Verblaßter MYtilos Grenze?
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Florian Schneider
Grenzen sind da, überschtitten zu werden. Ihre Bedeutung tritt erst dann zu Tage, wenn sie verletzt werden, und gegen weiche Formen von Übertretung der Staat Vorkehrungen tilfft, gibt einigen Aufschluß über die unbefragte innere Verfaßtheit der Gesellschaft. Men. schen lassen sich von jeher nur schwer daran hindern, Grenzen zu überschreiten. Gleichgültig wozu und wes. halb - bestimmte Grenzen zu passieren, istfür die meisten Menschen dieser Welt heute schwerer denn je. Die Te@torialgrenzen mancher Nationaistaaten werden zur Zeit ersetzt durch neue Grenzen, die nicht nur als Demarkationslinien zwischen Wohlstand und Armut fungieren: Mobilität und Bewegungsfreiheit sind ein Pfivileg, das wiederum neue Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse stiftet.
Um seine gelangweilten Sommergäste zu amüsieren, kam der Fremdenverkehrsverein Ischgl vor ein paar Jahren auf eine ausgesprochen originelle Idee: Wie romantisch muß es einst gewe. sen sein, in dunkler Nacht, noch ehe der Morgen graut, mit einem vollbepackten Rucksack an den Zöllnern vorbei über die Grenze zu schleichen ... » Die örtliche PR-Agentur wurde beauf tragt, ein Konzept zu entwickeln, um die Idyllen des illegalen Grenzübertritts und die schillernde Schmugglertradition' des Bergdorfes an der Grenze zur Schweiz wiederzubeleben. jedes Jahr im September wird nun beim Internationalen Schmugglercup' prämiert, wer beim Weg vom sechs Fußstunden entfernten Samnaun möglichst selten von Zöllnern kontrolliert wird. Und natürlich auch, wer das originellste @SchmuggierOutfit« trägt.
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Kein Zweifel, der Mythos Grenze verblaßt und ist vielerorts offenbar zu bloßer Nostalgie verkommen. Nicht nur in lschgl und nicht nur für den Fremdenverkehr innerhalb der europäischen Binnengrenzen. Mit dem Beitritt der meisten EU-Mitgliedsländer zum Schengener Abkommen gehören Grenzkontrollen laut Vertragstext der Vergangenheit an. Für Zugreisende und Autofahrer sind die Binnengrenzen der bislang neun europäischen Unterzeichnerstaaten zu besseren Landkreisgrenzen mutiert; und wenn alles klappt, sollen in ein paar Jahren auch nach Polen, Tschechien, Ungarn und Slowenien die Schlagbäume fallen. Pünktlich zur jahrtausendwende scheinen Wartezeiten bei der Aus- oder Einreise ein ebensolcher Anachronismus zu sein wie bald Duty-Free-Shops an Flughäfen mitsamt den Zöllnern, die in dreckiger Urlaubswäsche nach Schnaps und Zigaretten wühlen.
Das neue Millenium kündigt sich an, indem es nicht nur die alten Grenzziehungen, sondern offenbar auch die Idee von Grenzen an sich verwirft. Die Globalisierung' schert sich bekanntlich einen Dreck um nationalstaatliche Territorien und protektionistische Blöcke. Die neuen Kommunikationstechnologien lassen die ganze Welt zu einem einzigen, glatten Raum verin dem poli'üschc,'Regelwerke, kulturelle Distanzen und geographische Besonderheiten in Sekundenschnelle kurzgeschlossen werden. Mit dem Abdanken der letzten und gleichzeitig größten Grenze, dem eisernen Vorhang' zwischen Ost und West, wurde der Erosionsprozeß der Nationalstaaten augenfällig: Nicht nur geographisch, auch politisch waren diese von ihren Enden definiert. Der Traum von der One world' kennt keine Grenzen und deswegen auch keine Geschichte.
Verstellter Blick
Für Optimisten und notorische Modernisierungsgewinner ist das Verschwinden der Grenzen nicht nur eine unaufhaltsame, sondern durchaus erfreuliche Entwicklung: Neoliberale und AltHippies, Techno-Eliten und Feierabend-Broker, transnationale Konzerne und organisierte Kriminalität feiern grenzenloses Amüsement, weltweite Kommunikation und ungehinderte
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