Die Schneesoldaten singen wieder
Endlich werden Nägel mit Köpfen gemacht. Oder sollen Köpfe rollen? Der Umbau des Sozialstaates hebt jedenfalls sein freundlich-schmarotzerfressendes Köpfchen und der heiße Dampf seines Atems malt das Wort »Vollbeschäftigung« auf die frostigen Scheiben.
Ach, ich bin sehr sehr dankbar, dass die FDP, auch nicht zuletzt dank einiger rühriger Gesellen, die meinten, dass eine schwarz-grüne Koalition besser wäre als eine schwarz-rote, endlich ihren verdienten Platz in der Regierung bekommen hat. Endlich kann Guido Westerwelle als Außenminister brillieren, der sich mit den wichtigen Themen der Außenpolitik wie dem Afghanistaneinsatz usw. beschäftigt. Und Millionensassa Westerwelle, der eine Art geistiger Phalanx mit dem ebenfalls vielseitig talentierten Herrn Sarazzin bildet, schafft es im Volleinsatz seiner geistigen und körperlichen Kräfte, nebenher noch ein innovatives Konzept für den neuen Sozialstaat zu forcieren.
Den talentierten Mr. Sarazzin, der momentan quasi als »Air Force One« der SPD (allerdings momentan mit Frau Kraft als Stewardess) sein ALG II-Tipp-Buffet mit ein paar Bildungstippsgarnierungen versieht, wähnt man fast in der falschen Partei. Da leuchten neben den vor sich hinköchelnden Suppen der Empfehlungen ( dicken Pulli anziehen, Leitungswasser trinken, weniger Kopftuchmädchen produzieren) jetzt hübsche Erziehungsblümchen, geschnitzt aus gutem alten Holz. Wenn die Kinder die Hausaufgaben nicht erledigen, soll die Mutter einfach erwähnen, dass sie, wenn es so weitergeht, demnächst kein Kindergeld mehr bekommt und schon, so der zweifache Vater Sarazzin, wäre ein Problem gelöst (siehe »Zweimal Hausaufgaben nicht gemacht, Kindergeld um 50 Prozent gekürzt«). Katharina Saalfrank hätte es nicht besser gekonnt. Man sieht sie förmlich vor sich, die Heerscharen von bisher hausaufgabenunwilligen Kindern, die bei der Erwähnung des ggf. ausfallenden Staatssalärs den Bleistift spitzen und, jäh von der Notwendigkeit dieser Aufgaben überzeugt, die Hausaufgaben in Windeseile lösen, damit demnächst auch noch das Geld über ist für das neue Handy und Co.
Währenddessen zeigt sich Herr Westerwelle ähnlich konsterniert wie der BDK - allerdings nicht deshalb, weil ihm das BVerfG ins löbliche Handwerk pfuscht, sondern weil er in einer Satiresendung als KZ-Wächter verunglimpft wird bzw. ihm nachgesagt wird, er wolle doch tatsächlich Arbeitslager wieder einführen. Zu Recht ist der Außenminister hier beleidigt, will er doch auf keinen Fall solche Lager. Schließlich wären die doch viel zu umständlich, denn die Arbeit soll ja vor Ort erledigt werden. Außerdem geht es nicht um eine Arbeitspflicht, sondern um Arbeit für alle. Vollbeschäftigung, der Traum aller Träume wird wahr, wenn sinnigerweise kommunale Jobs für alle gefordert werden, deren Lohn dem jetzigen ALG II-Satz entspricht. Da jauchzt der Chor der Kommunen und Unternehmer ein beseeltes »Hallelujah«, wenn die von ALG II entkoppelten, glücklichen Freiwilligen zur Arbeit anrücken, um auch noch für ein paar Cent mehr endlich wieder als gebrauchte Vollzeitarbeitskräfte zu neuer Blüte zu gelangen, statt welk vor dem Plasmafernseher vor sich hin zu vertrocknen.
Falls die Löhne gar nicht ausreichen, kann ein Bürgergeld gezahlt werden, um den Arbeitenden auf ALG II-Niveau zu bringen. Ja, es kommt die Zeit, in der nicht mehr die Henrico Franks und Arno Dübels das Fernsehen bevölkern, sondern die glücklichen, in einfache Gewänder gekleidete (Second Hand-Klamotten tun es zwar auch, aber warum denn nicht Arbeits- und Freizeitkleidung voneinander trennen und die Arbeitskleidung auch einheitlich (das spart Kosten) gestalten?) Schar der Gesellschaftsarbeitsleistenden sich mit blitzenden Augen vor der FDP verbeugt und den zumutbaren Kniefall nicht vergisst, da sonst Sanktionen blühen. Ganz im Sinne der Leistung, die sich lohnen muss, können ja die Arbeitskleider in verschiedenen Farben ausgegeben werden, so dass die schöne neue Arbeitswelt voller Alphas, Betas, Deltas und Gammas den Sozialstaat ersetzt, der dann nur noch für die wirklich Arbeitsunfähigen besteht, die demütig ihr Köpfchen neigen, wenn sie genauso viel Geld wie ein Vollzeitbeschäftiger erhalten.
Ja, die neue schöne Welt wird uns allen gefallen und Visionäre wie Herr Westerwelle und Herr Sinn und Co. würden niemals Arbeitslager fordern oder eine Arbeitspflicht. Nein nein, intelligente Menschen wie sie fordern Arbeit für alle, Leistung, die sich lohnen muss und Arbeit für die Gesellschaft von allen, sonst gibt es kein Geld. Mit Arbeitspflicht hat dies nichts zu tun, nur mit einem fairen Ausgleich zwischen Nehmen und Geben. Die Schneeschipp-, Toilettensäuber-, Friedhöfereinigungs- und dergleichen mehr -soldaten ziehen wieder mit Spaten, Toilettenbürste, Schubkarre und Hacke ins Arbeitsmoor und, um mit Frau von Droste-Hülshoff zu sprechen:
» O schaurig ist´s übers Moor zu geh´n...«
Doch vielleicht ist es irgendwann nicht einmal die verdammte Margret, die dem fibeltragenden (!) Knaben im Moor begegnet, jedoch das Heer der leerblickenden Niedrig- bis Garnichtlöhner, die ganz im Romeroschen Sinne sich aufmachen, um ihre Nahrung zu holen.
Die Zukunft ist so strahlend, dass man Sonnenbrillen tragen muss, wie es Timbuk Three schon 1986 so treffend bemerkten.
Twister (Bettina Winsemann)11.03.2010
|