Man sollte ja meinen, Selbstfolter erfordere einen gewissen Mut, weil sie damit verbunden sei, sich einen ganz üblen Schmerz zuzufügen. Das ist aber nicht so, wenn es einem gelingt, diese Folter schön gleichmäßig und langgestreckt über Jahre, Jahrzehnte oder ein ganzes Leben zu verteilen, so dass jeder Tag immer wieder seinen kleinen selbstbereiteten Nadelstich hat, immer wieder ein kurzzeitiges Abschnüren jeglichen Entspannungs- und Glückseligkeitsversuches. Dann braucht es gar keinen Mut, weil man es kaum merkt und von Schmerz nicht die Rede sein kann. Da schaut man dann in Bildschirme hinein, in dicke nicht enden wollende Bücher, zu deren Lektüre man sich leichtfertig entschieden hat und traktiert sich mit selbstauferlegten Pflichten, nimmt den Hörer vom klingelnden Telefon, obwohl man ahnt, ja weiss, dass am anderen Ende der Wahnsinn, die Dummheit, der brutalste Redeschwall, die Dreistigkeit und der Anspruch lauert, um einen fertig zu machen und alles dafür zu tun, dass man ein Stück mehr die Welt hasst, freilich ohne böse Absicht und ganz harmlos, aber es ist Teil der umfassenden Selbstfolter, jeden Anspruch, jede offene und versteckte Forderung der Zivilisation nur unter dem Blickwinkel des Angriffs und der Feindseligkeit betrachten zu können. Überhaupt ist der Kern der Selbstfolter der falsche gegen sich selbst gerichtete Blickwinkel, eine pathologische Kunstfertigkeit der Wahrnehmung von aggressiver Verschworenheit im Alltag. In Wirklichkeit ist die Umwelt natürlich völlig gleichgültig gegen einen, aber das besessene Talent der Selbstfolter wird dies niemals wahrhaben wollen. Immer die Hast, die hektische Verfolgung von Zielen, die Selbsteinhämmerung von Aufgaben, der Glaube an die Todesähnlichkeit des Entspanntseins, überall Stress - Arbeit, Freizeit, Mitmenschen...
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