. „Hast du Lust schwimmen zu gehen“, fragte ich ihn, doch er antwortete nicht. „Sollen wir nach oben gehen“, fragte sie ihn, doch auch diesmal antwortete er nicht. Warum nicht? Warum sprach dieser Junge, der nun seit mehr als einer halben Stunde mir gegenüber am Mittagstisch saß, seit zwei Wochen weder mit meiner Frau, noch mit seiner Schwester und auch nicht mit mir, seinem Vater. Ich wusste ja warum und ich konnte ihn auch verstehen, aber jede Schnecke kommt einmal aus ihrem Schneckenhaus- warum er nicht? Auch mich traf das Schicksal des kleinen Konstantin schwer. Er war der beste Freund meines Sohnes gewesen und ich sehe die Bilder des Grillfestes von vor zwei Wochen vor mir, als wäre es gerade eben erst passiert: Zwei Jungs, beide sieben Jahre alt, klettern auf einen Baum. Einer der Beiden verliert das Gleichgewicht und fällt hinunter, auf den Kopf- er war sofort tot.
Seitdem redet er nicht mehr, isst nicht und wird immer schwächer. Er ist blass, hat abgenommen. Den ganzen Tag ist sein Blick auf den Boden gerichtet. Er hatte seinen besten Freund verloren.
Drei Wochen nach dem Unglück kam ein Zirkus in unsere Stadt. Als ich meinen Sohn fragte, ob er hingehen wollte, antwortete er nicht. Ich war am Ende, konnte sein Schweigen nicht mehr ertragen und sein leerer Blick rammte mir jedes Mal ein Messer ins Herz. Ich nahm ihn mit zum Zirkus. Und als die Vorstellung schon fast zu Ende war und mein Sohn zwei Stunden lang seinen Blick auf den Boden gerichtet hatte und kein einziges Mal aufgesehen hatte, kam ein Mann in die Manege. ER blieb in der Mitte stehen und erst als es dunkel wurde im Zelt und der helle Scheinwerfer auf den Mann gerichtet war, sah man, dass er weinte. Er hatte ein Mikrophon in seiner zitternden Hand und sprach: „In diesem Zelt gibt es einen Jungen, der vor einigen Wochen seinen besten Freund verloren hat. Ich weiß was es heißt, einen Freund zu verlieren, denn ich habe mit sieben Jahren meinen Freund, meinen besten Freund ertrinken sehen. Ich sprach lange Zeit nicht mehr und irgendwann schleppte mich mein Vater in einen Zirkus. Am Ende der Vorstellung kam ein Mann in die Manege- er weinte. . Er erzählte eine Geschichte und ich wusste, dass er mich damit ansprechen wollte. Als er mit der Geschichte geendet hatte, holte er mich zu sich in die Manege.“
Mir rollten bei den Worten des Mannes die Tränen über die Wangen und noch mehr, als ich sah, dass mein Sohn den Blick vom Boden abwand und in die Manege blickte. Der Mann dort nickte ihm zu und mein Sohn stand auf und ging hinunter. Während mein Sohn in die Manege lief, zog der Mann etwas aus einer kleinen Holzkiste, die neben ihm stand.
Es war eine Marionette.
Als mein Sohn vor ihm stand, fuhr der Mann fort: „Damals gab er mir diese Puppe und sagte: „ Das ist Cocomo, er ist der beste Freund der Welt“ und ich glaubte ihm. Ich wusste, er hatte Recht.“ Der Mann drückte meinem Sohn die Puppe in die Hand.
Und durch meine feuchten, verschwommenen Augen sah ich in der Manege einen großen und einen kleinen Mann stehen, die sich in den Armen hielten und weinten- und das ganze Publikum weinte mit ihnen!
ENDE
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