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Die Leiche schrieb am 10.7. 2011 um 10:58:35 Uhr über

Stürenburg

Amtsgerichtsrat a.D. Stürenburg hatte gerade die Geschichte von dem Triebmörder beendet, der seinem Opfer bei lebendigem Leibe die Gliedmaßen mit einer Kettensäge abgetrennt hatte. Frau verw. Dr. Warning, erleichtert darüber daß sie endlich zuende war, hatte die Hände auf die mageren Brust verschränkt hielt. „Emmeline“ sprach sie zu ihrer Nichteda siehst Du mal wieder, was die Männer doch für Kerle sind! Halt Dich bloß von Ihnen fern !“ Hauptmann v. Dieskau meckerte ungehalten über die umständliche, völlig ineffektive Methode der Tötung. Apotheker Dettmer stand der kalte Schweiß auf der runden Stirn. Aufgeregt lutschte er an seiner Brasil, als Hagemann auf der Terrasse erschien, und seinem Herrn sehr förmlich auf silbernem Tablett einen größeren Umschlag überreichte, der wohl gerade mit der Abendpost eingegangen war. Amtsgerichtsrat a.D. Stürenburg las den Absender und lächelte derart verschmitzt, daß Frau verw. Dr. Warning ihre Nichte Emmeline abermals an den See schickte, die ob dieser Beurlaubung aus der Gesellschaft nicht unzufrieden schien. Als Emmelines blonder Pferdeschwanz hinter den Gartensträuchern verschwunden war, öffnete Stürenburg den Umschlag und zeigte grinsend den Inhalt. Apotheker Dettmer rückte gleichzeitig auf die Kante seines Korbsessel nach vorne und seine Brille zurecht. Frau Dr. Warning erschrak nochmalsAlso !“ rief sie entrüstet. Hauptmann von Dieskau dagegen keckerte vergnügt: »Fast wie im Kasino heuteUnd auch ich wußte vor Verlegenheit zunächst nicht, was ich mit meinen Händen anfangen sollte. Es war ein Pornoheft, auf dem mit einer Büroklammer ein Zettelchen angebracht war. Stürenburg nahm den Zettel ab, und reichte das Magazin an Hauptmann von Dieskau, der sogleich mit soldatischer Gründlichkeit an Inspektion des Inhaltes ging.

"Tja, liebe Freunde - sie fragen sich zurecht, wie ich zu solchen Zusendungen komme, und ich will sie nicht lange auf die Antwort warten lassen:
In unserer Referendargruppe seinerzeit nach dem ersten Examen war unter anderem ein junger Kollege gewesen, der sich von uns anderen armen Schluckern, die meist mit den Referendarbezügen erstmals ein regelmässiges, eigenes Einkommen erhielten, durch auffallend zur Schau getragenen Wohlstand abhob. Er war nicht nur teuer gekleidet, sondern fuhr auch in einem Mercedes-Coupé zu unseren Lehrgängen und zu seinen Ausbildern vor. Auf Nachfragen lies sich der Kollege, der sich ansonsten eher bescheiden und zurückhaltend zeigte, dahingehend ein, aus vermögendem Hause zu kommender Achtzylinder sei der abgeschriebene Geschäftswagen seines Vaters. „Dolle Sauerei !“ lies Hauptmann v. Dieskau vernehmen, und bot das Magazin mit gespielter Höflichkeit Frau verw. Dr. Warning an, die entsetzt abwehrte und zu Apotheker Dettmer hinüberwies. „In den Gesundheitsberufen kennt man dergleichen!“ versetzte der rundliche Apotheker und begann alsbald zu blättern.

Stürenburg fuhr fort. „Eines Tages hatte ich auf der Personalkanzlei zu tun, und kam mit einer der Inspektorinnen ins Gespräch. Auch dort war der Kollege schon Gesprächsthema. Man nannte ihn allgemein nur den „Achtzylinder“. Die Inspektorin raunte mir zu, daß seine Personalakte nicht den geringsten Rückschluß auf vermögende Eltern zulasse – hingegen hatte der „Achtzylinder“ ganz beträchtliche, unsere Referendarbezüge sogar überschreitende Nebeneinkünfte als „selbstständiger Schriftsteller“ angegeben – weswegen der „Achtzylinder“ von den Damen der Personalkanzlei mit einer gewissen Hochachtung behandelt wurde, die sich auch auf uns Referendare übertrug: der junge Kollege, obwohl bereits ein erfolgreicher Schriftsteller, vollendete gleichwohl nicht nur seine juristische Ausbildung, sondern bemühte sich augenscheinlich auch bescheiden,seine Kollegen nicht mit Demonstrationen seines literarischen Erfolges zu beschämen. Unser Interesse jedenfalls war durch diesen Umstand natürlich erneut entfacht.

Hagemann erschien abermals auf der Terrasse, und servierte Frau verw. Dr. Warning einen stärkenden Kelch Holundersekt, während wir Herren ein kühlendes Bier eingeschenkt bekamen. „Gerade recht !“ seufzte Hauptmann von Dieskau, und leerte sein Glas in einem Zug. Apotheker Dettmer, immer noch in die ungewohnte Pornographie versunken, hatte unterdessen seine Brasil ausgehen lassen. Ich selbst mußte mich konzentrieren, um Stürenburgs Erzählungen die gehörige Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassenzu deutlich konnte ich schon allerlei Fleischlichkeiten zwischen Apotheker Dettmers dicken Fingern erkennen. Fast unhörbar leise hörte ich Apotheker Dettmer ebenfalls flüstern: „Wirklich eine dolle Sauerei, das !“

„Jenun !“ fuhr Stürenburg fortWir durchwühlten natürlich sofort die erreichbaren Bibliotheken, erkundigten uns in mehreren Buchhandlungen – doch unter seinem Namen war nirgendwo etwas zu ermitteln gewesen. Das verstärkte unsere Neugierde natürlich nochmals : der Kollege veröffentlichte wohl unter Pseudonym ! Eines Tages schließlich hatten wir uns in der Landgerichtskantine zu einem Feierabendbierchen versammelt, da fielen wir über unseren rätselhaften Autor her. Wir waren gerade bei der Staatsanwaltschaft in Ausbildung gewesen, traktierten ihn scherzhaft mit wissenschaftlich approbierten Verhörsmethoden, forderten ein Geständnis. Einer Übermacht von einem Dutzend Kollegen ausgesetzt, brach der rätselhafte Autor schließlich zusammen. „Ich bin Pornograph!“ erklärte er sichund wir waren natürlich erst einmal sprachlos.“ Stürenburg unterbrach seine Erzählung, um sich an dem von Hagemann servierten Bier zu laben. „Zum Wohle meine Dame, meine Herren !“ prostete er uns höflich zu, was auch Apotheker Dettmer endlich dazu veranlasste, das fleischfarbene Heftchen aus den Händen zu legenich ergriff die Chance sofort. „Schauen Sie in die Mitte, zur der Geschichte ! Überfliegen Sie sie mal, junger Mann !“ Stürenburg setzte sein Glas ab.

Unser Kollege schrieb also Pornographische Geschichtenseit seiner Studentenzeit. Und in solchen Heftchen, wie sie gerade eines in Augenschein nehmen, werden sie veröffentlicht. Das spart teure Fotos, und die Leser solcher Heftchen wollen ja auch was zu lesen haben, hähä. Und da unser Kollege streng systematisch vorgegangen war, und seine Erzählungen bundesweit an die kleinen Verlage versandte, ereichte er relativ rasch noch als Student ein Einkommen, daß über dem eines Amtsgerichtsrates lagdas muß man sich mal vorstellen ! Mit Pornographie !“ Apotheker Dettmer, der immer noch gelegentlich auf das in meinen Händen befindliche Heftchen linste, bestätigte: „Die Umsätze mit Kontrazeptiva sind schon seit jahrzehnten zu einem unverzichtbaren Standbein der Pharmazie geworden!“ Frau verw. Dr. Warning seufzte beklommen, während Hauptmann v. Dieskau sich aus den von Hagemann bereitgestellten Bierflaschen erneut einschenkte. „Wie gut, daß Emmeline beim Schwimmen ist ! Nicht wahr Hagemann?“ Hagemann, der gerade eine Platte mit appetittlich belegten Brötchen herumreichte, bestätigte es Frau Dr. Warning: „Ich habe sie eben noch am Bootshaus gesehen, noch im Badeanzug, gnädige Frau !“

Amtsgerichtsrat a.D. Stürenburg hatte gerade einem Schinkenbrötchen zugesprochen, dann nahm er die Erzählung wieder auf. „Es war wohl selbstverständlich, daß unser Pornograph, wie er sich nannte, sich keinerlei Hoffnungen auf eine Verwendung im Staatsdienst machen konnte. Ja schon an seiner Zulassung zum Assessorexamen schien er zu zweifeln, hatte schon begonnen, Präjudizien zu sammeln. Immerhin wimmelt es in den Ausbildungs- und Berufsordnungen für uns Juristen nur so von Begriffen wie Würdigkeit, angemessenem Betragen auch aussererhalb des Dienstes und dergleichen.“ – „Sehr richtig!“ versetzte Hauptmann v. Dieskau, der schon mit seiner dritten Flasche Bier zugange war. „Nun, die Examenszulassung und das Examen war für unseren Kollegen mit dem lukrativen Nebenverdienst dann doch kein Problem gewesenzumal wir als seine eingeweihten Kollegen eisern über den pornographischen Charakter seiner Nebentätigkeit schwiegen. Er ist dann alsbald nach seinem Examen als Justitiar bei der Beate Uhse AG eingetreten, wo er lange sehr gut bezahlt worden ist.“ Frau Dr. Warning schüttelte abermals den Kopf. „Ausserdem hat er seine ‚schriftstellerische‘ Nebentätigkeit nie aufgegeben. Das Heftchen, das sie gerade gesehen haben, enthält seine jüngste Veröffentlichung. Er wohnt inzwischen auf der anderen Seeseite, in einer Villa in der Eilenriede – lukrativ scheint sowas ja zu sein. Und das hierStürenburg hob den Zettel hoch, der an das Heftchen angeklemmt gewesen warist die Einladung zu seinem diesjährigen Sommerfest.“

Emmeline, inzwischen wieder anständig in Rock und Bluse, war auf die Terrasse getretenfür Frau verw. Dr. Warning Anlaß zum verfrühten Aufbruch. Was mochte Amtsgerichtsrat a.D. Stürenburg heute abend noch alles für Ungeheuerlichkeiten präsentieren ? Als die Damen gegangen waren, rief Stürenburg Hagemann herbei, sein unermüdliches Faktotum. „Hier Hagemann, tus zu den anderen ins Bootshaus!“ Und zu uns gewandt: „Im Hause möchte ich soetwas dann doch nicht haben, Sie verstehen, meine Herren ?“ Hauptmann v. Dieskau schnarrte einSehr korrekt!“ Und Apotheker Dettmer echote in sein fast geleertes Bierglas hinein: „Ins Bootshaus .“

Nachdenklich gingen wir auseinander. Fast jeden Nachmittag war Fräulein Emmeline am Bootshaus des Amtsgerichtsrats a.D. Stürenburg zum Schwimmen gewesen in diesem Sommer. „Fast jeden Nachmittag“ echote wieder Herr Apotheker Dettmer, als wir uns an der Strassenecke trennten.


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