Konzentrationslager Sachsenhausen (1936-1945)
Das KZ Sachsenhausen wurde im Sommer 1936 von Häftlingen aus den Emslandlagern errichtet. Es war die erste Neugründung eines KZ nach der Ernennung des Reichsführers SS Heinrich Himmler zum Chef der Deutschen Polizei im Juli 1936. Die von SS-Architekten am Reißbrett als idealtypisches KZ konzipierte Anlage sollte dem Weltbild der SS architektonischen Ausdruck geben und die Häftlinge auch symbolisch der absoluten Macht der SS unterwerfen. Als Modell- und Schulungslager der SS und Konzentrationslager in unmittelbarer Nähe der Reichshauptstadt nahm Sachsenhausen eine Sonderstellung im System der nationalsozialistischen Konzentrationslager ein. Diese wurde unterstrichen, als 1938 die Inspektion der Konzentrationslager, die Verwaltungszentrale für alle Konzentrationslager im deutschen Machtbereich, von Berlin nach Oranienburg verlegt wurde.
Zwischen 1936 und 1945 waren im KZ Sachsenhausen mehr als 200 000 Menschen inhaftiert. Häftlinge waren zunächst politische Gegner des NS-Regimes, dann in immer größerer Zahl Angehörige der von den Nationalsozialisten als rassisch oder biologisch minderwertig erklärten Gruppen und ab 1939 zunehmend Bürger der besetzten Staaten Europas. Zehntausende kamen durch Hunger, Krankheiten, Zwangsarbeit und Misshandlungen um oder wurden Opfer von systematischen Vernichtungsaktionen der SS. Auf den Todesmärschen nach der Evakuierung des Lagers Ende April 1945 starben noch einmal Tausende von Häftlingen. Etwa 3000 im Lager zurückgebliebene Kranke, Ärzte und Pfleger wurden am 22. April 1945 von russischen und polnischen Einheiten der Roten Armee befreit.
entrationslager Sachsenhausen (1936-1945)
Idealtypisches Modelllager
Unmittelbar nach der Ernennung des Reichsführers SS Heinrich Himmler zum Chef der Deutschen Polizei im Juli 1936 ließ die SS auf staatlichem Forstgelände im Ortsteil Sachsenhausen von Oranienburg von einem Häftlingskommando aus dem KZ Esterwegen die ersten Baracken eines Konzentrationslagers errichten, das nach Worten Himmlers von 1937 den Prototyp eines »modernen, vollkommen neuzeitlichen und jederzeit erweiterungsfähigen Konzentrationslagers« darstellen sollte.
Der Sinn dieser Worte erschließt sich besonders deutlich aus einem Vergleich zwischen dem KZ Sachsenhausen und dem häufig mit diesem verwechselten KZ Oranienburg. Im Gegensatz zur eher improvisierten Einrichtung des KZ Oranienburg folgte der Entwurf der SS für das KZ Sachsenhausen einem »Idealplan«, in dem sich funktionale Überlegungen mit der architektonischen Symbolisierung von Kontrolle und Terror verbanden. Das Häftlingslager wurde in Form eines gleichschenkeligen Dreiecks angelegt, in dem alle Gebäude symmetrisch um die Mittelachse gruppiert und auf den Turm A, den Sitz der SS-Lagerleitung, auf der Mitte der Grundlinie des Dreiecks bezogen waren. Vor diesem lag halbkreisförmig der Appellplatz, der wiederum von vier Ringen fächerförmig angeordneter Baracken umschlossen wurde. Um die Fortsetzung der Mittelachse über den Turm A und die Lagerstraße hinaus wurde das SS-Truppenlager angelegt, in dem die Axialität und Symmetrie des Häftlingslagers und des Kommandanturbereichs sich weitgehend fortsetzten.
Konzentrationslager Sachsenhausen (1936-1945)
»Konzentrationslager der Reichshauptstadt«
Zwar hatte auch das KZ Oranienburg schon als Konzentrationslager für die Reichshauptstadt Berlin gedient, wegen der Nähe zu Berlin und der dort ansässigen Zentrale der Gestapo wuchs dem KZ Sachsenhausen aber eine noch bedeutendere Stellung im System der Konzentrationslager zu. Hier wurden nicht nur SS-Leute wie der spätere Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß, der 1938 in Sachsenhausen Schutzhaftlagerführer war, für spätere Aufgaben geschult und vorbereitet, sondern hierhin wurde 1938 auch mit der bis dahin in Berlin ansässigen »Inspektion der Konzentrationslager« die Verwaltungszentrale des gesamten KZ-Systems verlegt, für die Häftlinge des KZ Sachsenhausen einen wegen seines Grundrisses als »T-Gebäude« bezeichneten Neubau errichten mussten. Zum 388 Hektar umfassenden SS-Komplex in Oranienburg gehörten darüber hinaus umfangreiche Wohnsiedlungen für die höheren SS-Dienstgrade und ihre Familien sowie das ab 1938 an der Lehnitzschleuse errichtete Außenlager »Klinkerwerk«. In zeitgenössischen Publikationen trägt Oranienburg den Beinamen »Stadt der SS«.
Im Zellenbau des KZ Sachsenhausen sperrte die Berliner Gestapo Sonderhäftlinge ein wie den Bekenntnispfarrer Martin Niemöller, den Hitler-Attentäter Georg Elser oder Herschel Grynszpan, dessen Anschlag auf einen deutschen Botschaftsrat in Paris von der NS-Propaganda zum Anlass des Judenpogroms vom November 1938 erklärt wurde. In vier 1941 errichteten Sonderhäusern wurden ehemalige Regierungschefs besetzter Staaten wie der österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg und andere prominente Häftlinge, deren Aufenthaltsort nicht bekannt werden sollte, unter falschen Namen mit ihren Familien untergebracht. Das Krankenrevier des KZ Sachsenhausen schließlich diente 1944 der »Sonderkommission 20. Juli« als Haftlazarett, in dem Hitler-Gegner wie Hans von Dohnanyi, Hasso von Boehmer, Carl Hans von Hardenberg und Siegfried Wagner, die in der Haft erkrankt oder nach Selbsttötungsversuchen schwer verletzt waren, für weitere Vernehmungen oder ihre Hinrichtung wiederhergestellt werden sollten.
zentrationslager Sachsenhausen (1936-1945)
Häftlingsgesellschaft
Insgesamt waren im KZ Sachsenhausen mehr als 200.000 Menschen eingesperrt. Während in der Gründungsphase des Lagers politische Gegner des NS-Regimes die Mehrheit der Häftlinge stellten, wird das KZ ab 1938 immer mehr zum Instrument der rassistischen Gesellschafts- und Bevölkerungspolitik des NS-Regimes, die sich gegen Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, sogenannte Asoziale, Arbeitsscheue und Berufsverbrecher und andere Gruppen und ab 1939 gegen die Bevölkerung der besetzten Länder, ausländische Zwangsarbeiter und alliierte Kriegsgefangene richtet, sodass 1944 90 Prozent der Häftlinge Ausländer sind, unter denen Bürger der Sowjetunion und Polen die größten Gruppen stellen. Um die neuen Opfergruppen unterbringen zu können, musste das Häftlingslager schon 1938 in Abweichung vom »Idealplan« um das »Kleine Lager« ergänzt werden, in dessen Baracken 38 und 39 fast ausschließlich jüdische Häftlinge untergebracht wurden, bis die meisten von ihnen im Oktober 1942 nach Auschwitz deportiert werden.
Konzentrationslager Sachsenhausen (1936-1945)
Zwangsarbeit
Ein Arbeitseinsatz der Häftlinge erfolgte zunächst in SS-eigenen Werkstätten und Betrieben auf dem Häftlingslager benachbarten Industriehof sowie in verschiedenen Strafkommandos wie dem Schuhläuferkommando, dessen Häftlinge unter dem Kommando eines zivilen Beamten des Reichswirtschaftsministeriums tagelang mit Gepäck auf einer um den Appellplatz angelegten Schuhprüfstrecke mit verschiedenen Bodenbelägen marschieren mussten, um die Tauglichkeit von Kunststoffen für Sohlen von Wehrmachtsstiefeln zu erproben. Als gefürchtetes Strafkommando galt auch das »Klinkerwerk«, ein von Häftlingen 1938 unter großen Opfern angelegtes Großziegelwerk mit eigener Hafenanlage an der Lehnitzschleuse, in dem die Ziegel für Albert Speers Großbauvorhaben in Berlin produziert werden sollten. Vor allem im Zuge des massenhaften Einsatzes der Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen in der Rüstungsindustrie ab 1942 entstanden mehr als 100 Außenlager und Außenkommandos des KZ Sachsenhausen in der Nähe von Rüstungsbetrieben, u.a. bei den Heinkel-Flugzeugwerken in Oranienburg und bei Berliner Industriebetrieben wie Siemens und AEG.
Konzentrationslager Sachsenhausen (1936-1945)
Opfer
Nach von ehemaligen Häftlingen schon im Sommer 1945 für eine sowjetische Ermittlungskommission angestellten Schätzungen wurden im KZ Sachsenhausen mehrere Zehntausend Menschen umgebracht. Sie starben an Hunger und Erschöpfung, Krankheiten und Kälte, wurden Opfer von Misshandlungen und öffentlichen Hinrichtungen, medizinischen Experimenten oder Massentötungsaktionen. Nachdem im Herbst 1941 mindestens 12.000 sowjetische Kriegsgefangene, unter denen sich viele Juden befanden, in einer provisorischen Genickschussanlage erschossen oder bei der Erprobung von Gaswagen ermordet worden waren, wurde im Frühjahr 1942 auf dem Industriehof eine Vernichtungsanlage mit Krematorium, Genickschussanlage und später eingebauter Gaskammer errichtet, die von der SS in Analogie zum Turm A als Eingangstor zynisch als »Station Z« bezeichnet und Ende Mai 1942 mit der Erschießung von 250 jüdischen Häftlingen und Geiseln »eingeweiht« wurde.
Konzentrationslager Sachsenhausen (1936-1945)
Evakuierung, Todesmärsche und Befreiung
Im KZ Sachsenhausen und seinen etwa 100 Außenlagern waren Anfang 1945 etwa 80.000 Menschen - Männer, Frauen und Kinder - inhaftiert, davon etwas 58.000 im Stammlager in Oranienburg. Als die Rote Armee die Oder erreicht hatte, befahl der Lagerkommandant am 1. Februar 1945, Vorbereitungen zur Räumung zu treffen. Daraufhin wurden als besonders gefährlich geltende Häftlinge, vor allem sowjetische und britische Offiziere, sowie als marschunfähig ausgesonderte Häftlinge im Industriehof des Lagers ermordet.
Auch bei der Evakuierung der östlich gelegenen Außenlager in das Stammlager wurden zahlreiche Häftlinge ermordet. In den folgenden Wochen verlegte die SS Tausende von Häftlingen in westlich gelegene Lager wie Mauthausen in Österreich oder Bergen-Belsen in der Lüneburger Heide. Gleichzeitig trafen in großer Zahl vorwiegend jüdische Häftlinge aus Auschwitz oder direkt aus Ungarn in Sachsenhausen ein. Die Häftlinge der Berliner Außenlager wurden erst unmittelbar vor der Evakuierung des Stammlagers nach Oranienburg transportiert.
Die Räumung des KZ Sachsenhausen begann in den Morgenstunden des 21. April 1945. 33.000 der noch verbliebenen 38.000 Häftlinge wurden in Gruppen von 500 Häftlingen nach Nordwesten in Marsch gesetzt. Bei nasskaltem Wetter starben viele Häftlinge an Entkräftung oder wurden von der SS erschossen. Auf unterschiedlichen Strecken gelangten die Kolonnen in den Raum Wittstock. Im nahen »Belower Wald« wurden ab dem 23. April 1945 in einem großen Lager mehr als 16.000 Häftlinge zusammengezogen (Museum des Todesmarsches). Ab dem 29. April wurde das Waldlager aufgelöst, und die Häftlinge erreichten auf unterschiedlichen Wegen den Raum zwischen Parchim und Schwerin, wo sie, inzwischen von ihren SS-Bewachern verlassen, auf Einheiten der Roten Armee und der US Army trafen.
Das Stammlager in Oranienburg, wo 3.000 marschunfähige Häftlinge und Pfleger im Krankenrevier zurückgeblieben waren, wurde am 22. April 1945 von sowjetischen und polnischen Einheiten der Roten Armee befreit. In den folgenden Wochen starben noch mindestens 300 ehemalige Häftlinge an den Folgen der KZ-Haft. Sie wurden in sechs Massengräbern an der Lagermauer im Bereich des Krankenreviers bestattet Die Gräber gerieten später in Vergessenheit und wurden erst 1995 wiederentdeckt und in einen würdigen Zustand versetzt.
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