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anna, am 5.4. 2002 um 00:38:03 Uhr
Schrift

ein mittelalterlicher schreiber fasste den vorgang des schreibens in die worte zusammen:
tres digiti scribunt totumque corpus laborat.
(drei finger schreiben, aber der ganze körper arbeitet dabei). das will besagen, dass nicht ein mechanisches aneinanderreihen angelernter schriftzeichen und schriftformen zu worten und sätzen das wesen des schreibens ausmacht, sondern dieses vielmehr ausdruck der persönlichen eigenart des menschen ist, seines denkens und fühlens ebenso wie seines könnens und wissens. der mensch ist aber mit seiner umwelt und seiner tradition nach herkunft, erziehung , gewohnheit und lebensart stärker verbunden als ihm gemeinhin zum bewußtsein kommt. ihn schließt ein zeitlich bedingter lebenskreis ein, der selbst wieder einem stetig fortschreitendem wandel unterworfen ist. damit spiegeln schriftzüge zugleich auch in unverkennbarer weise das jeweilige zeitkolorit wieder. die schrift, die sich schon in knapp aufeinanderfolgenden generationen merklich unterscheidet, kann mithin sowohl in ihrem gesamteindruck (duktus) wie auch in der form der einzelnen buchstaben nicht anders als aus dem insgesamt der zeit verstanden werden, aus der die niederschrift stammt. sie ist kein für sich bestehendes faktum, das man allein für sich betrachten und beurteilen kann, sofern aufs engste und vielfältigste verknüpft mit allen wesensäusserungen des menschlichen daseins innerhalb einer zeitbedingten umwelt. und deshalb gehört zum verständnis der schrift, auch wenn nur sie in besondere im mittelpunkt des interesses besteht, ein hohes maß von einfühlungsvermögen, das die ausdrucksformen des jeweiligen sprachgebrauchs ebenso berücksichtigt wie die zeitbedingten wesensäusserungen etwain der baukunst, im kunsthandwerk, in der malerei, der plastik, der grafik, aber auch im geistesleben, in der musik, im rechtsempfinden im brauchtum, kurz in allem, was sich an traditionswerten einer vergangenen zeit als gegenständliches, geistiges oder schriftliches überlieferungsgut bewahrt hat. wer von dieser einstellung aus an das lesen von handschriften früherer zeitperioden herangeht, wer sich in dei jeweilige umwelt hineinzuversetzen versteht, in der die niederschrift entstanden ist, wird nicht nur leichter und zuverlässiger die schriftzüge im einzelnen in unsere heute gewohnte form übertragen, sonern auch ihren sinngehalt richtig verstehen und beurteilen können. das einwandfreie lesen alter handschriften und deren auslegung setzt also mehr vorraus als nur das mechanische kennenlernen der schriftformen und deren eigenheit im wandel der jahrhunderte. grundlage und ausgangspunkt der abendländischen schrriftentwicklung bildeten die schreibformen die im römerreich in gebrauch waren und ihrerseits auf die schrift der grichen und phöniker zurückgehen. der heimatforscher wird freilich kaum in die lage kommen, sich mit den römischen und den daraus erwachsenen früh und hochmittelalterlichen schriftformen im besonderen befassen zu müssen. trotzdem kanner aber auf die kenntnis der allerwichtigsten entwicklungsvorgänge gerade dieser schriftwandlung nicht verzichten, da viele einzelheiten, die sowohl für die formgebung als auch für den duktus der schrift in jeder phase der der entwicklung kennzeichnend wurden, nur aus den wurzeln der römischen schrift erklärbar sind. es hat sich in der wissenschaft ein gesonderter forschungs und lehrzweig herausgebildet, der sich in kritischer wertung mit den veränderungen der schrift seit der antike befasst und einen hauptpfeiler der historischen hilfswissenschaften bildet: die lateinische paläographie. am beginn der zu überblickenden schriftentwicklung steht mit die römische kapitale, eine monumentale schrift von elegenter ebenmäßigkeit mit betont epigraphischem charakter. sie lässt sich auf den römischen denkmälern bis in das sechste oder fünfte vorchristliche jahrhundert zurückrechnen und hat bis zum beginn der römischen kaiserzeit ein alphabet von 23 buchstaben entwickelt, die noch heute die grundformen der lateinischen versalien bilden. möglicherweise ist die kennrnis von dem betont epigrahpischen charakter der römischen kapitale einseitig daher bestimmt, dass die enthaltenen schriftdenkmäler dieser frühern periode nur als inschriften in stein und erz überliefert sind, womit sich von selbst versteht, dass die grundform jedes einzelnen buchstabens eine klare einfachheit und der schriftcharakter in seiner gesamtheit eine durch das material bedingte Monumentalität verkörpert. und doch lässt das nebeneinander zweier in sich verschiedener schriftarten einmal einer sich gleichbleibender


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