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Rushdie: Fundamentalisten aller Glaubensrichtungen sind das Grundübel unserer Zeit. Fast alle meine Freunde sind Atheisten, ich fühle mich nicht als Ausnahme. Wenn Sie sich die Geschichte ansehen, werden Sie feststellen, dass es die Erkenntnis, was gut oder böse ist, immer schon vor den jeweiligen Religionen gab. Die Religionen wurden erst im Nachhinein von den Menschen erfunden, um diese Idee auszudrücken. Ich jedenfalls brauche, um ein moralisches Wesen zu sein, keinen obersten »heiligen« Schiedsrichter.
SPIEGEL: Sie haben unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September 2001 geschrieben: »Um die freien Gesellschaften besser vor dem Terror zu schützen, wird es unumgänglich sein, unsere Rechte einzuschränken.«
Rushdie: Ich dachte damals an schärfere Flugzeugkontrollen oder Ähnliches. An lästige, aber sehr überschaubare Einschränkungen. Ich hatte es nicht für möglich gehalten, dass die Bush-Regierung darangehen könnte, den Apparat eines autoritären Staates aufzubauen.
SPIEGEL: Hat sie das?
Rushdie: Aber ja. Ich war in den letzten beiden Jahren PEN-Präsident in New York, Vorsitzender der amerikanischen Schriftstellervereinigung. Wir haben uns wieder und wieder mit diesen weitgehenden Angriffen auf die bürgerlichen Freiheiten auseinandersetzen müssen. Und ich weiß, wovon ich spreche: Ich habe aus meiner eigenen Bedrohungsgeschichte heraus durchaus Sympathie für Geheimdiensttätigkeiten entwickelt. Meine Beschützer genießen meine Hochachtung.
SPIEGEL: Geht Bush also zu weit?
Rushdie: Es deprimiert mich zutiefst, dass gegenwärtig die amerikanisch-britische Politik und die arabische Politik einander bestätigen - und zwar in ihren schlimmsten Vorurteilen. Schauen Sie sich den Irak an, den Libanon: Es gibt keine gerechte Seite. Aber gleichzeitig brauchen wir eine moralische Klarheit, wie ich sie bei vielen liberal denkenden Menschen - und ich bin ein Liberaler - in letzter Zeit oft vermisse: eine Klarheit darüber, was richtig und falsch ist.
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sagte SalmanRushdie im September 2006
u.a. in einem SPIEGEL-Interview.
Das Gespräch führte Redakteur Erich Follath
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