Schächten oder Schechita (hebr. שחט šacḥaṭ „schlachten“) ist das rituelle Schlachten von koscheren Tieren, insbesondere im Judentum und im Islam. Die Tiere werden mit einem speziellen Messer mit einem einzigen großen Schnitt quer durch die Halsunterseite, in dessen Folge die großen Blutgefäße sowie Luft- und Speiseröhre durchtrennt werden, getötet. Mit dem Schächten soll das möglichst rückstandslose Ausbluten des Tieres gewährleistet werden. Der Verzehr von Blut ist sowohl im Judentum als auch im Islam verboten. Allerdings gibt es dieses Verbot auch im Christentum (Apg 15,28–29 ELB).
Das jüdische Schächten erfolgt ohne vorgängige Betäubung des Tieres, da nach jüdischer Auffassung das Tier durch die Betäubung verletzt und das Fleisch dadurch zum Verzehr unbrauchbar wird. Muslimen ist in Deutschland Schächten nur nach elektrischer Betäubung des Schlachttiers erlaubt.[1]
Inhaltsverzeichnis
1 Hintergrund
2 Ausnahmen
3 Tierschutz
4 Rechtslage
4.1 Deutschland
4.2 Bayern
4.3 Schweiz
4.4 Österreich
4.5 Andere Länder
5 Schächtverbot in der Zeit des Nationalsozialismus
5.1 Zustandekommen
5.2 Suche nach Alternativen
6 Literatur
7 Weblinks
8 Einzelnachweise
Hintergrund
Schächten, Darstellung aus dem 15. Jahrhundert
Schechita, Deutschland 18. Jh. aus: Paul Christian Kirchner: Jüdisches Ceremoniell, 1734
Schächtmesser mit zugehörigem Holzkasten. Stahl und Elfenbein, 18.Jahrhundert
In der Tora heißt es: „Schlachte von deinen Rindern oder Schafen, die dir der Herr gegeben hat, wie ich dir geboten habe.“ (Dtn 12,21 SLT), ohne dass auf die Art, wie die Schlachtung zu erfolgen hat, eingegangen wird. Aus dem Verbot des Blutverzehrs und anderen biblischen Vorschriften abgeleitet, wird auf die Schechita erst im Talmud (Traktat Chullin 1–2) und später in der Mischne Tora (Sefer Keduscha) und im Schulchan Aruch (Jore De'a 1–28) eingegangen.[2]
Mit der Schechita wird ein humanes, das Leid des Tieres möglichst gering haltendes Tötungsverfahren angestrebt. Das halachisch korrekte Schächten besteht aus einem Halsschnitt, der bei Säugetieren durch Luftröhre und Speiseröhre, bei Vögeln durch eine von beiden gehen muss. Der Schnitt muss ohne die geringste Unterbrechung mit einem scharfen, glatten und schartenfreien Messer ausgeführt werden. Verboten ist
die kleinste Pause bei der Durchführung des Schnitts (hebr. Schehija)
das Drücken des aufliegenden Messers in den Hals (hebr. Derassa)
das Verstecken des Messers (hebr. Chalada)
das Ausführen des Schnitts außerhalb der für Schechita bestimmten Grenzen am Hals (hebr. Hagrama)
das Losreißen der Halsgefäße durch den Schnitt (hebr. Ikur)[3]
Der Schlachter (hebr. Schochet) selbst muss eine Ausbildung abgeschlossen haben, die sowohl „praktische“ als auch „geistige“ Aspekte seiner Arbeit umfasst. Das Schlachtmesser muss scharf wie eine gute Rasierklinge sein und darf keinerlei Scharten o. ä. aufweisen.
Auch der Schlachtprozess selbst ist festen Regeln unterworfen. Erste Voraussetzung ist, dass das Tier im Judentum koscher bzw. im Islam halāl ist. Mit einem einzigen Schnitt wird die Kehle durchschnitten, wobei beide Halsschlagadern, beide Halsvenen, die Luftröhre, die Speiseröhre sowie beide Vagus-Nerven durchtrennt werden müssen. Diese Technik führt bei korrekt ausgeführtem Halsschnitt den Tod in der Regel innerhalb von 10–15 Sekunden herbei, jedoch können Rinder noch bis zu 47 Sekunden lang Aufstehversuche unternehmen.[4] Das Tier muss vollständig ausbluten, da der Verzehr von Blut gemäß Kaschrut bzw. Qu'ran (Sure 5 Vers 3) verboten ist. Schechita beschreibt nicht allein den Prozess der Schlachtung selbst, sondern auch die anschließende Kontrolle des Tieres und des Fleisches. So müssen im Judentum z. B. alle Blutrückstände beseitigt werden, was gewöhnlich durch Waschen und Salzen geschieht. Außerdem müssen Fleisch und Organe auf eventuelle Unregelmäßigkeiten (z. B. Krebsgeschwülste) untersucht werden, die das Fleisch treif, d. h. nicht koscher machen würden. Im Islam gelten zum Teil andere Regeln für die „Nachbearbeitung“ des Fleisches.
Ausnahmen
Fisch unterliegt nicht dem Gesetz von Schechita. Der Talmud lehrt dies im Traktat Chullin 27b, und auch der Schulchan Aruch geht auf diesen Sachverhalt im Abschnitt Hilchot Schechita 1 ein. Bei Fischen ist entscheidend, dass es sich um eine von der Tora als koscher genannte Fischart handelt.
Bei der Mehrheit der Muslime gilt, dass fast alles, was aus dem Meer an Nahrung gewonnen wird, auch als halāl angesehen wird, somit auch Fische, allerdings nur solche mit Schuppen. Die Schiiten allerdings erachten nur Fische mit Schuppen und Garnelen als halāl. Alle anderen Fischsorten gelten als Haram. Die Fische müssen gemäß ihrer Rechtsschule zudem lebendig aus dem Wasser geholt werden.
Tierschutz
Das Schächten ist vom Standpunkt des Tierschutzes umstritten. Die Befürworter dieser Methode argumentieren, dass bei korrekter Ausführung des Schächtschnittes ein schnelles Ausbluten sichergestellt sei, bei dem es zu einem schlagartigen Abfall des Blutdrucks und damit der Sauerstoffversorgung des Gehirns komme. Hierdurch trete bereits nach kurzer Zeit eine Bewusstlosigkeit ohne nennenswerte Schmerzen ein. Grobe Fehler beim Schächten seien zweifellos als ebenso qualvoll für das Tier anzusehen wie grobe Fehler jeder anderen Schlachtmethode.
Eine 1978 veröffentlichte Studie von Forschern der Tierärztlichen Hochschule Hannover deutet auf die Abwesenheit von Schmerzreizen beim Schächten hin. Ziel der Studie war die „Objektivierung von Schmerz und Bewusstsein“ der Tiere, um objektiv gültige Urteile bezüglich des Tierschutzes zu erlangen, da die diesbezügliche Diskussion bisher weitestgehend mit subjektiven und emotional geprägten Argumenten geführt worden war. Die EEG-Messungen der Untersuchung zeigten vor und nach dem Schächtschnitt unveränderte Hirnströme, wohingegen die Bolzenschussbetäubung im EEG auf deutliche Schmerzen hinwies. Die Wissenschaftler zogen daher folgendes Fazit: „Die hierbei in vergleichender Untersuchung gewonnenen Einblicke in sinnesphysiologische Abläufe beim Schlachten dieser Tiere weichen z. T. erheblich von bisherigen Vorstellungen ab.“[5]
In einem Bericht des Eidgenössischen Bundesamt für Veterinärwesen (BVET), der nach einem Besuch im Schächthof in Besançon entstand, wird berichtet, dass die Aussagen, „wonach das Schächten nicht tierquälerisch sei, nicht bestätigt werden. Zahlreiche Tiere, an denen der Schächtschnitt korrekt ausgeführt wurde, zeigten nach dem Schnitt heftige Abwehrreaktionen; der Augenreflex (Cornealreflex), dessen Ausbleiben als anerkanntes Maß für den Verlust des Bewusstseins gilt, war teilweise bis 30 Sekunden nach dem Schnitt noch deutlich festzustellen.“[6]
Gegner des Schächtens kritisieren, dass die Bewusstlosigkeit des Tieres nicht sofort eintritt, da die Blutversorgung des Gehirns auch durch nicht durchtrennte Gefäße im Bereich der Wirbelsäule und des tiefen Nackens erfolgt, und verweisen auf manche Video-Aufnahmen geschächteter Tiere, die einen teilweise mehrminütigen Todeskampf durchleben, obwohl sichtbar die Luftröhre und Halsschlagadern durchtrennt wurden. Eine sofortige Bewusstlosigkeit sei daher beim Schächten nicht automatisch gegeben, was darauf zurückzuführen sei, dass der Ausblutungsprozess eine gewisse Zeit benötigt. Auch sei ein Beharren auf das Schächten ohne vorherige Betäubung mit dem Hinweis auf das erforderliche Ausbluten nicht überzeugend, da ein betäubtes Tier in gleicher Weise ausblutet wie ein nicht betäubtes. Außerdem würden auch beim besten Ausbluten immer noch Blutrückstände im Fleisch bleiben, so dass dieses Argument angezweifelt werden kann.
Von Befürwortern wird die moderne Schächtung von ihrer Einführung bis in die Gegenwart im Sinne des Tierschutzes (schnelle Tötung) und der Lebensmittelhygiene (Fleischbeschau) als fortschrittlich angesehen. Die Einführung moderner Betäubungsmethoden (Bolzenschuss, Begasung oder Strom) im zwanzigsten Jahrhundert würde nach deren Auffassung Ansätze bieten, die Tierfreundlichkeit weiter zu verbessern. Diese Ansicht wird auch von Reformjuden geteilt, welche den Verzehr von unter Betäubung entbluteten Tieren erlauben.
Jörg Luy, seit 2004 der Inhaber des ersten Lehrstuhls für Tierschutz und Tierverhalten (an der FU Berlin), berief 2005 die Fachtagung „Tierschutz bei der rituellen Schlachtung“ ein und arbeitet bei dem EU-weiten (Israel und die Türkei mit einbeziehenden) Projekt DIALREL (Dialogue on issues of Religious Slaughter) mit,[7] das eine einvernehmliche, verfassungskonforme europäische Regelung anstrebt.
Rechtslage
Deutschland
Schächten ist in Deutschland grundsätzlich nicht gestattet, da das Tierschutzgesetz das Schlachten von Wirbeltieren ohne vorherige Betäubung untersagt (Generalverbot mit Ausnahmeerlaubnisvorbehalt, § 4 TierSchG). Die Einfuhr von Fleisch im Ausland geschächteter Tiere ist dagegen legal. Wer von dieser Vorschrift ohne Ausnahmegenehmigung abweicht, macht sich strafbar oder begeht mindestens eine Ordnungswidrigkeit, was auch zu einem Berufsverbot oder einem Verbot des Umgangs mit Tieren führen kann (§ 17 TierSchG). Tiere aus deutschen Betrieben werden daher regelmäßig ins Ausland zur Schlachtung exportiert, dort geschächtet und das Fleisch anschließend wieder nach Deutschland eingeführt.[8]
Aus religiösen Gründen können Ausnahmegenehmigungen erteilt werden. Lange Zeit wurden in der Bundesrepublik Juden diese Genehmigungen meist erteilt, Muslimen dagegen meist nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (Schächturteil) muss wegen der nach Art. 4 GG verfassungsmäßig uneingeschränkt gewährten Religions- und Glaubensfreiheit (sowie aufgrund der Berufsfreiheit eines islamischen Metzgers) auf Antrag eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden, sofern das Fleisch des getöteten Tieres von Personen verzehrt wird, denen zwingende religiöse Vorschriften den Verzehr des Fleisches nicht geschächteter Tiere verbieten.[9] Nach Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel in Art. 20a des Grundgesetzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 23. November 2006 nicht ausgeschlossen, dass einem muslimischen Metzger eine Ausnahmegenehmigung zum betäubungslosen Schlachten (Schächten) von Rindern und Schafen erteilt werden kann, um seine Kunden entsprechend ihrer Glaubensüberzeugung mit Fleisch zu versorgen. Der Ausgleich zwischen dem zum Staatsziel erhobenen Tierschutz und den betroffenen Grundrechten ist so herzustellen, dass beides Wirkung entfalten kann.[10] Das Schächten muss jedoch von einer sachkundigen Person in einem zugelassenen und registrierten Schlachtbetrieb erfolgen und vom zuständigen Veterinäramt überwacht werden. Nach einer anderen Auffassung, die früher auch vom Bundesverwaltungsgericht vertreten wurde, werde das Schächten nicht von der Religionsfreiheit umfasst, solange eine Religion eine vegetarische Ernährungsweise erlaubt.[11][12]
Durch das Verbot des muslimischen Schächtens im Jahr 1995 erlitten einzelne Großschlachtereien Umsatzeinbußen bis zu 40 %. Erlaubt ist in Deutschland das Schächten während einer Kurzzeitbetäubung. Das für etwa 25 Sekunden betäubte Tier blutet dabei nach dem Kehlschnitt aus. Ob durch diese Schlachtung produziertes Fleisch als halāl gelten kann, ist unter Muslimen umstritten.[8]
Bayern
Der Bayerische Landtag verabschiedete am 29. Januar 1930 ein „Gesetz über das Schlachten von Tieren“, das das Schächten von Rindern, Schweinen, Schafen, Ziegen, Pferden, Eseln, Maultieren, Mauleseln und Hunden nur nach vollständiger Betäubung zulässt. Laut Gesetz kann die Betäubung durch mechanische Apparate oder mittels Kopfschlag vorgenommen werden. Zuwiderhandlungen wurden mit Geldstrafen oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft.[13]
Schweiz
1892/93 warben in der Schweiz Tierschutzvereine für eine Volksinitiative für das «Verbot des Schlachtens ohne vorherige Betäubung». Am 20. August 1893 kam es zur Abstimmung. 49,18 % der Wahlberechtigtern stimmten ab; davon stimmten 60,1 % für das Verbot. In der Schweiz ist das Schächten von Säugetieren seither verboten, für Geflügel jedoch nach wie vor erlaubt.
Österreich
In Österreich schreibt das Tierschutzgesetz vor, alle Schlachttiere unmittelbar nach dem Schächtschnitt, bei dem die großen Blutgefäße im Halsbereich mit einem Schnitt geöffnet werden müssen, sofort wirksam zu betäuben (Post-cut Stunning). Schächtungen dürfen nur in einem dafür zertifizierten Schlachthof unter Beisein eines Tierarztes stattfinden.[14]
Andere Länder
In Norwegen, Polen, Dänemark, Island und Liechtenstein ist Schächten verboten. In Schweden müssen „Haustiere“ bei der Schlachtung betäubt sein, wenn das Blut fließt (vgl. § 14 des schwed. Tierschutzgesetzes).[15] Diese Regelung gilt nicht für Notschlachtungen infolge eines Unfalls oder der Erkrankung des Tieres. Das traditionelle Schächten ohne Betäubung ist verboten.
In Belgien, Frankreich, Spanien, Großbritannien und Irland ist es erlaubt.
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Schächtverbot in der Zeit des Nationalsozialismus
→ Hauptartikel: Tierschutz im Nationalsozialismus
Schächtung:
nationalsozialistische Propagandaaufnahme, Nürnberg, Photo-Harren.
Szene aus Der ewige Jude (1940)
Das „Gesetz über das Schlachten von Tieren“ vom 21. April 1933 gebot, warmblütige Tiere beim Schlachten vor Beginn der Blutentziehung zu betäuben. Ausnahmen waren nur bei Notschlachtungen gestattet.[16] Vorsätzliche oder fahrlässige Zuwiderhandlungen wurden mit Geldstrafe oder Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten Haftdauer geahndet. Das Gesetz trat zum 1. Mai 1933 in Kraft.
In einer Verordnung dazu wurde unter anderem bestimmt, dass ein Aufhängen der Schlachttiere vor der Betäubung nicht statthaft sei und die weitere Bearbeitung nur dann erfolgen dürfe, wenn „der Tod des Tieres eingetreten ist und Bewegungen an dem Tier nicht mehr wahrzunehmen sind“.
Zustandekommen
Die Tierschutzbewegung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts in Deutschland sah Tierversuche und Schächtung als Ausdruck einer „jüdischen“ Medizin und stellte diese in direkte Verbindung zueinander. Das Strafgesetzbuch von 1871 bestrafte nicht die Tiermisshandlung als solche, sondern nur – so vorhanden – öffentliches Ärgernis daran und war deutlich schwächer als etwa die englischen Tierschutzregelungen.[17] Dagegen liefen die in erheblichem Maße rechtsgerichteten bzw. antisemitisch orientierten Tierschutzvereine erfolglos Sturm.[18][19] Für die Nationalsozialisten war der Tierschutz ein willkommenes populäres Thema;[20] sie konnten sich an die Spitze einer breiten, bislang nicht anerkannten Volksbewegung stellen und mit dem Thema „Schächten“ deutsche Juden, die im Pelzhandel, der Medizin und Biologie eine wichtige Rolle spielten, mit Tierschutzargumentationen diskriminieren[19]. Bei Arthur Schopenhauer findet sich der Gedanke der Tierrechte: „Die Welt ist kein Machwerk, und die Tiere sind kein Fabrikat zu unserem Gebrauch. Nicht Erbarmen, sondern Gerechtigkeit ist man den Tieren schuldig.“ Schopenhauers Auslassungen sind von einem grundsätzlichen Antijudaismus bestimmt. So führt er aus: „Die vermeinte Rechtlosigkeit der Thiere, […] daß es gegen Thiere keine Pflichten gäbe, ist geradezu eine empörende Roheit und Barbarei des Occidents, deren Quelle im Judenthum liegt“.[21][22] Für viele Tierschützer bereits im 19. Jahrhundert lag daher auch die Hinwendung zu neopaganistischen (auch völkisch germanischen Kulten) wie insbesondere asiatischen Religionen wie auch einer von dort übernommenen Lebensweise hin nahe.
Ein Verbot des rituellen Schächtens wurde durch das Gesetz über das Schlachten von Tieren (RGBl. I S. 203[23]) vom 21. April 1933 eingeführt und trat zum 1. Mai 1933 in Kraft. Wie bei zahlreichen anderen Gesetzen, die 1933 erlassen wurden, sanktionierte die Regierung auch in diesem Falle nachträglich Maßnahmen, die zuvor von Parteianhängern gewaltsam durchgesetzt worden waren. So war das Schächten in Sachsen schon am 22. März untersagt worden.[24] Bereits am 28. März 1933 erließ zum Beispiel Anton Bleeker, ein SA-Standartenführer in Aurich, ein Schächtverbot für alle ostfriesischen Schlachthöfe und ordnete an, dass die Schächtmesser verbrannt werden. Dies führte zu einem größeren Zwischenfall am 31. März 1933, bei dem die Synagoge in Aurich von bewaffneten SA-Männern umstellt wurde. Die SA erzwang die Herausgabe der Schächtmesser, um diese anschließend auf dem Marktplatz zu verbrennen.[25]
Nach der Machtübernahme 1933 wurde dem Tierschutz höhere Priorität eingeräumt. Bereits ab dem 1. April 1933 wurde im Innenministerium Wilhelm Fricks mit Hochdruck und intensiver Mitarbeit der Tierschutzverbände an einem verschärftem Tierschutzgesetz gearbeitet, welches Ende 1933 verabschiedet wurde. Es blieb bis 1972 nahezu unverändert in Kraft. Am 16. August 1933, über drei Monate vor Erlass des Reichstierschutzgesetzes, drohte Hermann Göring in seiner Funktion als preußischer Ministerpräsident KZ-Lagerhaft für Tierquälerei (inklusive der Schächtung) an – eine der ersten öffentlichen Erwähnungen der Konzentrationslager wie auch eine erste Ausweitung der zunächst vor allem auf politische Gegner des Regimes begrenzten Lagerhaft[19].
Suche nach Alternativen
Seit dem Verbot des Schächtens bestand ein Mangel an koscherem Fleisch, der nur begrenzt durch Einfuhren ausgeglichen werden konnte.[26] Das Vorstandsdirektorium der Jüdischen Gemeinden Berlins beschloss im August 1933, einen „den gesetzlichen und den rituellen Vorschriften in gleicher Weise entsprechenden Schächtapparat“ erproben und von Rabbinern begutachten zu lassen. Altersheime und Krankenhäuser sollten durch geeignete Vorkehrungen die Einhaltung der religiösen Speisevorschriften weitestgehend ermöglichen und künftig einerseits die Versorgung nach den strengsten rituellen Anforderungen gewährleisten, andererseits aber auch diejenigen angemessen versorgen, die „weniger hierauf, als auf eine reichhaltige Fleischkost Wert legen.“ Dieser Beschluss sei jedoch hinfällig, falls ein solches Schächtverfahren „nach ihrer [der Rabbiner] Auffassung der rituellen Vorschriften mindestens für alte und gebrechliche Personen“ Anwendung finden dürfe.[27]
Literatur
Mordekai Benjamin: Das Schächtfach. Baumgärtner, Leipzig 1874 (Digitalisat)
Rupert Jentzsch: Das rituelle Schlachten von Haustieren in Deutschland ab 1933. Recht und Rechtsprechung. Dissertation, Hannover 1998
Richard Potz (Hrsg.): Schächten. Religionsfreiheit und Tierschutz. Plöchl, Freistadt 2001, ISBN 3-901407-22-7
Gundula Madeleine Tegtmeyer: Im Namen Gottes (in Natürlich Nr. 8/2012, online)
Sibylle Horanyi: Das Schächtverbot zwischen Tierschutz und Religionsfreiheit: eine Güterabwägung und interdisziplinäre Darstellung von Lösungsansätzen (Verlag Helbing & Lichtenhahn, 2004, ISBN 3-7190-2352-4)
Weblinks
Wiktionary: schächten – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Dialogue on issues of Religious Slaughter
Die Jüdische Schlachtmethode – das Schächten. Beitrag auf haGalil
Die Schechita – Jüdisches Schlachten. Beitrag von Deutschlandradio Kultur, mit Erläuterungen des Düsseldorfer orthodoxen Gemeinderabbiners Julian Chaim Soussan
Parshas Sh’mini 5756 (englisch)
Shechita FAQs (englisch)
(PDF-Datei; 364 kB)
Friedrich Külling: Schächtverbot im Historischen Lexikon der Schweiz
Seminararbeit: Geschichte und Hintergründe des Schächtverbots in der Schweiz
Gesetz vom 21. April 1933 ( RGBl, 1933 I, S. 203)
Verordnung hierzu ( RGBl, 1933 I, S. 212f)
BVET – Bundesamt für Veterinärwesen, Information zum Thema rituelle Schlachtungen (PDF; 144 kB)
Einzelnachweise
↑ Hagalil: Elektroschock löst islamisches Problem
↑ Hagalil: Die religiösen Grundlagen
↑ Tur WeSchulchan Aruch, Jore Dea, §§ 1–28
↑ D. K. Blackmore: Differences in behaviour between sheep and cattle during slaughter. Res. Vet. Sci. 37, 1984. S. 223–226
↑ W. Schulze, H. Schultze-Petzold, A. S. Hazem, R. Gross: Versuche zur Objektivierung von Schmerz und Bewußtsein bei der konventionellen (Bolzenschußbetäubung) sowie religionsgesetzlichen („Schächtschnitt“) Schlachtung von Schaf und Kalb. Deutsche Tierärztliche Wochenschrift 1978 Feb 5; 85 (2), S. 62–66
↑ BVET – Bundesamt für Veterinärwesen, Information zum Thema rituelle Schlachtungen („Schächten“), 20. September 2001, 3003 Bern, S. 4
↑ Dialogue on issues of Religious Slaughter
↑ a b Schächtverbot ruiniert Schafzüchter. In: Die Fleischerei. 1-2/1997 (abgerufen über haGalil.de, 6. Januar 2011)
↑ Urteil vom 15. Januar 2002, sog. Schächturteil.
↑ BVerwG 3 C 30.05 vom 23. November 2006
↑ BVerwGE 99, 1 (7 f.)
↑ Pieroth/Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 24. Aufl., Heidelberg 2008, Rn. 515a
↑ Das Schächtverbot in Bayern, in: Bayerische Israelitische Gemeindezeitung, 1. Juni 1930, S. 170.
↑ Rechtsinformationssystem der Republik Österreich: Tierschutzgesetz §32
↑ Schwedisches Tierschutzgesetz (Djurskyddlag (1988:534)), (schwedisch)
↑ RGBl 1933, Teil I, S. 203 sowie VO gleichfalls vom 21. April 1933, S. 212 f.
↑ K. P. Schweiger: Alter Wein in neuen Schläuchen: Der Streit um den wissenschaftlichen Tierversuch in Deutschland 1900–1935. Dissertation, Göttingen 1993 (The struggle in Germany around scientific animal testing 1900–1933)
↑ Hanna Rheinz: Kabbala der Tiere, Tierrechte im Judentum. In: Tierrechte, eine interdiszinplinäre Herausforderung. Hrsg IATE, Heidelberg 2007, S. 234–252
↑ a b c (PDF; 388 kB) IDB Münster • Ber. Inst. Didaktik Biologie Suppl. 2 (2002), 167–184, Tierschutz und Nationalsozialismus Die Entstehung und die Auswirkungen des nationalsozialistischen Reichstierschutzgesetzes von 1933 Daniel Jütte
↑ Boria Sax: Animals in the Third Reich: Pets, Scapegoats, and the Holocaust. Vorwort von Klaus P. Fischer. Continuum, New York / London 2000, ISBN 978-0-8264-1289-8.
↑ Arthur Schopenhauer: Preisschrift über die Grundlage der Moral, nicht gekrönt von der Königlich Dänischen Sozietät der Wissenschaften, Werke IV, S. 238.
↑ Zustimmend zitiert von Eugen Drewermann in Die Rechtlosigkeit der Kreatur im christlichen Abendland. In: Tierrechte, eine interdisziplinäre Herausforderung. Hrsg. IATE, Heidelberg 2007, S. 271 ff.
↑ RGBl. I 1933, S. 203 (via ALEX)
↑ Uwe Dietrich Adam: Judenpolitik... S. 49
↑ Das Ende der Juden in Ostfriesland. Katalog zur Ausstellung der Ostfriesischen Landschaft aus Anlass des 50. Jahrestages der Kristallnacht. Ostfriesische Landschaft, Aurich 1988, S. 40, ISBN 3-925365-41-9
↑ Wolf Gruner (Bearb.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. Band 1, München 2008, ISBN 978-3-486-58480-6, S. 238 f.: Dok. 73: Sondersitzung … am 24. August 1933 zur Sicherung der rituellen Verpflegung trotz des Schächtverbots
↑ Wolf Gruner (Bearb.): Die Verfolgung … S. 238
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