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Tanna schrieb am 11.12. 1999 um 11:36:52 Uhr über

SpheX

Wenn die Zeit des Eierlegens kommt, errichtet die Wespe Sphex zu diesem Zweck einen Bau und sucht sich eine Grille, die sie so sticht, daß diese gelähmt, aber
nicht tot ist. Sie schleppt die Grille in den Bau, legt ihre Eier daneben, verschließt den Bau, und fliegt dann davon, um nie mehr zurückzukehren. Bald schlüpfen die
Larven aus den Eiern und ernähren sich von der gelähmten Grille, die nicht verwest ist, da sie so aufbewahrt wurde, wie das bei den Wespen der Tiefkühlung
entspricht.

Für den menschlichen Verstand sieht ein so umsichtig organisiertes und anscheinend zweckeingerichtetes Vorgehen überzeugend nach Logik und Voraussicht aus -
bis man zusätzliche Einzelheiten prüft.

Zum Beispiel geht die Wespe so vor, daß sie die gelähmte Grille zum Bau bringt, an der Schwelle liegenläßt, hineingeht, um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist,
wieder herauskommt und dann die Grille hineinzerrt. Wenn diese um ein paar Zentimeter verschoben wird, während die Wespe ihre Inspektion durchführt, bringt
sie sie beim Verlassen des Baus zurück zur Schwelle, aber nicht in den Bau hinein, und wiederholt dann die Vorbereitungsarbeiten, nämlich den Bau zu betreten
und nachzusehen, ob alles in Ordnung ist.

Wenn die Grille erneut um einige Zentimeter entfernt wird, während die Wespe im Bau ist, wird sie noch einmal die Grille zur Schwelle befördern und den Bau für
die abschließende Prüfung betreten. Die Wespe denkt nie daran, die Grille direkt hineinzuzerren. In einem Fall wiederholte sich dieses Vorgehen vierzigmal mit
immer dem gleichen Ergebnis.

Man kann natürlich bemerken, daß sich vielleicht nicht die Wespe, sondern der Experimentator in einem ausgefahrenen Geleis bewegte - doch Scherz beiseite, dies
enthüllt den mechanischen Unterbau eines Vorgangs, der ganz wie überlegtes Verhalten aussieht, Schockierend, wenn man bedenkt, daß es sich um ein Lebewesen
handelt.

Am Verhalten der Wespe scheint etwas höchst Unbewußtes zu sein, etwas total Gegensätzliches zu dem, worauf wir unserer Meinung nach aus sind, Insbesondere,
wenn wir über unser eigenes Bewußtsein sprechen. Ich schlage vor, von der hier dargestellten Eigenart als Sphexität und von ihrem Gegenteil als Antisphexität (ein
ganz schön verhextes Wort, wenn man es ausspricht!) zu sprechen, und dann sage ich, daß Bewußtsein nichts anderes ist, als im höchstmöglichen Maße Antisphexität
zu besitzen.

Der springende Punkt ist, daß Sphexität und Antisphexität zwei Extreme in einem kontinuierlichen Zusammenhang sind. Ich möchte ein paar Beispiele geben, die
entlang dieses Kontinuums verteilt sind, indem ich mit dem sphexischsten beginne und mit dem antisphexischsten aufhöre:

1. Eine hängengebliebene Schallplatte. Dies kann von besonderer Ironie sein, wenn es eine Aufnahme von etwas ist, das einen vibrierenden, lebensnahen
Dynamismus an sich hat (so wie die Musik des zeitgenössischen Komponisten Steve Reich), und die Illusion dann durch die mechanische Wiederholung der auf und
ab springenden Nadel zerschellt.

2. Die Sphex-Wespe selbst, sowie andere Vertreter aus der Welt der Insekten. Nehmen wir beispielsweise an, in ihrem Schlafzimmer befindet sich eine Mücke.
Sie versuchen, sie zu erwischen, schlagen aber daneben. Sie fliegt los und surrt im Zimmer herum, bis sie Sie, sagen wir mal, aus den Augen verloren hat. Doch
nach einer Weile läßt sie sich wieder nieder, und Sie entdecken sie an der Wand. Wieder versuchen Sie, sie zu erwischen, und wieder schlagen Sie daneben.

Während sich dieser Zyklus so fortsetzt, ist sich die Mücke da der Wiederholung bewußt?

Merkt sie langsam, daß gegen sie ein organisiertes Komplott im Gange ist, oder kommt jeder neue Ansatz, sie mit einem Schlag umzubringen, genauso unvermittelt
und ungeahnt, als hätte sie ihn noch nie erlebt, wie beim zuvor daneben gegangenen? Formuliert die Mücke etwa eine solche Vorstellung wie "Der Seelenträger
versucht mich wohl umzubringen"? Das scheint höchst zweifelhaft. Also Pech für die Mücke (aber Glück für Sie).

3. Eine zusammengepferchte Herde Rindviecher, die darauf warten, das Brandeisen aufgedrückt zu bekommen. Es herrscht allgemeine Aufregung und Tumult
infolge des lauten Gebrülls, das jede Kuh in dem Moment von sich gibt, in dem sie gebrandmarkt wird, und das von den ganz in der Nähe stehenden Kühen
weiterverbreitet wird. Aber erkennt jede Kuh im Pferch das umfassende Muster?

Ist ihr gesteigerter Erregungszustand auf die Tatsache zurückzuführen, daß die Kuh sieht, was auf sie zukommt, oder ist es eher einfach eine Art vager
ahnungsvoller Furcht, vielleicht bloß ein erhöhter Adrenalinspiegel ohne besondere Bedeutung oder ohne eine speziell auf etwas Bezug nehmende Qualität?

4. Ein Hund, der jedesmal auf eine Bewegung hereinfällt, mit der man so tut, als werfe man einen Ball, diesen aber nicht aus der Hand fliegen läßt, Eigentlich
kenne ich keinen Hund, der auf so einen lausigen Trick hereinfiele. Einen Hund kenne ich allerdings (der ungenannt bleiben sollte - obgleich er zufällig ein
Airedaleterrier ist) der nicht kapierte, wenn ich sein Spielzeug einen Treppenabsatz höher warf, statt nach unten in die Halle (wo er es erwartete). Ich führte ihn
die Treppe hoch und zeigte ihm, wo es lag. Ich erwartete, daß er das nächste Mal wisse, daß er nach oben gehen muß. Aber nichts da. Er rannte einfach wieder
nach unten. Selbst nachdem ich sein Spielzeug weitere fünfzehn Male nach oben geworfen hatte, rannt er immer noch die Treppe hinunter, um wieder
zurückzukehren und ganz kofus dreinzuschauen. Armes Hündchen!
Gewiß, während der siebzehn Male, die eine Qual waren, setzte er ein paarmal an, den Weg nach oben zu nehmen, aber jedesmal nur ein Stück, und kehrte dann
wieder um, um mit hochgestelltem Schwanz nach unten in die Diele zu rasen. Für mich war es ein enttäuschend sphexisches Verhalten für einen Hund.

5. Leute, die mit glasigen Augen in Las Vegas an ihren einarmigen Banditen kleben. Dazu kann man auch die Jugendlichen und die Studenten zählen, die mit glasigen
Augen an Computerspielen und Flipperapparaten hängen. Ist das etwa kein stumpfsinnig machender Trott? Und trotzdem machen es so viele Leute immer wieder
und sind scheinbar vergnügt dabei.

6. Ein unbekümmerter Mensch, der die ganze Zeit singt und pfeift - und wenn man genau hinhört, merkt man, daß es immer der gleiche Refrain ist, tagein, tagaus,
jahrein, jahraus: immer ohne Abwechslung.

7. Leute, die immer und immer und immer wieder den gleichen Witz reißen, lediglich in leicht veränderten Aufmachungen, Oder eingefleischte Wortspieler, die
nicht aufhören, ein Wortspiel nach dem anderen zu machen.

8. Gymnasiasten, die heute noch die gleichen Aufsatzthemen mit den gleichen Argumenten und Gegenargumenten behandeln wie man selbst vor geraumer Zeit.

9. Ein Mathematiker, der sich in wissenschaftlichen Aufsätzen ein ums andere Mal einer Methode bedient, dabei auch noch in vielen unterschiedlichen Bereichen
der Mathematik Fortschritte macht, aber immer mit einem bestimmten Hauch von Idiosynkrasie, dem Gefühl, daß es einem im Grunde genommen widerstebt, und man
trotzdem letzten Endes immer nur »die alte Leier« macht, ein ums andere Mal.

10. Leute, die in ihrem Verhalten so festgefahren sind, daß sie dadurch in ihrem Leben immer Nachteile haben, zum Beispiel in der Liebe oder im Beruf. Wir alle
kennen Menschen, die alles auf die gleiche Weise jedesmal vermasseln, wenn es drauf ankommt.

11. Gesellschaftliche Strömungen, die total stilisiert und genau ankündbar sind, wie beispielsweise so mancher Schund im Fernsehen, der am laufenden Band von
den Anstalten gesendet wird. Die Filme basieren einer nach dem anderen auf irgendeinem Dreh, der leicht verändert mal so oder so ausgeschlachtet wird.

Man könnte zum Beispiel die Filme Breaking Away, Der schwarze Hengst und Chariots of Fire einfach als drei verschiedene Wege sehen, bestimmte Variablenwerte
in eine erfolgreiche Formel zu packen - ein bevorstehendes Wettrennen, jemand, der in seinem Leben immer zu kurz gekommen, aber liebenswürdig ist, ein
Widersacher, und natürlich ein siegreiches Ende. Und diese sind noch einigermaßen geistvoll, verglichen mit einigen Büchern und Filmen, die berühmte Vorgänger
ausschlachten, daß es noch viel mehr zum Himmel schreit.

12. Stilrichtungen in der Kunst, die veralten und zu Normen werden, die nicht mehr kreativ sind. Das passiert mit jedem Stil, aber es gibt immer Leute, die in dem
Moment, wo das geschieht, aus dem alten Trott ausbrechen und völlig neue Stile kreieren. Es gibt freilich auch andere, die in einem alten Stil technisch zuhause
sind und mit einer altmodischen Ader schöpferisch zu Werke gehen.

Wie sehr unterscheiden sich diese letzten paar Beispiele von der hängengebliebenen Schallplatte, oder von der Sphex-Wespe? Welchen wirklichen Unterschied
merken wir, wenn wir diese Liste von oben nach unten durchgehen?

Ich würde es zusammenfassend so sagen, daß es eine generelle Sensitivität für Muster ist, eine Fähigkeit, Muster zu erkennen, Muster, die an unvorhergesehenen
Stellen zu unvorhergesehenen Zeitpunkten in unvorhergesehenen Medien in unvorhergesehenen Arten vorkommen. Beispielsweise haben Sie soeben ein
unvorhergesehenes Muster gesehen - fünf Wiederholungen eines Wortes. Und ich bin mir sicher, daß Sie auch all die französischen Wendungen mitbekommen
haben, die an einer etwas weiter zurückliegenden Stelle in diesem Kapitel in geballter Form auftraten.

Weder in der Schule noch durch die Gene sind Sie für derartige Wahrnehmungsakte vorbereitet worden. Alles, worauf Sie zurückgreifen konnten, ist die
Fähigheit, Gleichheit zu erkennen. Alle Menschen haben diese Geistesgegenwart, diese Wachheit, und genau das macht sie so antisphexisch. Sobald sie in
irgendeine Art von »Schleife« geraten, merken sie es rasch. Irgend etwas passiert in ihren Köpfen - womöglich feuert eine Art »Schleifen-Detektor«. Oder ein
»Trott-Detektor« oder ein »Detektor zum Auffinden von Gleichheiten«, je nachdem, wofür man es hält - aber wie man es auch wendet, das Beseitigen oder Orten
lähmender Endlosschleifen aller Art ist eine Fähigkeit, die dem rein Mechanischen antithetisch gegenüberzustehen scheint.

Oder, um es anders herum zu sagen, die Essenz des rein Mechanischen scheint darin zu liegen, daß es ihm an Ungewöhnlichkeit fehlt, daß es monoton wiederholt
und in irgendeine Art genau abgegrenzten Raums eingesperrt ist. Deshalb erscheinen die Wespe, der Hund, selbst manche Menschen so mechanisch.

[aus: Douglas R. Hofstadter - Metamagicum; Sektion V: Seele und Substrat; Von der scheinbaren Paradoxie der Mechanisierung von Kreativität.]


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