Vor 5 Jahren wurde mit der finanziellen Unterstützung der SCHMOLZ-Stiftung das Schmerz- und Spielzentrum Harvestehude gegründet. Die wütenden Proteste des Anfangs sind längst verstummt, und haben einer differenzierteren Sichtweise auf dieses ungewöhnliche Vorschulprojekt Platz gemacht. Zum Jubiläum besuchten wir das Institut und sprachen mit Professor Ernst Röhrlein, dem Vater des STTIK (Schmerztoleranztraining im Kindesalter).
Mit deutlichem Stolz führt uns Röhrlein die neueste Trainingseinheit vor: im 'Imkerzimmer' werden die Kleinen unter Aufsicht der erfahrenen Entemologin Romika Innstedt mit einem Teil der Fauna vertraut gemacht, den wohl jeder von uns schon einmal am eigenen Leibe verspürt hat. Alle Eltern kennen die Erfahrung, wenn ein Bremsen- oder Bienenstich in den Finger des Sprößlings zum sofortigen tränenreichen Abbruch des Familienausflugs führt. Gerade wird eine fünfköpfige Kindergruppe, zunächst mit Bienenschleier und -pfeife ausgestattet, mit den fleißigen Produzenten des süßen Goldes vertraut gemacht. Wabenkunde oder auch der
Blick in das Innere einer Drohne, die Frau Dr. Innstedt für den staunenden Nachwuchs viviseziert, machen die Vorschüler zunächst mit den biologischen Tatsachen vertraut. »Danach ist es nur ein kleiner Schritt für die meisten, die ohnehin als lästig empfundenen Schutzgeräte beiseitezulegen. Dann ein Tupfer Honig auf den Finger - manche Naschkatze zieht den Mundwinkel vor - und Sekunden später ist es meist geschehen. Natürlich achten wir darauf, daß kein Kind eine seiner Physis unzuträgliche Menge an Stichen empfängt. Zwei, allenfalls drei Stiche, und die Kinder verlassen das Zimmer mit einem geschwollen Fingerchen, einer Tüte Honigbonbons und einem tiefen Maß an Respekt und Einsicht in die Schöpferkraft der Natur.«
Nebenan im Fallraum versucht sich die 3jährige Jennifer noch zögerlich an dem Sprung von einem Schemelchen, während der 6jährige Pascal uns stolz zum wiederholten Male seinen Paradesprung vorführt: eine Knielandung aus zweieinhalb Meter. Die angebotene Turnmatte verschmäht er als 'Pipikram'; er zieht die gegenüberliegende, eigentlich für Schleifübungen gedachte Tartanbahn vor. Überzogene Erwartungen weist Röhrlein entschieden zurück: »Der Schmerz hat im Leben des Menschen eine unverzichtbare Schutz- und Warnfunktion. Wir können und wollen nicht aus einer Mimose einen Fakir machen. Und auch eine vollkommene Sicherheit, daß unsere Kinder später die trainierten Situationen vorbeugend erkennen und meiden, gibt es nicht. Aber wenn dann das Kind in den Brunnen gefallen ist«, schließt er schmunzelnd, »weiß es wenigstens schon während des Falles, was es erwartet.«
Favorit der meisten kleinen Teilnehmer ist das Lärmzimmer. In unserer heutigen Zeit ist die akustische Umweltverschmutzung längst als ein krankmachender Faktor von immenser Tragweite anerkannt. Und wie so oft sind es gerade die Jüngsten, die auf ein vorbeijagendes Motorrad oder eine Polizeisirene mit Einkoten, Nägelkauen oder gar postponiertem Krippentod reagieren. Hier im Lärmzimmer gehen sie auf eine Hör-Reise, die von der aufgedrehten Stereoanlage bis zu den simulierten Startgeräuschen einer Arianerakete führt. Einsichtsstiftend wirkt offenbar auf viele die Wiedergabe des auf 120 Dezibel verstärkten Wut- und Schmerzgebrülls einer Gruppe Münchner Vorschüler. Mancher kleine Schreihals wird hier zum Nachdenken angeregt, und verläßt den Raum, den er als Hunnenkönig betreten hat, als kleiner Moltke.
Während wir die Traumakammer passieren („unsere Kursneulinge lesen oft ‚Traumkammer‘, erzählt Röhrlein. „Allerdings nur beim ersten Mal...“) kommt Röhrlein auf eines seiner Hauptanliegen zu sprechen. „Einem konstruktiven Bewältigungsprozeß müssen zunächst die entsprechenden Erfahrungen vorausgegangen sein. Gerade die Kinder der sogenannten ‚happy few‘ haben in dieser Hinsicht oftmals erschreckende Defizite. Überdurchschnittlich häufig haben wir Anfragen von Montessori- und Waldorf-Eltern. Vormittags Eurythmie und nachmittags dann der Nachhauseweg durch St. Georg? Die seelischen Konflikte könnten wohl kaum größer sein.
Und was ist mit dem Fall des kleinen Hans E., der vor weniger als zwei Jahren für Aufsehen gesorgt und sogar eine zweimonatige Schließung des Institutes zur Folge hatte? "Fehler sind dazu da, um aus ihnen zu lernen. Ohne ein ärztliches Attest kommt hier kein Kind mehr rein. 5 Jahre lang eine Herzklappenschwäche des eigenen Kindes nicht zu bemerken; vorsichtig gesagt, trifft hier doch die Mutter und den Pädiater die Hauptschuld, wie es ja auch die Staatsanwaltschaft in ihrer Urteilsbegründung hervorgehoben hat. Und wenn ich mal aus dem Nähkästchen plaudern darf: Frau E. hat vor wenigen Wochen ihre verbliebene Tochter zu unserem Kryoseminar Anfang 2001 angemeldet; ist das etwa kein Vertrauensbeweis?“ Womit auch die Frage nach dem Zweck des Kühlraums geklärt ist - „Sehr richtig, wir sind weder eine Metzgerei noch die Pathologie, auch wenn das einige unserer Gegner so sehen mögen. Wir sind ja auch kein Fotolabor und haben dennoch eine ‚Dunkelkammer‘...“ sagt Röhrlein lachend.
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