Wolfram, Joseph (Tonsetzer und Bürgermeister von Teplitz in Böhmen, geb. zu Dobřan im Pilsener Kreise am 21. Juli 1789, gest. zu Teplitz am 30. September 1839). Da er große Vorliebe und Talent zur Musik zeigte, wurde er frühzeitig darin unterrichtet, und er brachte es im Alter von zehn Jahren so weit, daß er die schwierigsten Claviercompositionen mit großer Fertigkeit vortrug und den Gesang sicher und richtig begleitete. 1800 bezog er das Gymnasium in Pilsen, 1805 in Prag, wo er bis 1811 blieb. Im letztgenannten Jahre verlor der Vater durch das berüchtigte Finanzpatent beinahe sein ganzes Vermögen, und Joseph, der bis dahin vom Hause in ergiebigster Weise unterstützt worden, sah sich, als er Prag verließ, um die daselbst begonnenen Rechtsstudien in Wien fortzusetzen, auf sich selbst angewiesen und erwarb durch Ertheilen von Musikunterricht und durch Compositionen, für die er Honorar erhielt, seinen Lebensunterhalt. Während der Studien, welche er 1813 beendete, betrieb er sorgfältig seine musicalische Ausbildung weiter, nahm bei Professor Drechsler Unterricht in der Harmonielehre und bei Kozeluch im Contrapunkte. Anstrengung und Einflüsse des Klimas hatten aber seine Gesundheit derart angegriffen, daß er auf ärztlichen Rath im November 1813 nach Prag zurückkehrte, wo er, dem Wunsche seines Vaters entsprechend, im Justizfache in den Staatsdienst trat. Von 1815–1819 verwaltete er zwei Rathsstellen in der Provinz, und zwar zuerst als Syndicus in Theusing, dann als Magistratsrath in Graupen bei Teplitz, und betrieb nebenher die Advocatie. 1819 kam er als Magistratsrath nach Teplitz, wo er 1824 zum Bürgermeister mit dem Jahresgehalte von 1200 Gulden befördert wurde und in dieser Stellung nach 15jähriger verdienstlicher Thätigkeit das Zeitliche segnete. Mit diesen einfachen Daten ist die amtliche Laufbahn Wolfram’s erschöpft. Was er als Beamter, als Bürgermeister der Stadt Teplitz war, lebt in den Erinnerungen der dortigen Bewohner und in den Acten des Bürgermeisteramtes fort, das er mit Treue, Umsicht, Gewissenhaftigkeit und seltener Humanität verwaltete. An dem Gedeihen der Badestadt hatte er nicht unwesentlichen Antheil; er sorgte im Interesse der Curgäste für zweckmäßige Verbesserungen und Neuerungen im Curorte, übte noch in seinem letzten durch Krankheit getrübten Lebensjahre seinen energischen Einfluß auf den mühevollen Umbau des Stadtbades und opferte die wenige Zeit, die ihm sein amtlicher Beruf übrig ließ, der Repräsentation in dem mit jedem Jahre an Gästen und hohen Besuchern zunehmenden Badeorte. Dies war aber, wenn man sah, wie an Tagen des Wochenmarktes seine Amtsstube von Landleuten umlagert stand, welche alle beim Bürgermeister sich einen ebenso guten als wohlfeilen Rath holen wollten, ebenso mit geistiger und körperlicher Anstrengung, wie mit Opfern verbunden, welche sein und seiner Familie Behagen empfindlich schmälerten, und deren Folgen letztere empfand, als ihn der Tod dahinraffte. Trotz alledem blieb er Zeit seines Lebens seiner Muse treu, die ihm wohl mit manchem Sonnenstrahl die Schatten seines der Arbeit gewidmeten Lebens vergoldete, leider aber nicht jene Früchte trug, die zu ernten er nach seinem Talente und seinen Leistungen berechtigt war. Wir werfen nun einen übersichtlichen Blick auf sein musicalisches Leben und Weben, das sich frühzeitig und mit Erfolg entwickelte. Bereits in Pilsen, während der Jahre 1800–1805, also da er im Alter von 12–17 Jahren stand, versuchte er sich in der Composition und wurde darin von dem Kunstfreunde Pater Przikrill ermuntert und gefördert. Während seines Aufenthaltes in Prag schrieb er 1806 schon mehrere Claviercompositionen und auch ein Quartett für Streichinstrumente. Als er dann dort Opernaufführungen beiwohnte, studirte er mit großem Eifer die Instrumentation, ließ sich von Künstlern über die Natur der einzelnen Instrumente unterrichten und componirte, um gleichsam deren Wirkung an einem eigenen Werke zu prüfen, 1807 eine Symphonie, die auch in einem Dilettantenvereine aufgeführt wurde. Noch schrieb er in Prag bis 1811 verschiedene Claviercompositionen, Lieder, Quartette für Männerstimmen, Gelegenheitscantaten, Tanzmusiken für Orchester, wovon mehrere bei damaligen Musikverlegern genannter Stadt, wie Polt, Hase und Schödl, im Stich erschienen. Auch fällt in diese Zeit die Composition einer einactigen Operette „Ben Haly“, die aber nicht zur Aufführung gelangte. [Bei der Bedeutenheit, welche er als Operncomponist und Tonsetzer überhaupt besitzt, sollte sich doch längst ein Musikbeflissener der Stadt Teplitz gefunden haben, der ein sorgfältig gearbeitetes Verzeichniß der sämmtlichen gedruckten und ungedruckten Compositionen Wolfram’s angefertigt hätte.] Während seiner Studien in Wien vollendete Wolfram, der stark vom Privatunterricht in Anspruch genommen war, nur etliche Clavierstücke, und auch nach seiner Rückkehr in die Heimat nahmen ihn in den ersten Jahren seine Berufsgeschäfte zu sehr in Anspruch, als daß er sich viel der Composition hätte widmen können. Als er dann einige Jahre in der Provinz amtirte, entstanden 1815–1819 mehrere Claviersachen, einige Quartette für Streichinstrumente, 1816 ein kurzes Requiem in C-moll für einen verstorbenen Freund, 1817 eine solenne Messe in D-dur und 1818 ein Kirchengesang. Doch bot ihm dieser vierjährige Aufenthalt in der Provinz wenig musicalische Anregung, welche er dafür in reichlichem Maße fand, als er 1819 in die vielbesuchte Badestadt Teplitz versetzt wurde. Hier nun entwickelte sich in überraschender Weise sein musicalisches Schaffen, mit welchem er nicht auf den Kreis seiner Heimat beschränkt blieb, sondern durch das er auch in der Fremde, und zwar mit schönen Erfolgen bekannt wurde und in Verbindung kam mit Männern, die in Kunst und in Wissenschaft einen Namen besaßen, wie mit Paganini, Humboldt und Anderen, welche den schlichten Teplitzer Bürgermeister in seiner Behausung aufsuchten. Unter solchen Umständen wurde sein Haus der Vereinigungspunkt einheimischer und fremder Künstler, was ihn zum Schaffen neuer Tonwerke mächtig anregte. In die zwanzig Jahre seines Wirkens in Teplitz fallen auch die meisten und edelsten Compositionen des reichbegabten Meisters. Wir nennen, so weit uns bekannt sind: „Sechs Lieder“, von Ludwig Tieck; mehrere serbische Lieder aus Wilh. Christoph Leonhard Gerhard’s Liedersammlung „Wila“; ferner die Musik zu zwei Possen: „Der Diamant“ und „Hercules“ und die Oper „Alfred“, zu welcher er einen Text von Kotzebue benutzte, den er aber in wesentlichen Stücken für die musicalische Bearbeitung zurechtgelegt; dann die erste größere Oper in 3 Acten „Die bezauberte Rose“, Text von Ed. Gehe, welche in Prag zum ersten Male am 24. Mai 1826 zum Benefice des damaligen Orchesterdirectors Pixis gegeben und am 29. Mai und 18. Juni wiederholt wurde. Sie machte den Weg über alle größeren Bühnen Deutschlands. Von Dresden erhielt er nun die Einladung, die Oper daselbst aufzuführen und selbst zu dirigiren, was im September 1826 auch geschah. Unterhandlungen wegen Uebernahme der Capellmeisterstelle nach Karl Maria von Weber kamen zu keinem Resultat, da Reissiger dieselbe erhielt. Herm. Meynert in dem in den Quellen benannten Aufsatze erzählt, wie Wolfram den Intriguen der Reissiger’schen Partei weichen mußte, und wie er in seinem Hochsinne das ihm bereits zugeschickte Decret seiner Ernennung wieder zurücksandte. Nun folgten sich rasch die Opern „Der Normann in Sicilien“ und „Prinz Lieschen“, Text beider von Gehe; letztere, eine komische dreiactige Oper, wurde zuerst in Prag am 14. Februar 1829, später in Leipzig, an beiden Orten mit Beifall gegeben; nun folgten die Opern: „Beatrix“, zuerst in Scene gesetzt in Dresden, „Drakana“, aufgeführt in Berlin, „Der Bergmönch“, Text von C. B. von Miltitz, auch in Prag am 3. October 1829 zum ersten Male und dann mit Beifall auf vielen Bühnen Deutschlands und „Schloss Candra“, Text auch von Gehe, in Dresden gegeben. Die in den Biographien erwähnte heroische Oper „Wittekind“, Text von Meynert, ist nach einer brieflichen Mittheilung des Letzteren von Wolfram zur Composition vorbereitet, aber nie ausgeführt worden. Die Opern „Der Bergmönch“, „Prinz Lieschen“, „Schloß Candra“ sind in Leipzig bei Hofmeister, „Die bezauberte Rose oder Maja und Alpino“ bei Arnold in Dresden im Clavierauszuge mit Text erschienen. Von sonstigen Tonstücken Wolfram’s ist noch eine „Missa nuptialis“ für Singstimmen zu erwähnen. Vieles mag sich wohl noch in seinem Nachlasse vorgefunden haben. Es ist bekannt, wie schwer es überhaupt Componisten, insbesondere aber jungen Componisten fällt, ihre Tonstücke auf größeren Bühnen zur Aufführung zu bringen, und Wolfram erscheint daher besonders vom Glück begünstigt, da seine Opern immer alsbald in Dresden und Berlin zur Aufführung gelangten. Hermann Meynert gibt in einem unten in den Quellen erwähnten Artikel darüber Aufschluß. Wolfram’s guter Genius war König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, der das Bad Teplitz alljährlich besuchte und den kleinen, aber ungemein gefälligen und für die Hebung des Curortes eifrigst besorgten Teplitzer Bürgermeister unter seinen besonderen Schutz genommen hatte. Ein Gleiches gilt von dem Könige von Sachsen, welcher gleichfalls das nahe Teplitz häufig besuchte. Nun, die Monarchen ließen es auch an verschiedenen Auszeichnungen für den Compositeur nicht fehlen, beschenkten ihn mit Tabatièren, Brustnadeln u. d. m. Seine Majestät der Kaiser von Oesterreich verlieh ihm 1835 die goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft, ebenso 1838 der Kaiser von Rußland, und doch hinterließ Wolfram, als er seiner Familie durch den Tod entrissen wurde, derselben nichts als einen makellosen Ruf, den er sich durch seine Rechtlichkeit als Beamter, seine Güte als Menschenfreund und seine Gediegenheit als Künstler erworben hatte. Er ließ seine Frau und seine acht Kinder – fünf Söhne und drei Töchter – mittellos zurück. Seine Opern hatten ihm eben in jenen Tagen, da es noch keine Tantieme gab, wohl ein Ehrenhonorar, das übrigens dürftig genug war, eingetragen, sonst aber nichts. So geschah es denn, daß der Director der Berliner Hofoper zu Gunsten der Hinterbliebenen die Aufführung von Weber’s „Oberon“ veranstaltete, deren Erlös der Familie Wolfram zukam; Spontini aber, damals General-Musikdirector in Berlin, veranstaltete – wohl von seinem Könige angeregt – für die Hinterbliebenen des deutschen Componisten eine glänzende Abendunterhaltung, an welcher sich die Kunstgrößen Berlins betheiligten, und die eine reiche Einnahme erzielte. Von Wolfram’s Söhnen starb der älteste noch vor 1848, die vier anderen dienten alle in der kaiserlichen Armee und fochten 1848 für die Rechte des angestammten Kaiserhauses. Von den Töchtern ist die eine, Gattin des Medicinalrathes Ambrosy, dem Vater bereits ins Grab gefolgt, die beiden anderen lebten noch 1870 bei der hochbetagten Mutter in Wien. Fünf Decennien sind vorüber, und wer kennt, wer nennt noch den Compositeur Wolfram, dessen Opern, namentlich „Die bezauberte Rose“ und „Der Bergmönch“, mit nicht gewöhnlichem Beifall über die Bühne gingen. Ueberhaupt tragen alle Tonstücke Wolfram’s den Stempel künstlerischer Weihe, gediegener Technik und einen melodischen Charakter, daß es sich vielleicht des Versuches lohnte, sie aus dem Staube des Musikarchives, in welchem sie modern, hervorzuziehen und wieder einem Publicum, das an Werken Mozart’schen Charakters Gefallen findet, zu Gehör zu bringen.
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