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Märchenonkel schrieb am 12.12. 2015 um 17:32:14 Uhr über

Storchenbeine

Onkel Storch war vom Waschbären zum Geburtstag eingeladen worden. Einladungen empfing er gern, doch bedauerlicherweise hatte er keine passenden Stiefel. Sonst hatte er fast alles, ein weißes, gestärktes Hemd, eine Krawatte, einen schwarzen Frack und sogar seine berühmten roten Strümpfe. Nur eben keine Stiefel. Der Storch ging zur Grille.
„Grillchen“, sagte er, „borge mir doch bitte deine Stiefel. Ich bin eingeladen worden und muss daher schick aussehen!“
Meine Stiefel will ich dir gern borgen“, entgegnete die Grille, „nur bezweifle ich, dass sie dir auch passen.“
Der Storch probierte, doch die winzigen Stiefelchen der Grille gingen ihm nicht mal über den kleinen Zeh.
Also wandte sich der Storch zu einem größeren Tier, dem Rhinozeros.
„Rhinchen“, sagte er, „für einen Abend würde ich mir gern deine Stiefel leihen.“
Hm“, meinte das Rhinozeros, „dass sie dich nur nicht drücken!“
Der Storch probierte, doch bald wäre er in solch einem Stiefel versunken. Er fand kaum heraus. Schon ganz ratlos wanderte Onkel Storch nun zum Uhu.
Onkel Uhu“, sagte er, die Stimme tränenzitternd, „wie soll ich ohne Stiefel zum Geburtstag gehen? Hast du nicht was Passendes für mich?“
Onkel Uhu rückte sich die Brille auf seinem Krummschnabel zurecht. Er war grundgelehrt und wusste selbst über die Entstehung des Universums Bescheid.
Onkel Storch“, sagte er nach kurzem Überlegen, „Stiefel habe ich nicht. Aber ich kann dir einen guten Rat geben. Fliege zum Sumpf und suche dir dort eine recht morastige Stelle. Dort stehe vier Stunden lang. Schwarzer Schlamm wird sich an deinen Strümpfen festsetzen, und so erhältst du Stiefel, die dir wie angegossen passen.“
Der Storch bedankte sich beim Uhu und flog ins Sumpfgebiet. Beim Waschbären waren schon viele Gäste versammelt, der Buchfink, das Stinktier, der Luchs, die Schildkröte, das Wiesel, der Ochsenfrosch, das Rhinozeros, die Grille, das Reh und der Uhu. Man vergnügte sich bereits aufs Beste, als Onkel Storch erschien. Mit großer Anmut verneigte er sich vor Gevatter Waschbär, beglückwünschte ihn und überreichte ihm einen frischen Fisch. Der Waschbär war hocherfreut, doch als seine Blicke auf die Storchenbeine fielen, brach er in schallendes Gelächter aus. Und alle Gäste stimmten in sein Lachen ein. Allein Onkel Uhu blieb ernst und flüsterte dem Storch zu: „Mein lieber, wenn du dir mal wieder neue Stiefel zulegst, dann steh nicht auf einem Bein im Morast!“
Denn nur an einem Bein war der Storch gestiefelt!



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