Ein Wissenschaftler muss - sofern er nach realitätsangemessener Erkenntnis strebt - sich darüber im klaren sein, dass das Denken, die menschliche Fähigkeit mit Hilfe von Symbolen verschiedenste Erlebnisse zu reflektieren, nicht angeboren ist, sondern aus einem langfristigen Prozess hervorging (ein Prozess, der noch immer andauert). Und dass damit auch das Denken eines Individuums immer in eine mehrere Generationen übergreifende Kette von übermittelten Denkprozessen eingebunden ist. Jeder Mensch lernt das Denken und Fühlen immer in Abhängigkeit der jeweiligen Gesellschaft, in die er hineingeboren wird. Diese erlernten Verhaltensstrukturen werden in den meisten Fällen stark verinnerlicht, werden im Bild eines Menschen von sich selbst zur Selbst-verständlichkeit, so dass dieses Selbstbild dann leicht als »natürlich« erscheint, es wird habitualisiert, zur »zweiten Natur« des Menschen.
Hieraus folgt für Norbert Elias die Notwendigkeit zur Selbstdistanzierung. Eine relativ realitätsangemessene Sicht auf die Prozesse, die ein Mensch untersuchen möchte, kann er nur bekommen, wenn er in der Lage ist, »in Gedanken sich selbst gegenüberzutreten und seiner selbst als eines Menschen unter anderen gewahr zu werden.« (»Was ist Soziologie«, S. 9). Er muß den Entwicklungsprozess in Rechnung stellen, aus dem er selbst und sein Denken hervorgegangen ist. Das menschliche Denken lässt sich als eine individuell erlernte Form der Selbstregulierung momentaner trieb- und affektbedingter Verhaltensimpulse kennzeichnen. Der Mensch muss diese Fähigkeit erst entwickeln, sein Verhalten zu reflektieren. Er kann durch Lernprozesse von einem stark emotionalen, engagierten Verhalten, hin zu einem mehr von spontanen Trieben und Affekten distanzierten, bewussten Handeln gelangen.
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