Günter Amendt: Sexfront - Recht auf Sexualität
Welche Auswirkungen sein Buch hatte, ist ihm erst nach und nach bewusst geworden. 1970 veröffentlichte Günter Amendt »Sexfront« - das erste Aufklärungsbuch für Schüler und Studenten; und auch heute noch wird er immer wieder darauf angesprochen. Erst kürzlich lernte er einen Professor der Psychiatrie kennen, der damals von der Schule geflogen ist, weil er in der Schülerzeitung Auszüge aus »Sexfront« veröffentlicht hat.
Besonders oft wurde der Spruch »Onanie, Onamanchmal, Onaoft« zitiert, erinnert sich Günter Amendt, Sozialwissenschaftler und Publizist, der sich seit über dreißig Jahren mit den Themen Sexualität und Drogen beschäftigt. Damals ein Skandal. Denn auch wenn sich seit den 60er-Jahren die sexuelle Moral langsam lockerte, war für die Elterngeneration Sex immer noch ein Tabuthema.
Statt fragen müssen
Wo gibt es Kondome? Und wie benutzt man die? Diese Fragen stellten sich die Teenager. Beantwortet wurden sie meist von älteren Freunden oder Studenten. »Besonders die Jüngeren haben uns ältere Studenten dazu aufgefordert, sie aufzuklären«, sagt Amendt, selbst Jahrgang 1939. So entstand dann auch die Idee für das Aufklärungsbuch, das eine ganze Generation von Teenagern prägen sollte. Erste Sex-Bücher gab es zwar schon, doch Aufklärer wie Oswald Kolle kümmerten sich vor allem darum, eingeschlafene Ehen zu retten.
»Sexfront« hat eine klare Botschaft: Jugendliche haben ein Recht auf Sexualität. Was heute selbstverständlich klingt, war damals außergewöhnlich. Der linke Sexforscher schrieb gegen die Verbotsmoral an, er ermutigte seine Leser, ohne Hemmungen ihre Sexualität zu entdecken, sich auszuprobieren. »Es war der Geist der Zeit, endlich mal darüber zu reden.« Amendt pries Selbstbefriedigung, gab Tipps für das erste Date, erklärte die verschiedenen Verhütungsmittel und stellte erstmals gleichgeschlechtliche Liebe als selbstverständliches Geschlechtsverhalten vor.
Kunstsprache
»Sexfront« ist nicht wissenschaftlich geschrieben, sondern in einer direkten und manchmal provokanten Sprache: Wörter wie »Möse« oder »bumsen« gehören dazu. »Das war nicht meine Art zu reden, sondern eine Kunstsprache«, so Amendt, »ich habe mich damals umgehört und die Sprache der Teenager nachempfunden.« Zwischen die Texte hat er noch Comics und Karikaturen eingefügt, dort wird zum Beispiel die Geschichte von »Peter Peniz und Thea Titte« erzählt. Und er zeigt das damals beliebte Trimm-Dich-Männchen, das eigentlich zum Sport motivieren soll, mit neuer Aussage: »Fick mal wieder.« Er habe damals Spaß an solchen kleinen Gags gehabt, sagt Günter Amendt, bei manchen fragt er sich heute: »Wie bist du denn drauf gewesen?«
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Wie erlebten Zeitzeugen die sexuelle Revolution? Amendt hielt im Mai 2000 an der Uni Lübeck einen Vortrag darüber.
Die Zielgruppe liebte sein Buch. Deren Eltern und besonders der Kirche war es ein Ärgernis: Etwa das Frontalfoto einer sperrangelweit offenen Vagina brachten ihm den Vorwurf ein, mit »Sexfront« Pornographie zu machen. Ganz falsch, meint er: »Ich wollte den Körper erklären, Nacktheit zeigen, ja; aber sonst nichts.«
Verbotsversuche
Kritiker reichten Beschwerde bei der Bundeszentrale für jugendgefährdende Schriften ein, das Buch sollte vom Markt verschwinden. Die Klage nutzte nichts, »Sexfront« verkaufte sich bis heute über 300.000 Mal. 1978 veröffentlichte Amendt das »Sex Buch« (1978), mit 200.000 verkauften Exemplare ebenfalls ein guter Erfolg, das sich vor allem an berufstätige Jugendliche richtete. Die bürgerlichen Hasstiraden setzten sich bis Anfang der 80er-Jahre fort, bis hin zu Morddrohungen.
Und heute? »Die Verbotsmoral hat sich in eine Verhandlungsmoral gewandelt.« Erlaubt ist, was allen beteiligten Partnern gefällt - seien es zwei oder mehr - und was vor allem keinen schädigt. »Tabus gibt es heute keine mehr«, meint Amendt, und Onanie »ist selbstverständlich eine Form der sexuellen Erfahrung«. Das sei das einzig Neue in den vergangenen 50 Jahren.
Anfang der 90er-Jahre klinkte Amendt sich aus der sexualwissenschaftlichen Diskussion aus. Dem Thema Drogen und Drogenkonsum ist Günter Amendt, der seit dreißig Jahren bekennender Gelegenheitskiffer ist, aber treu geblieben. Gerade erscheint sein neues Buch »No Drugs. No Future. Drogen im Zeitalter der Globalisierung«. In diesem Bereich gebe es auch heute noch Tabus. »Das, was in den 60er-Jahren das Sextabu war, ist nun das Kiffen.«
Alva Gehrmann | 29.7.2003
Alva Gehrmann arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen und Magazine. Sie lebt in Berlin.
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