Gert Mattenklott (* 21. Januar 1942 in Oranienburg bei Berlin; † 3. Oktober 2009 in Berlin) war ein deutscher Komparatist, Kunstphilosoph, Kritiker, Sammler, Essayist, Schriftsteller und Hochschulpolitiker.
Inhaltsverzeichnis
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* 1 Leben
* 2 Porträt
* 3 Zitate
* 4 Werke (Auswahl)
* 5 Literatur
* 6 Weblinks
* 7 Einzelnachweise
Leben [Bearbeiten]
Mattenklott studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Philosophie, Germanistik und Geschichte in Berlin, Göttingen und Grenoble, vor allem bei Peter Szondi, Jacob Taubes und Wilhelm Emrich. Mit einer Dissertation über „Melancholie in der Dramatik des Sturm und Drang" wurde er promoviert. Bereits zwei Jahre danach, im Alter von 28, habilitierte er sich 1970 mit dem Buch „Bilderdienst. Ästhetische Opposition bei Beardsley und George“. Während seiner Habilitation war er Research Fellow an der Yale University. Von 1972 bis 1994 lehrte er als Ordinarius für Neuere Deutsche Literatur und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg, seit 1985 auch als Adjunct Professor der University of Massachusetts at Amherst. 1994 wechselte er als Ordinarius für Komparatistik zurück an die Freie Universität Berlin. Er hatte zahlreiche Gastprofessuren unter anderem in Japan, den USA, Israel sowie mehrfach in Italien. Mattenklott war Kritiker unter anderem im Merkur, in der Neuen Rundschau, in Sinn und Form, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählten Judaica, Ästhetik, Die Künste im Vergleich sowie Weltliteratur in der Globalisierung.
Gert Mattenklott war verheiratet mit Gundel Mattenklott, Professorin im Fachgebiet Musisch-Ästhetische Erziehung an der Universität der Künste Berlin.[1]
Porträt [Bearbeiten]
Lorenz Jäger gab in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. Januar 2001 eine geistige Physiognomie Mattenklotts zu dessen 60. Geburtstag:
"(…) Und tatsächlich erinnert manches an Gert Mattenklott - das Federnde, Bezaubernde, Jugendliche und Liberale seines Stils - an die Philologen aus der Schule Stefan Georges, an Friedrich Gundolf und Max Kommerell. Selbst in dem dogmatischen Klima, für das die Universität Marburg in den siebziger Jahren berüchtigt wurde, hat er diese Haltung nicht abgelegt.
(…) Die nervösen Irritationen zwischen radikaler Demokratie - dem Kampfbegriff der Achtundsechziger - und dem geistesaristokratischen Habitus haben ihn produktiv gemacht. Leidenschaften, erklärte Mattenklott einmal, "haben etwas Monarchisches in ihren Ansprüchen. Die Bemühungen der Therapieindustrie, mit den Leidenschaften umzugehen, zeigen deshalb nur die Grenzen des vernünftigen Umgangs mit Emotionen. In den Leidenschaften sucht nun einmal ein sehr mächtiger Tyrann in uns nach Herrschaft, der auch den Demokratismus in seine Schranken weist. (…)“
Zitate [Bearbeiten]
* »Die gesellschaftliche Aufsicht über das Denken herrscht über die gesprochenen Sätze strenger als über die Sprache der Körper. (…). Wo expressis verbis argumentiert wird, appelliert die aufgeklärte Verständigkeit an die Konventionen, während Mimik und Gestik – gewissermaßen populistisch subversiv gegen die diskursive Logik – die verbalsprachliche Rede sabotieren. Ergriffen und furios bewegt von der geschichtlichen Möglichkeit, redet die Avantgarde oft in der Form ekstatisch und leidenschaftlich in der Sprache der Körper, aber illusionslos und resigniert dem literarischen Wortsinn nach.“[2]«
* »Das Ideal, dem das hermetische Werk und seine ihm gemäße Theorie gleicherweise verpflichtet sind, ist das der Intaktheit, der nicht etwas anhaben kann. Die ewige Jugend der Werke (…) zitiert von nicht zu fern das Bild des Epheben als allegorisches für diese Auffassung von Kunst, wie Altenberg es beschrieben hat: ‚Die Leiber der Knaben sind biegsam wie Kautschuk, es kann ihnen nichts geschehen, sie geben nach, jedem Schwunge; was man auch mit ihnen treibe, sie bleiben intakt.’ Dergestalt soll sich auch die Kunst bewähren.“ [3]«
* »Eine innere Unerlöstheit scheint Sexualität geblieben zu sein auch nach allen Versuchen, sie hygienisch, politisch und religiös zu neutralisieren. Sollte ich mich hierin nicht irren, so könnte die Vergegenwärtigung von historisch Verdrängtem einer Ahnung zur Sprache verhelfen (…): daß die Sexualität als ästhetisch-aristokratische Passion – nicht als liberaldemokratische Beziehung – eine Vergangenheit hatte, deren Zukunft zu entdecken wir noch mündig werden müssen.«[4]
* »Man kann die Gegenwart fliehen, um bei sich zu sein, hat Max Kommerell einmal geschrieben. Eine komplette Insulinde in den ideologisch aufgewühlten Wassern der zwanziger Jahre ist von solchen Solitären bewohnt, deren Gemeinsamkeit der Blick zurück und beiseite ist (…).« [5]
* »Die extensiv gerichtete Neugier nach immer mehr Kunsterfahrung ist erst die Folge einer ersten intensiven Berührung, deren Schauder vielfach mit den Worten beschrieben worden ist, mit denen die seelische Gewalt von Liebesbegegnungen wiedergegeben wird: einem Choc, einem Blitz, profaner Erleuchtung vergleichbar. Hier ist auch der Grund für die Fragwürdigkeit kunstpsychologischer Erklärungen, die das ästhetische Verlangen neben das sexuelle und diese beiden neben den Hunger als das Grundmuster rücken, bei dem die Nachfrage eines eindeutig definierten Bedürfnisses mit dem Angebot einer angemessenen beantwortet wird. Was für die Sexualität mit Gründen behauptet werden kann, ist leichter noch an der Kunst einzusehen, weil hier niemand darauf verfällt, sie als Sättigung eines physiologischen Mangels zu definieren: Es gibt Antworten, die eher da sind als Fragen, Befriedigung, die das Bedürfnis weckt, ein Glück, dem das Glücksverlangen nachfolgt. Dem entspricht, daß der hingerissene Umgang mit einem Kunstwerk, wie unzweifelhaft er als Erfüllung erfahren wird, die ästhetische Sehnsucht geradezu weckt, auch hierin wohl dem Liebesglück vergleichbar, mit dem die sexuelle Neugier keineswegs zur Ruhe zu kommen pflegt.«[6]
* »Ob je irgendeine Wissenschaft, Pädagogik oder politische Überzeugungsarbeit Gesinnungen dauerhaft verändern und Menschen vor ihresgleichen in Sicherheit zu bringen vermag, kann man bezweifeln. Als Angehöriger einer Minderheit würde ich jedenfalls lieber auf die Stabilität einer Konvention als die Gunst oder Glaubwürdigkeit einer Gesinnung setzen. Es hat den Vorteil, daß ich bei der Konvention nicht fragen muß, aus welchen Motiven sie rührt und ob sie echt ist. Die Strategie von political correctness zielt auf derartige Konventionen.« [7]
* »Für die Diktion Scholems, wie nicht minder für die Walter Benjamins zur selben Zeit, ist bezeichnend, daß sie den Mangel an lehrhafter Autorität durch Apodiktik und distanzschaffende Redegesten ersetzt, die jeden Versuch von Kumpanei oder auch nur theoretischer Einvernahme von vorneherein zum Scheitern verurteilen.« [8]
* »In unseren Jahren begegnet aber die Konstellation von ästhetischer Ekstase im Widerstreit mit politischer Moral selten mehr in Werken, sondern in Form eines Habitus von zwiespältigen Menschen. Über ihn läßt sich schlecht streiten und nicht rechten. Er ist ein Symptom von Zeitgenossenschaft, längst nicht mehr nur in Mitteleuropa.«[9]
* „(…) Ein Mann liebt einen Mann. Im gewöhnlichen Leben passiert das, vertraut man gewissen Statistiken, bei einem von zehn. Bei den Dichtern, so verstärkt sich seit zwanzig Jahren der Eindruck, verkehrt es sich auf neun zu eins. (…)Heines berüchtigte Invektive gegen den homosexuellen Grafen August von Platen erscheint in diesem Licht nicht als historisch überfälliges Relikt in einer langen Geschichte des Vorurteils, sondern als Auftakt zur erotischen Disziplinierung im Zeichen der Sexualdemokratie: gleicher Sex für alle! - Platens Abweichung ist für den assimilationsbereiten Juden Heine, der sich zudem der eigenen korrekten Männlichkeit selbst nie gänzlich sicher war, in gleichem Sinn exklusiv, luxuriös und anmaßend wie der Geburtsadel des Grafen. Selbstverwirklichung hin oder her, so wird hier schon früh deutlich, die sexuelle Abweichung ist ein aristokratischer Anspruch, der im Zuge der Demokratisierung für nicht besonders schutzbedürftig gilt. Sie tendiert zur Gesetzlosigkeit, sei es als Privileg derer, die über dem Gesetz zu stehen beanspruchen, sei es als anarchische Rebellion von solchen, deren Lasterhaftigkeit sie aus der bürgerlichen Ordnung ausschließt. (…) Schließlich wird am Ende dieses Jahrhunderts immer deutlicher zu entdecken sein, wie die Sklavensprachen unter der Voraussetzung nicht bloß erotischer, sondern mehr noch politischer Knebelung einen erstaunlichen Formenreichtum und Hintersinn hervorgebracht haben. Ist Camouflage nicht schließlich eine ähnlich elementare Energie poetischer Produktivität wie Satire oder Mimesis?“[10]
* »Ohne daß die Frage nach Herkunft, Familiengeschichte oder Konfession die Auswahl beeinflußt hätte, ergibt es sich am Ende dennoch, daß die Autoren überwiegend Teilhaber jüdischer Geschichte in Deutschland sind. So soll bei dieser Gelegenheit die Beobachtung festgehalten werden, daß - unberührt von aller vermeintlichen 'Normalisierung' im Umgang mit Außenseitern - Literatur über Juden, Homosexuelle, Frauen, Sinti und Roma in aller Regel auf die Zugehörigkeit der Autoren zu dieser Gruppe bzw. eine entsprechende Präferenz schließen läßt.« [11]
* »Jeder Fachwissenschaftler, der auf seinem Gebiet über Bisexualität forscht, ist ein Sonderling, egal ob in der Psychologie, Soziologie, Anthropologie oder - wie in meinem Fall - der Literaturwissenschaft. Also besteht hier für eine Freie Universität - d.h. eine Universität mit so wenig Vorurteilen wie möglich - Nachholbedarf.(...) Bisexualität ist ein Symptom der Unordentlichkeit des Lebens - kein Dogma, kein Sektenstichwort, sondern eine der vielen Erscheinungsformen von Zuneigung, die sich nicht planen und dauerhaft auch nicht reglementieren läßt: also ein Stoff für die Tragödien, vor allem aber auch die Komödien in Leben und Kunst. (...)«[12]
* »Bildung an Literatur ist dergestalt keine luxuriöse Ergänzung des Studiums wie früher Reiten, Fechten oder Tanzen, sondern Vergegenwärtigung der Borniertheit von bloß funktionaler Ausbildung und Bemächtigung von Lebenswissen. - In der literarischen Welt herrscht keine Demokratie. Jeder Autor ist Monarch, und seine Anhängerschaft ist, indem sie von einem zum anderen wechselt, immer aufs Neue promisk und schamlos in ihrer Neugier und Hingabebereitschaft. Das Wissen und die Lust, die jeder von ihnen bereitet, sind einmalig und unverwechselbar.« [13]
Werke (Auswahl) [Bearbeiten]
* Melancholie in der Dramatik des Sturm und Drang. (Studien zur allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft. Band 1). Stuttgart (Metzler) 1968
* Bilderdienst. Ästhetische Opposition bei Beardsley und George. München (Rogner & Bernhard) 1970
* Der übersinnliche Leib. Beiträge zur Metaphysik des Körpers. Reinbek bei Hamburg (Rowohlt) 1982
* Blindgänger. Physiognomische Essais. Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1986
* (zusammen mit Gundel Mattenklott): Berlin Transit. Eine Stadt als Station. Reinbek bei Hamburg (Rowohlt) 1987.
* Über Juden in Deutschland. Frankfurt am Main (Jüdischer Verlag) 1992,
* Karl Blossfeldt. Urformen der Kunst. Wundergarten der Natur. Das fotografische Werk in einem Band. München (Schirmer/Mosel) 1994
* Jüdisches Städtebild Berlin. Mit einer stadtgeschichtlichen Einführung von Inka Bertz. Frankfurt am Main (Jüdischer Verlag) 1997.
* (zusammen mit Gerald Funk und Michael Pauen): Ästhetik des Ähnlichen. Zur Poetik und Kunstphilosophie der Moderne. Frankfurt am Main (Fischer) 2001.
* Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste. Epistemische, ästhetische und religiöse Formen von Erfahrung im Vergleich. Sonderheft des Jahrgangs 2004 der Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft. Hamburg (Felix Meiner) 2004.
Literatur [Bearbeiten]
* Lorenz Jäger: Leidenschaften sind monarchisch. Ästhetik der Opposition. Gert Mattenklott wird 60 Jahre. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 21. Januar 2002, Nr. 17, S. 45
* Lothar Müller: Die Enden der Ellipse. Zum Tod des Komparatisten und Essayisten Gert Mattenklott. In: Süddeutsche Zeitung. 6. Oktober 2009, Nr. 229, S. 14
Weblinks [Bearbeiten]
* Zum Tod des Komparatisten Professor Gert Mattenklott In: campus.leben vom 6. Oktober 2009
* Literatur von und über Gert Mattenklott im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek (Datensatz zu Gert Mattenklott • PICA-Datensatz)
* Matthias Kamann: Gert Mattenklott, Literaturwissenschaftler. In: Die Welt, 7. Oktober 2009.
Einzelnachweise [Bearbeiten]
1. ↑ http://www.udk-berlin.de/sites/maerz/content/personen/prof_dr_mattenklott/vita/index_ger.html
2. ↑ G.M.: Melancholie in der Dramatik des Sturm und Drang. 1. Aufl. Metzler 1968, hier 2. Aufl. Athenäum 1985, S. 182f.
3. ↑ Bilderdienst. Ästhetische Opposition bei Beardsley und George. München: Rogner Bernhard 1970, S. 316
4. ↑ G.M.: Blindgänger. Physiognomische Essais. Edition Suhrkamp 1986, S. 124
5. ↑ G.M.: Max Kommerell – Versuch eines Portraits, in: Merkur, 7/1986, S. 546
6. ↑ G.M.: Kanon und Neugier, in: Kursbuch 91/März 1988, S. 99-108, hier S. 100
7. ↑ »Kurzschlüsse von Meinung und Macht. Von universitären Kreuzzügen im Namen der political correctness.« FU Nachrichten 6/95
8. ↑ G.M.: Über Juden in Deutschland. Frankfurt/Main (Jüdischer Verlag) 1992, S. 101
9. ↑ G.M.:Ästhetische Ekstase, politische Moral. Zum sechzigsten Geburtstag der Schriftstellerin und Essayistin Susan Sontag (1933-2004, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Januar 1993)
10. ↑ Offenes Geheimnis. Heinrich Deterings Studien eines Tabus (Rez. Heinrich Detering: »Das offene Geheimnis«. Zur literarischen Produktivität eines Tabus von Thomas Mann bis zu Winckelmann. Wallstein Verlag, Göttingen 1995) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. März 1995, Nr. 72, S. B5
11. ↑ G.M. (Hrsg.): Jüdisches Städtebild Berlin. Frankfurt/Main 1997, S. 358
12. ↑ FU:N 7/1996
13. ↑ Laudatio zur Verleihung der Ehrendoktorwürde der FU Berlin an Orhan Pamuk, Literaturnobelpreisträger 2006. Freitag, 4. Mai 2007
Personendaten
NAME Mattenklott, Gert
KURZBESCHREIBUNG deutscher Komparatist, Kunstphilosoph, Kritiker, Sammler, Essayist, Schriftsteller und Hochschulpolitiker
GEBURTSDATUM 21. Januar 1942
GEBURTSORT Oranienburg bei Berlin
STERBEDATUM 3. Oktober 2009
STERBEORT Berlin
Von „http://de.wikipedia.org/wiki/Gert_Mattenklott“
Kategorien: Literaturwissenschaftler | Literaturkritik | Autor | Essay | Hochschullehrer (Marburg) | Hochschullehrer (Freie Universität Berlin) | Deutscher | Geboren 1942 | Gestorben 2009 | Mann
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