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Baumhaus schrieb am 11.10. 2010 um 22:53:56 Uhr über

Sozialkompetenz

Neulich traf ich im sozialen Netzwerk eine Sozialkompetenz. Sie war sehr einsam und weinte. Ich fragte: »Sozialkompetenz, warum weinst du dennDarauf entgegnete sie: »Weil ich so kompetent bin und doch niemand hier etwas von mir wissen will
Die Sozialkompetenz tat mir leid. Ich beschloß, etwas zu unternehmen, damit sie wieder Grund hatte, fröhlich zu sein.
Als erstes ging ich zur Sozialisation.
»Sozialisation«, sagte ich, »Ich brauche deine Hilfe. Die kleine Sozialkompetenz ist sehr traurig, denn niemand will etwas von ihr wissen - und das, obwohl sie so ungeheuer kompetent ist
Die Sozialisation nickte nachdenklich mit dem Kopf. Nach langem Überlegen antwortete sie mir schließlich: »Das ist ein schwerer, schwerer Fall. Die Sozialkompetenz wird es nicht einfach haben, sich wieder zu behaupten. Am besten ist es, sie malt sich ganz rot an und springt immer im Kreis herum. Dann wird man vielleicht wieder etwas von ihr wissen wollen. Aber versprechen kann ich es nicht
Ich bedankte mich bei der Sozialisation und ging freudig zur kleinen Sozialkompetenz, die ganz geknickt in ihrer Ecke saß. Nachdem ich ihr vorgeschlagen hatte, sich rot anzumalen und im Kreis zu springen, machte sie sich unverzüglich ans Werk. Sie tunkte sich in das grellste StudiVZ-Rot und begann wilde Google-Os zu hüpfen. Das trieb sie mehrere Stunden lang. Mit einiger Bangigkeit mußte ich jedoch feststellen, daß sich niemand, nicht einmal der Twitter, für sie interessierte.
Irgendwann gab sie auf und fing wieder zu weinen an. »Es nützt nichts«, klagte sie. »Niemand will etwas mit mir zutun haben. Vielleicht bin ich einfach nicht kompetent genug
»Nicht doch!«, erwiderte ich bestimmt. »Du bist sehr kompetent, ich weiß es. Wir müssen nur einen Weg finden, wie du die Leute davon überzeugst. Wart' einen Augenblick. Ich werde den Soziolekt fragen. Der weiß immer Rat
Gesagt, getan. Ich machte mich auf und eilte stolpernden Schrittes durch den Blogwald bis zu den Exotenforen, wo ich so manchem garstigen Troll ausweichen mußte. Endlich entdeckte ich den Soziolekt, der ziemlich fett und zufrieden in seiner muffigen Höhle herumsaß und Hölderlin zitierte. »Ach! wir kennen uns wenig; denn es waltet ein Gott in uns«, begrüßte er mich.
Etwas befremdet stellte ich mich ihm vor und fragte dann: »Soziolekt, sag, wie könnte man der armen kleinen Sozialkompetenz helfen. Sie sitzt traurig in der Ecke und niemand will etwas von ihr wissen
Der Soziolekt nahm sich ein Karamellbonbon von seinem silbernen Teller und steckte es gierig in seinen großen Mund.
»Ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt«, sagte er, nachdem er das Bonbon schmatzend vertilgt hatte.
Ich verstand noch nicht. »Und was kann ich unternehmen, damit es der kleinen Sozialkompetenz besser geht
»Wer auf sein Elend tritt, steht höher«, antwortete der Soziolekt gelangweilt. »Gib ihr ein paar Kisten alte Apps, stapele sie zu einem Turm, der höher ist als die Bäume. Und laß sie hinaufsteigen. Dann wird jeder sie sehen und ihr zuwinken!«
Höflich bedankte ich mich beim Soziolekt, der sich schon das nächste Bonbon gönnte. Dann eilte ich durch die Online-Ableger, schwamm durch die Watchblogs und sammelte unterwegs so viele Appskisten, wie ich tragen konnte.
»Hier«, rief ich der kleinen Sozialkompetenz entgegen, »hier bauen wir dir einen Turm aus Kisten, auf den du klettern kannst. Dann werden alle dich sehen und bewundern
Die Sozialkompetenz hüpfte vor Freude und stapelte mit mir die Kisten. Als der Turm fertig war, kletterte sie hinauf und winkte. Doch - Elend - sie war viel zu weit oben. So weit oben konnte sie keiner sehen. Alle sahen nur den Stapel aus Kisten und wunderten sich.
Spät am Abend stieg sie traurig wieder herunter von ihrem Posten und setzte sich zu mir. »Es hilft nichts. Ich bin einfach nicht kompetent genug«, schluchzte sie.
»Niemals«, versuchte ich sie zu trösten. »Du bist sehr kompetent. Wir müssen nur einen Weg finden, es allen zu zeigen
Sie wischte sich die Tränen von den Wangen. »Aber wie soll das gelingen? Alles, was ich versuche, geht daneben. Es hat doch keinen Sinn
»Wart!«, sagte ich, »ich werde noch einen Versuch unternehmen. Ich gehe zum Sozialismus und frage ihn um Rat. Der Sozialismus weiß alles. Er wird auch hier eine Antwort wissen
Gesagt, getan. Obgleich es finst're Nacht war, und ich mich vor den leise umherflatternden Facebooks fürchtete, eilte ich tapfer durch die Auen des Amazon, den Sozialismus zu finden. Es war ein furchtbar langer Weg. Schon stand die Sonne wieder am Horizont des Youtubes, als ich endlich in die prächtige Stadt kam, in der der Sozialismus herrschte. Ich staunte nicht wenig, als ich mich zwischen vielen, unzählbar vielen herrlichen Jungfrauen wiederfand, die alle kaum etwas am Leib trugen und die mich umringten und mich baten, ihnen etwas aus der weiten Welt zu erzählen.
»Hört«, sagte ich, »wenn ihr mich zu eurem Herrscher, dem großen Sozialismus bringt, dann werde ich euch alles aus der weiten Welt erzählen«, versprach ich.
Die Mädchen kicherten und tuschelten miteinander. Dann sagte eine zu mir: »Der Sozialismus hat sich aufgelöst. Und damit er nicht die ganze Stadt überflutet, haben wir jede unseren Löffel geholt und ihn ausgelöffelt. Er hat nach Himbeerpudding geschmeckt, und wir sind jetzt noch immer ziemlich satt von ihm
Ich seufzte. Was sollte ich jetzt der kleinen Sozisalkompetenz sagen? Der Sozialismus war doch meine letzte Hoffnung.
»Wenn ihr den Sozialismus ausgelöffelt habt, so werdet ihr doch nun auch seine Ideen in euch tragen. Meint ihr nicht?«, fragte ich.
Wieder kicherten und tuschelten die Jungfrauen. »Sehr wohl«, antwortete eine. »Wir tragen seine sozialistischen Ideen in uns. Wenn dem nicht so wäre, würden wir uns streiten und uns gegenseitig an den Haaren ziehn
Ich war erleichtert. »So sagt mir denn, ihr Jungfrauen, die ihr den Sozialismus mit Löffeln gegessen habt: Wie ist der armen kleinen Sozialkompetenz zu helfen, die ganz traurig in der Ecke sitzt, weil sie von niemandem beachtet wird
»Das ist keine einfache Frage«, antwortete mir eines der Mädchen nach einer Weile. »Warum stellst du uns so schwere Fragen
»Wenn ihr den Sozialismus in euch tragt, dann werdet ihr mir auch die allerschwersten Fragen beantworten können«, mutmaßte ich klug.
Die Jungfrauen berieten sich. Dann bedeuteten sie mir, ihnen zu folgen.
Wir eilten durch die engen Gassen der ansonsten menschenleeren Stadt, bis wir an eine kleine, in den Boden eingelassene Holztür kamen.
»Steig da hinunter«, sagten sie mir, wie mir schien in einem barschen Ton. »Dort wirst du deine Antwort finden
Ich kam nicht dazu, mich höfllich zu bedanken, denn noch während ich mich anschickte, mich zu verbeugen, wurde die Tür aufgestoßen und ich durch die Öffnung gezwängt.
Nachdem die Tür zugefallen war, traute ich meinen Augen kaum: Blasterstreifen, so weit das Auge reichte. Paradiesisch schwebten vor mir kleine gelbe Stichwörter, die ich nur anklicken brauchte, um sie zum Platzen zu bringen. Ein Heidenspaß! Mein Kopf fühlte sich an wie eine leuchtende Kugel. Plötzlich konnte ich zu jedem noch so langweiligen Gedanken eine Assoziation hervorzaubern, ach was! Nicht nur eine! Hunderte! In endloser Kette setzten sich vor meinen staunenden Augen Wörter und Sätze zusammen, blasteten durch mein Gehirn, daß mir ganz schwindelig wurde. Mein ganzes Ziel war schließlich nur noch das eine: Gelbe Texte herzustellen, immer und immer mehr gelbe Wörter zu schreiben. Darüber vergaß ich nach und nach die Sozialkompetenz.
Und wenn ich nicht gestorben bin, dann blaste ich noch heute.


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