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Moddermonster schrieb am 2.6. 2002 um 14:30:24 Uhr über

Seelenschmerz

Irgendwie wollen immer alle wissen, was denn ``Seele'' überhaupt ist, und ob es sie wirklich gibt, und ob sie nur existiert, weil auch der Rest der Welt existiert, und ob die Tatsache, daß die Philosophen in diversesten Jahrhunderten auch nicht viel nährwertiges dazu zu sagen hatten vielleicht darauf hindeutet, daß Nichtphilosophen erst recht keine Chance haben, diese brennende Frage endlich zu klären, und überhaupt.

Das schmerzt.

Zuerst mal: Wenn Philosophen es nicht schaffen, in Äonen verschärften Nachdenkens auf einen grünen Zweig zu kommen, dann heißt das im wesentlichen garnichts. Seit die Mutter aller Wissenschaften ihre ersten Kinder in die Welt gesetzt hat, will heißen, seitdem sich die ersten ``richtigen'' Wissenschaften von der Philosophie abgespalten haben (muß so vor 2000 Jahren gewesen sein), sind die Philosophen, die in der Lage waren, ihr Hirn zu benutzen, bevorzugt abgewandert und haben Wissenschaft betrieben.

Mit dem Begriff ``Seele'' verbinden die unterschiedlichsten Leute die unterschiedlichsten Vorstellungen, deshalb ist er auch dermaßen schwer zu fassen.

* Da ist zum einen mal das Ding, das einen lebenden Menschen von einem toten unterscheidet. Das was Schmerz empfindet, wenn der Körper das entsprechende Nervensignal generiert. Das, wonach derjenige ruft, der uns auf den Kopf klopft und ruft ``Hallo! Wer zuhause?!''. Das, dessen Existenz wir uns mit ``Cogito, ergo sum'' selbst beweisen. Dieses Dings nenne ich üblicherweise ``Bewustsein''.

* Dann ist da der Teil unseres Daseins, von dem Christen glauben, er sei unsterblich und komme nach dem Tod (des Körpers) in den Himmel, die Hölle oder sonstwohin, und von dem Hindus glauben, er würde mit einem neuen Körper ausgestattet und wiedergeboren. Nennen wir ihn doch mal die ``unsterbliche Seele''.

* Außerdem gibts noch das, was bei einer ``seelischen Erkrankung'' krank ist. Ich nenns mal ``Psyche'', auch wenn mich die Psychologen möglicherweise dafür hauen werden.

Okay, jetzt ans Eingemachte:

Psyche gibts anscheinend. An irgendwas schraubt der Seelenklemptner schließlich rum. Aber was genau das ist, ist leider nicht wirklich klar. Hängt aber auf jeden Fall mit dem Bewußtsein zusammen. An einem Bewußtlosen gibts nix zu klemptnern.

Unsterbliche Seele ist absolut Glaubenssache. Ich wüßte nicht, daß es bis jetzt auch nur einen einzigen, wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Hinweis auf ihre Existenz, bzw. die Realität von Wiedergeburt, Leben nach dem Tod o.ä. gäbe. Es gibt zwar einige Leute, die mir da widersprechen werden, aber meiner Erfahrung nach liegt das üblicherweise daran, daß diese Leute nicht wissen, wie ``wissenschaftliche Ansprüche'' aussehen und warum sie so aussehen wie sie aussehen. Das alles ist natürlich kein Beweis, daß es die unsterbliche Seele NICHT geben würde, aber es läuft darauf hinaus, daß wir den Unsterblichkeitsaspekt vor allem vom Bewußtsein abkoppeln können, ohne damit etwas offensichtlich falsch zu machen. Oder anders gesagt, anscheinend macht es für die Beschreibung des gesamten Diesseits absolut keinen Unterschied, ob es eine unsterbliche Seele jetzt gibt oder nicht. Ich persönlich halte es mit William von Okkham und vermute, daß es sie nicht gibt, aber es steht natürlich jedem frei, das Gegenteil zu glauben.

Bewußtsein scheints zu geben. Immerhin nimmst Du diesen Text gerade war, also machst Du in diesem Moment die Erfahrung, daß es da jemanden gibt, irgendwo in Die drin. Ich denke, also bin ich, wie gesagt. Dieses Bewußtsein ist insofern völlig real, als es nachweislich in der Lage ist, die physische Welt zu beeinflussen. Z.B. hat mein Bewußtsein beschlossen, diesen Text in den Blaster zu hacken, woraufhin meine Finger Tasten drücken.

Wo dieses Bewußtsein seinen Sitz hat, ist mit einer Standardmethode der Hirnforschung leicht zu klären: Beobachte die Auswirkungen von Beschädigungen. Es sieht wohl so aus, als ob ein intaktes Gehirn die einzige Voraussetzung für Bewußtsein ist, also ist es wohl nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt, das Hirn als ``Sitz'' des Bewußtseins anzunehmen.

Kniffliger ist da schon die Frage, WAS denn Bewußtsein überhaupt ist. Anscheinend wird es vom Gehirn sowas wie erzeugt. Es scheint nicht meßbar zu sein (der Turingtest kann nicht zwischen einem ``echten'' und einem ``perfekt simulierten'' Bewußtsein unterscheiden), kann aber in die physische Welt eingreifen.

Das Beste was ich dazu anbieten kann, ist eine Analogie, die vielen wahrscheinlich zu weit gehen wird: Während Du diesen Text liest, sitzt Du vor einem Computer, der physisch völlig real ist. Auf diesem Computer läuft (mindestens) ein Programm, und damit meine ich jetzt nicht die Kette von Befehlen (den Code), sondern die Instanz, den ``Gegenstand'', das eine Netscape, mit dem Du im Blaster bist, im Gegensatz zu dem anderen Netscape, mit dem Du gerade schaust, was es auf http://www.free-xxx-pics.de/ schönes zu sehen gibt. Dieser Programm-Instanz schreiben wir sowas wie eine Identität und eine Art Existenz zu. Sie kann in die physische Welt eingreifen (z.B. dafür sorgen, daß dieser Text auf Papier gedruckt wird). Es ist aber nicht meßbar, ob im Computer wirklich ``etwas'' ist, oder ob er einfach nur so tut. Genaugenommen macht noch nichtmal diese Unterscheidung so richtig Sinn.

Was ich jetzt vermute ist, daß das Bewußtsein vom Gehirn auf ähnliche Weise ``implementiert'' wird, wie die Programminstanz vom Rechner, allerdings mit zwei Unterschieden. Der unwichtigere ist, daß das Gehirn natürlich kein programmierbarer Digitalrechner ist. Aber das Konzept ``ein physisches System implementiert ein virtuelles System'' ist davon ziemlich unabhängig. Der wichtigere Unterschied ist, daß uns unser eigenes Bewußtsein als absolut real vorkommt, daß es also einen deutlichen Unterschied macht, ob es ``wirklich'' ist, oder unser Hirn nur überzeugend so tut als ob.

Interessanter Weise gilt das nur für unser eigenes Bewußtsein. Ob ein anderer Mensch ``wirklich'' Bewußtsein hat, oder es nur überzeugend simuliert, ist völlig ununterscheidbar. Umgekehrt können wir nicht unterscheiden, ob unser eigenes Bewußtsein vn einem Gehirn implementiert wird, oder ob da irgendwas anderes ist, daß uns nur überzeugend vorgaukelt, ein Gehirn (bzw. ein menschlicher Körper, ein Universum) zu sein.

Was sagt uns das jetzt? Erstens, daß aus der Sicht unseres eigenen Bewußtseins unser eigenes Bewußtsein Wirklichkeit ist. Zweitens, daß aus der Sicht unseres eigenen Bewußtseins die Welt ``da draußen'' nicht notwendigerweise real ist. Drittens, daß selbst wenn wir annehmen, daß die Welt da draußen die Wirklichkeit ist, andererleuts Bewußtsein nicht notwendigerweise real ist. Seltsam.

Na gut, es scheint eine gewisse Symmetrie zwischen mir und allen anderen Menschen zu bestehen, will heißen, es sieht so aus, als wäre ich mitnichten der Nabel der Welt, sondern ein ganz normaler Durchschnittsmensch wie jeder andere auch. Das würde dann bedeuten, daß andererleuts Bewußtsein in irgend einer Form genauso real ist wie mein eigenes (von dem ich WEISS, daß es wirklich ist), und daß ich mir den Rest des Universums ebenfalls nicht einbilde.

Bleiben natürlich noch massig Fragen offen. Z.B. was is jetzt mit dem Seelenschmerz? Was da schmerzt ist die Psyche, und da fragst Du am besten Deinen Psychiater. Aber wo empfinden wir den Seelenschmerz? Hmm, was ihn empfindet, ist das Bewußtsein, aber er fühlt sich nicht wirklich so an, als ob er ``im Kopf'' stattfinden würde. War aber auch zu erwarten, denn das Bewußtsein wird zwar vom Hirn implementiert, ist aber nicht im Hirn lokalisiert, es ist schließlich kein physischer Gegenstand. Die Frage ist also gegenstandslos. Es gibt keinen ``Ort des Bewußtseins''. Welcher Körperteil den Seelenschmerz verursacht ist ein ganz anderes Problem, nämlich das, was jetzt ``die'' Ursache ist. Sollten wir ein andermal klären. Muß es ein Außen geben, damit es ein Innen gibt? Muß es eine Außenwelt geben, damit Seele überhaupt existieren kann? Diese Fragen sind haheliegend, aber trotzdem Blödsinn. Kann es denn ``alles überhaupt'' nur dann geben, wenn es auch ein ``irgendwas anderes als `alles''' gibt? Offensichtlich gibt es alles was es gibt, und nichts darüber hinaus, also kann es (gibt es!) ``alles'' geben, ohne daß es ``irgendwas anderes'' geben müßte. Die einzige Einschränkung ist, daß es uns ziemlich selbstverständlich vorkommt, daß es ``alles'' gibt, so selbstverständlich, daß wir noch nicht einmal einen ordentlichen Namen dafür haben. Wozu auch, es gibt nichts, wovon wir es unterscheiden müßten. Oder um zum Thema zurückzukommen, es gibt keinen Grund, warum es die Seele nicht geben sollte, wenn es keine Außenwelt gibt. Blos würden wir uns dann wahrscheinlich nicht die Mühe machen, der Seele extra einen Namen zu geben. Das Volk, das wir ``Eskimos'' nennen, nannte sich selber nur ``Menschen'', weil es keine Ahnung hatte, daß es noch andere Völker gab. Und gäbe es diese anderen Völker (uns...) nicht, dann heißt das noch lange nicht, daß es auch die Eskimos nicht geben würde. Blos würde sie dann keiner ``Eskimos'' nennen. Aber auch diese Frage scheint, was die Seele angeht, gegenstandslos zu sein (wie so vieles, womit Philosophen sich idiotischerweise immernoch herumschlagen). Schließlich macht jeder von uns ständig die Erfahrung, daß es Dinge gibt, die sich seiner Kontrolle entziehen, die Empfindungen (Gefühle oder Wahrnehmungen) auslösen, auf die wir nicht gefaßt sind usw. Das halte ich doch zumindest für ein starkes Indiz dafür, daß es ein ``da draußen'' gibt, wie auch immer das aussehen mag.

Bleibt noch die Frage, wie Bewußtsein und Psyche zusammenhängen. Da scheint mir, daß ``Psyche'' eine Art Oberbegriff ist für alles, was wir wahrnehmen können (also im Bewußtsein ankommt), nicht zur Welt ``außerhalb unseres Körpers'' und zumindest nicht ausschließlich zum Körper selber gehört. Das würde das Bewußtsein ausdrücklich einschließen.

Also zusammengefaßt: Ein Ding, daß einiger Leute Vorstellung von ``Seele'' ziemlich ähnelt, existiert in jedem von uns, nämlich das was ich meine, wenn ich ``ich'' sage. Es ist nicht lokalisiert, ist aber vom Gehirn abhängig. Damit ist seine Existenz an die des Körpers gebunden, will heißen, sie werden dereinst gemeinsam sterben. Daß es darüberhinaus unsterbliche Anteile hat ist unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.

Und falls sich jetzt jemand bemüßigt fühlt, mich einen ``total verkopften Naturwissenschaftler'' zu schimfen, dann nehme ich das als Kompliment :-)


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