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Michael Erbstadt schrieb am 10.10. 2003 um 15:13:13 Uhr über

Schaf

Ein erfolgreicher Tag.

Alwin Stößel war gut gelaunt an jenem Morgen, sie spürten es förmlich! Zwar war er erst am frühen Morgen in ihre gemeinsame Wohnung zurückgekommen, hatte gerade drei Stunden geschlafen, aber das tat seiner guten Laune offenbar keinen Abbruch.
Während seine Mitbewohner ihren gewohnten Tätigkeiten nachgingen, ließ Alwin nochmals die Ereignisse der Nacht Revue passieren: Ein voller Erfolg! Sicher mehr als 100 gequälte, geschundenen Kreaturen hatte er aus dem Hühner-KZ befreien können. Eine der erfolgreichsten Aktionen der vergangenen Zeit! Er grinste in sich hinein: Dem Zugriff der herbeigerufenen Polizei hatte er sich geschickt entzogen. Nicht, dass er anonym bleiben wollte, im Gegenteil. Noch in der Nacht hatte Alwin ein Bekennerschreiben an alle großen Agenturen gefaxt: »Für Tierrechte - Gegen den Massenmord an unseren Mittieren!«, war es überschrieben. »Zu Tausenden in kleinen und großen Zirkussen zur Zwangsarbeit gepresst, zu Hunderttausenden in Zuchthäusern, Zoos genannt, der Freiheit beraubt, um uns zu unterhalten, zu Millionen und Milliarden zu lebenslanger Bewegungslosigkeit in den Mastställen verdammt, Hühner in der Batterie, Kühe in Boxen an Ketten, Schweine mit Gurten festgezurrt. Wir gebrauchen sie zu Millionen als Vorkoster in der gigantischen Giftküche der chemischen Industrie, hexen ihnen alle Krankheiten der Welt an, nageln ihre Skalps an Wände, dulden das schießgeile Gemetzel männerbündlerischer Exekutionskommandos als angeblichen Beitrag zum Naturschutz.«, war seine Lieblingspassage aus dem der Überschrift folgenden Text.
Und am Ende prangte mutig sein Name.

Alwin's Mitbewohner spürten das Vibrieren seiner Schritte, als er den Frühstückstisch abräumte, sorgfältig den Tisch abwischte und das Geschirr wusch. Schließlich war es gut möglich, dass der eine oder andere Reporter bei ihm klingelte, ihn zu den Ereignissen der Nacht interviewen wollte.
Er ging durch die Zimmer, schüttelte dann ein wenig ärgerlich den Kopf und öffnete die Abstellkammer um den Staubsauger herauszuholen. Die Mitbewohner hörten das kräftige Pfeifen, als Alwin mit einem gezielten Kick auf den Fußschalter den Motor anwarf. Sorgfältig begann er den Boden zu bearbeiten, saugte gezielt in den Ecken und Winkeln.

Seine Mitbewohner hätten geschrieen, besäßen sie die Organe dazu. So aber waren sie still, als der ungeheure Sog sie in den dunklen Schlund zog. Ihre Körper, kleiner als ein tausendstes Millimeter, schleuderten an die spiraligen Wände des Schlauches, Extremitäten wurden abgerissen, Körper zerfetzt. Staubpartikel schossen, Kometen gleich, mit ungeheurer Wucht gegen die hilflosen Tiere, rissen ihnen die Leiber auf, Körperflüssigkeit sickerte aus den offenen Stellen, vermischte sich mit den anderen Partikeln des gewaltigen Mahlstroms.
Zu Tausenden landeten sie in einer Papiertüte, tot, verendend, und jene, die wie durch ein Wunder noch lebensfähig waren, würden im lebensfeindlichen Biotop der Mülltonne einen langsamen, qualvollen Tod sterben.

Alwin stellte den Staubsauger ab. Er hatte keine Hausstaubmilbenallergie. Er war nur ein ganz gewöhnlicher Mörder.



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