Ich fasse das Schreiben von Texten auch als Verantwortung für die Pflege der eigenen Ausdrucksmöglichkeiten auf. Damit möchte ich einen Beitrag leisten, den gedankenlosen Angriffen auf unsere Sprache entgegenzuwirken, die sich in Formulierungen wie den folgenden zeigen:
„Genießen Sie die knusprig-feurigen NIC NACs. The double-crunch Peanuts. Erst nict man die köstliche Hülle, dann nact man die knackige Erdnuß. Das ist Snacken auf die junge Art. NIC NACs. Turn it up!“
„Miles & More führt ein flexibles Upgrade-Verfahren ein: Mit dem neuen Standby-Oneway-Upgrade-Voucher kann direkt beim Check-in das Ticket aufgewertet werden.“
„Mein Leben ist eine giving-story. Ich habe verstanden, daß man contemporary sein muß, das future-Denken haben muß. Meine Idee war, die handtailored Geschichte mit neuen Technologien zu verbinden. Und für den Erfolg war mein coordinated concept entscheidend, die Idee, daß man viele Teile einer collection miteinander combinen kann. Aber die audience hat das alles von Anfang an auch supported. Der problembewußte Mensch von heute kann diese Sachen, diese refined Qualitäten mit spirit auch appreciaten. Allerdings geht unser voice auch auf bestimmte Zielgruppen. Wer Ladysches will, searcht nicht bei Jil Sander. Man muß Sinn haben für das effortless, das magic meines Stils.“
Wenn sich in diesen Zitaten englische Wörter in auffälliger Menge finden, soll damit nicht Position gegen die englische Sprache bezogen werden. Im Gegenteil: Daß es bei uns englischsprachige Kinos und englischsprachiges Radioprogramm gibt, ist eine Wohltat für all jene, die sich von der fürchterlichen Mischung aus schlechtem Englisch und noch schlechterem Deutsch, das ihnen täglich vorgesetzt wird, erholen möchten. Etwa von Wörtern aus der Textilbranche: „Basics“, „Classics“, „Casual Wear“ oder – als besonderes Beispiel – „Ausstatter-Socks“, womit Strümpfe (englisch: stockings) gemeint sein sollen. Im Fernsehen laufen amerikanische Spielfilme, die sich in der jeweiligen Originalfassung zuweilen durchaus gehobenen englischen Sprachwitzes bedienen, jedoch in einer hochtourigen Synchronisationsmaschine gedankenlos mit jenem miesen Dummdeutsch verkleistert wurden, das sich durch alle Seifenopern und kommerziellen Serien zieht und von dort aus immer weiter in die Gesellschaft ausgreift. Die Alternative zu schlechtem Englisch ist also offenbar schlechtes Deutsch, doch in der Regel greift man auf der Suche nach flottem „Neudeutsch“ gerne zu Englischem. Was wird damit bezweckt? Was hat man davon, Rundschreiben als Mailings, Arbeitsmaterialien als Handouts, Broschüren als Reader und Unternehmertum neuerdings als Entrepreneurship zu bezeichnen, wo doch die bekannten und treffenden deutschen Wörter die jeweilige Sache präzise bezeichnen? Verbirgt sich hinter der Sprachglobalisierung, wie sie sich derzeit in Mitteleuropa vollzieht, nichts weiter als Einfältigkeit? Es scheint auch das Argument der Politikwissenschaft, für die von ihr gebrauchten Begriffe policy, polity und politics gebe es einfach keine eindeutigen deutschen Wörter, sondern nur absatzlange Erklärungen, nicht ganz zuzutreffen.
Dennoch müssen wir differenzieren. Es ist ein Unterschied, ob sich in einer wissenschaftlichen Disziplin ein Begriff weltweit eingeführt hat und verwendet wird, egal ob er lateinisch oder englisch ist, oder ob jemand einfach durch sprachlichen Unfug versucht, sich besonders wichtig zu machen. Längst hat man erkannt, daß die Waschmittel in Wirklichkeit nicht immer besser werden, sondern sich hauptsächlich durch moderne Attribute wie extra, supra, ultra und mega verändern – wobei man raten darf, ob es demnächst hyper oder meta heißen wird. Keineswegs darf man sich dem Irrtum ergeben, alles sei in Ordnung, wenn nur auf englische Wörter verzichtet würde. Abgesehen davon, daß es eine ganze Reihe sinnloser bis sinnverdrehender Anglizismen gibt, die ganz ohne englische Wörter auskommen, wird die deutsche Sprache in einem Maß vernachlässigt, das zu denken gibt. Der derzeit beliebteste und bestgetarnte Anglizismus in der deutschen Sprache ist das dynamische „Sinn machen“ (von englisch: to make sense = Sinn ergeben, sinnvoll sein; to make sense of = verstehen). Sinn kann etwas haben, geben, ergeben oder eben nicht; man kann Sinn haben, hineinlegen, deuten; machen kann man nur Unsinn.
Neue Wörter tauchen auf, und weil sie schick sind, verbreiten sie sich in Windeseile. „Andenken“ ist ein Wort, das es immerhin schon seit dem 18. Jahrhundert gibt, nicht aber in der ganz neuen Bedeutung einer gerade beginnenden geistigen Tätigkeit: „Jemand hat das schon angedacht“. Und auch hier stellt die Werbebranche wieder die Avant garde: Nudeln werden als kultig bezeichnet, Papiertücher gibt es von der Super-Saugweg-Wischkraft-Rolle. Die Sprache im deutschsprachigen Raum steuert auf einen Zustand zu, wo jeder aus einem Müllhaufen aus Phrasen und Sinnlosigkeiten zusammenklauben kann, womit er seine Gedanken zu kleiden beabsichtigt. Doch auch wenn man Tendenzen des Trendsettings völlig außer acht läßt, darf man sich fragen, wie weit es denn mit den Inhalten der Schulbildung bei manchen Schreibenden her ist. Moderatoren und Nachrichtensprecher, Kommentatoren und Politiker sind nur ein Teil der Träger immer schlimmerer Sprachreproduktion. Der „Spiegel“ schreibt als Überschrift: „Pfusch am Herz“, im Fernsehen und im Radio kann man hören: „Heute gedachte die Stadt dem Tod von zwei Bergleuten…“, „Dank den Spenden und der Hilfe unserer Zuschauer…“ oder „Es ist ein Ort, an dem die Leute mit Freude hinkommen…“. Um die Sprache in Tageszeitungen steht es nicht besser. „Diese Ausstellung macht einmal mehr deutlich…“, wobei abgesehen von einem weiteren beliebten Anglizismus (von englisch once more = noch einmal) impliziert ist, daß die Ausstellung es schon einmal deutlich machte; „Die Tankstelle wird nur von Dienstwagen benützt,“ die ihre Fahrer anschließend mit einem vollen Tank überraschen; „Auf dem Friedhof kam es zu wilden Gefechten zwischen Gräbern und Gruftdeckeln,“ wobei man sich fragt, ob die Gräber oder die Gruftdeckel gewonnen haben; „Nur selten kommt der Luchs von Natur aus vor,“ gemeint ist sein Vorkommen in der freien Natur; „Ehe sie das Amt als Generalsekretärin annahm…,“ wobei sie also schon Generalsekretärin war; „Reimann zog von 1949 bis 1956 in den Nationalrat ein,“ „ÖVP will eigene Initiative ergreifen,“ nicht etwa die eines anderen; „…deckte alle Bereiche ab,“ – waren die Bereiche zugedeckt oder verendet?
Diese Liste ließe sich täglich um tausende Beispiele aus Zeitungen, Zeitschriften und anderen Publikationen erweitern. Die Schlußfolgerungen sind düster; in einer Welt, die sichtlich zusammenrückt, in der das Bildungsniveau immer weiter absinkt und Bildungsstandards an den Schwächsten angelegt werden, um ihnen „das Lernen zu erleichtern“, darf man einfach nicht mehr erwarten, daß in den Tageszeitungen und anderen Medien alles auf Punkt und Komma stimmt. Auch wenn man es zunächst als kleinen Flüchtigkeitsfehler abtut, daß es in einer Zeitschrift heißt: „Die Entdeckung des Kaffee“ – im Inhaltsverzeichnis steht es ganz genauso. Es sind keine Fehler im Sinne einer ansonsten entwickelten Schrift- und Sprachkultur, sondern Manifestationen ihres Verschwindens. Solche Manifestationen lassen sich klassifizieren, ohne daß jedoch diese Aufstellung Anspruch auf Vollständigkeit erheben dürfte:
1. Echte Anglizismen
„Powerjobs für Girlies“, „Nach Verteilung der To-do-lists…“, „VOR Nightline“. Die Anglizismen gehören zu den Fremdwörtern, die hier aus Platzgründen völlig unberücksichtigt bleiben.
2. Versteckte Anglizismen
„…machte die Veranstaltung keinen Sinn“, „Standardtarif“, „…traf einmal mehr auf…“, „Netzwerk“ – dazu seien auch schlechte Übersetzungen gezählt, die aus der Amerikanischen Regierung eine Administration im Sinne von Verwaltung (von englisch administration = Regierung) machen oder die deutsche Form eines griechischen Wortes durch dessen englische Form ersetzen: Technik wird zur Technologie (von englisch technology = Technik)
3. falsch verwendete oder nicht existierende Ausdrücke
„Autobus-Unglück fordert zwei Tote“, „Auch der rosigste Optimist…“, „Dies ist nicht einfach dadurch zu erreichen, indem man…“, „Der Streik der Kohlebergleute…“, „…unweigerliche Schwierigkeiten…“, „Widersprechende Polizeiberichte…“ – ferner die gewaltsamen Verweiblichungen, die aus neutralen Begriffe Unwörter wie „Kurierin“ und „Autorin“ machen.
4. falsche Grammatik
„…während der zwanziger und dreißiger Jahren“, „Finanzielle Bedingungen stellte er keine“, „…mit Deutschland, dem nördlichen Nachbar…“, „…Restbestände sind keine mehr vorhanden…“, „…versetzt einem in Erstaunen“, „Straßen erstrecken sich auf einer Länge von…“ – Konjugation und Deklination sind keine hermetischen Wissenschaften, die nur wenige Eingeweihte beherrschen, sondern sie lassen sich erlernen. Schließlich hat sich auch allgemein herumgesprochen, daß sich der „einzige“ eben nicht zum „einzigsten“ steigern läßt.
5. falsche Rechtschreibung
„Gottseidank“, „Die Schwesternstadt von…“, „Kanditaten“, „Schadensersatz“, „Diezöse“, „Lybien“ – hierzu gehören Fehler, die sich bis vor einiger Zeit noch relativ gut durch den Gebrauch des Dudens vermeiden ließen; heute ist die Verwendung des Wörterbuchs schon sehr heikel.
6. falsche Verwendung von Zeichen
Damit sind zum Beispiel falsche Anführungszeichen gemeint: »…«, “…”, ”…”, “…„ – außerdem unvermittelte Großbuchstaben mitten im Wort. Damit soll typographische Originalität gezeigt werden, die in Wirklichkeit nicht vorhanden ist.
Was ist die Folgerung? Daß die Sprache ständig fremde Wörter aufnimmt und sich ständig verändert, ist nichts neues. „Ziegel“, „Fenster“ und „Nummer“ verdanken wir den Römern, „Alkohol“ den Arabern, und zahllose andere Wörter stammen aus weiteren Sprachen und Kulturen, etwa „Reibach“, „Powidl“, „Tohuwabohu“, „Rhythmus“, „Tomate“ und „Paprika“. Manche Wörter haben richtige Sprachreisen hinter sich, etwa das ursprünglich aus der deutschen Sprache stammende Wort Mannequin (von niederländisch mannekijn = Männchen). Etymologie ist faszinierend und gibt Aufschluß über kulturellen Austausch. Gegen sprachliche Weiterentwicklung soll auch gar nichts gesagt werden, und regionale Unterschiede sind gleichermaßen interessant und erhaltenswert. Das sich abzeichnende Kauderwelsch hat jedoch andere Ursachen. Man hält es für den bezahlbaren Preis für Weltläufigkeit und kosmopolitische Gesinnung, unverzichtbar im Zeitalter der Globalisierung. Doch zeichnete sich die Haltung, die einmal „weltbürgerlich“ hieß, gerade dadurch aus, daß ihre Träger kulturelle und sprachliche Unterschiede bewußt schätzten, ausschöpften und genossen. Diese Haltung ging von der Kenntnis dieser Unterschiede – also Bildung – und von Liebe und Respekt gegenüber den jeweiligen Eigenarten der eigenen wie der fremden Sprache und Kultur aus. Das, was sich heute „kosmopolitisch“ gibt und dabei Phrasen von „Global village“ und „one world“ plappert, ist kein neues Weltbürgertum, sondern zeigt, daß es als kenntnis-, empfindungs- und gedankenleeres Weltbanausentum von einem dumpfen und spießbürgerlichen Ressentiment gegen alles „Nichtglobale“ getrieben ist. Das Zugehen auf die andere Kultur fängt freilich beim Erkennen der eigenen an.
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