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Hans-Otto schrieb am 22.1. 2021 um 16:32:32 Uhr über

Sperrmüll

Hallo allerseits,
es ist gar nicht so leicht, festzustellen, seit wann sich der AusdruckSperrmüll“ eingebürgert
hat. Im Internet fand ich jedenfalls nichts brauchbares dazu. Man müßte wohl systematisch
deutsche Wörterbücher durchforsten.
Sperrmüll-Preßfahrzeuge kamen wohl nicht vor der Mitte der 1960er Jahre in WestDeutschland auf. Ein kleiner Artikel in „Westermanns Monatsheften“ von 1965 (!) kennt sie
offenbar noch nicht, damals waren stationäre Zerkleinerungsanlagen für Gerümpel etwas ganz
Neues; und es wird von „sogenanntem Sperrmüllgesprochen, also ein Wort, das vor allem
Insidern aus der Branche geläufig war und noch nicht dem Normalverbraucher:
"Benedix, Peter: Müllkippe Nordsee.
Die Kehrseite des Wohlstandes ist Müll. Seit man mit dem Verpackungsmaterial
verschwenderisch umgeht, überschwemmt eine Abfallhochflut aus Papier, Pappe, Blech,
Kunststoff, Glas, Holz und Textilien die Städte. Über 30 Millionen Kubikmeter
Zivilisationsschlacke müssen jährlich in Westdeutschland beseitigt werden. Vor dem Zweiten
Weltkrieg war die Müll-Lawine nur ein Drittel so groß. In Düsseldorf und Essen haben die
Müll-Vernichter jetzt zwei Riesenroboter in Gang gesetzt, die ein Teilproblem der
Abfallbeseitigung mit brachialer Gewalt lösen. Die beiden großen Schneidepressen
zermalmen mit 50 Tonnen Wucht im Handumdrehen sogenannten Sperrmüll wie lästige
Wohnungseinrichtungen, defekte Küchenmaschinen, alte Fahrräder, durchgesessene
Polstermöbel, Seegrasmatratzen und abgefahrene Autoreifen. Da selbst die Trödler keine
Verwendung mehr für alte Klaviere oder wacklige Kleiderschränke haben, muß die
Müllabfuhr täglich in den Großstädten bis zu 20 komplette Wohneinrichtungen an den
Straßenrändern auflesen und abtransportieren. Wenn die technischen Saurier von Düsseldorf
und Essen das Gerümpel zerhackt haben, wird es unter den Dampfkesseln der
Elektrizitätswerke verheizt. Eisenteile werden vorher von Magneten aussortiert.
In Hannover entwickelte der Leiter des Städtischen Fuhramtes, Diplom-Ingenieur Tope, ein
Projekt, das die schwere Müllnot der Großstädte mit einem Schlage aus der unratüberfüllten
Welt schaffen würde. Tope schlug seinen Kollegen auf einem Fachkongreß den Bau einer
Pipeline vor, die den Abfall in den Ballungszentren in die Leybucht an der ostfriesischen
Nordseeküste spülen soll. Als Druckflüssigkeit könnten Abwässer verwendet werden. Freilich
will der Ingenieur nicht die Bäder- und Inselküste zur Mülltonne Westdeutschlands machen.
Der Unrat soll auf eingedeichtes Küstenvorland geschwemmt werden. Raspel-, Mahl- und
Hammerwerke müßten den Zivilisationsschrott so zerkleinern, daß der Brei sich gut mit dem
Meeresschlick vermengt. Holland hat auf diese Weise wertvolles Land für Gartenkulturen
gewonnen; auch Dublin füllte vor Jahren Einbuchtungen der Irischen See mit Müll auf. Bei
Oslo wurden zwei vorgelagerte Küsteninseln durch Abfallhalden verbunden. Mit Sand
überspült, verwandelte sich die ehemalige Müllbarriere in Oslos schönsten Badestrand. Auch
Kopenhagen nutzt die Küste als Müllabladeplatz.
Topes Idee gewann an Chancen, seit sich eine große Montan-Gesellschaft, die ihren
Industriemüll weit über Land transportieren muß, für das Pipeline-Projekt interessiert. Sie
plant eine Versuchsstrecke. Für den Bau einer Rohrleitung, etwa von Bielefeld bis zur
Leybucht einschließlich Mahlwerk, müßten die Anlieger 100 bis 120 Millionen Mark
aufwenden. Jede der großen Müllverbrennungsanlagen, die zur Zeit 35 westdeutsche Städte
errichten, kostet aber auch 30 Millionen Mark. Und diese Anlagen sind nicht der Vernichtung
letzter Schluß, denn von jeder Ofenfüllung bleiben 25 Prozent Asche zurück. Die MüllPipeline wäre eine perfekte Lösung."
in: Westermanns Monatshefte Jg. 106 (1965), Nr. 4 (April 1965), S. 81.


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