Als ich am Vorabend meines 18. Geburtstags über einem Buch, das aufgeschlagen vor mir lag, einschlief und nach ungefähr einer Viertelstunde wieder erwachte, beschloß ich, nicht länger zu lesen, sondern lieber noch etwas frische Luft zu schnappen. Ich brach also zu einem abendlichen Spaziergang auf, dabei wurde ich zu meiner unangenehmen Überraschung schon bald von einem dichten Nebel umfangen, mit dessen Aufziehen ich überhaupt nicht gerechnet hatte. Bald sah ich kaum noch die Hand vor Augen und hatte mich so gründlich verirrt, daß ich ernsthaft beunruhigt war.
Plötzlich lichtete sich das weiße Gemenge ebenso rasch wieder, wie es mich zuvor verschlungen hatte, und ich stellte fast, daß ich, ohne es zu merken, in einen Auenwald geraten war. Genau genommen befand ich mich am Rand dieses Auenwalds; er wurde von einem schmalen Pfad durchzogen, der, wie ich von meinem Standpunkt aus sehen konnte, aus dem Wald herausführte. Ich beschloß, diesen Weg einzuschlagen, um meine Orientierung wiederzugewinnen.
Als ich den Waldrand erreicht hatte, bemerkte ich, daß der Boden außerhalb des Waldes recht stark abfiel. Dadurch hatte ich einen ausgezeichneten Blick auf ein großes Grundstück, das von einer hohen, aber schönen steinernen Mauer eingegrenzt wurde, das sich aber durch eine im Moment verschlossene hölzerne Pforte betreten ließ und auf dem ein schlichtes, hölzernes Haus stand, das von dem seltsamsten und schönsten Garten umgeben war, den ich jemals zu Gesicht bekommen hatte. Ungläubig näherte ich mich dem Garten, um genauer sehen zu können, ob meine Augen mich nicht trogen: denn in dem Garten schienen alle Jahreszeiten zugleich zu herrschen, ich sah blühende Rhododrendren neben Bäumen, deren Laub schon die typische Herbstverfärbung angenommen hatte, Rosensträcher in voller Pracht, die mitten im Schnee standen. Und die Bäume und Sträcuher trugen Früchte aller Art.Ich wollte nun ganz genau sehen, was es mit diesem Garten auf sich hatte, und lief den Hang hinunter, bis ich direkt vor der Mauer stand - zu meinem Glück stand hier ein Baum, den ich erklimmen konnte, so daß ich nun genau sehen konnte, was in diesem so seltsamen Garten vor sich ging.
Da öffnete sich die Tür des Hauses, und ein freundlich wirkender alter Mann, der einen großen Strohhut auf dem Kopf hatte und grüne Hosen trug, trat in Begleitung eines jungen Pärchens heraus. Er sagte zu ihnen: »Ich werde euch nun eine Weile allein lassen, sättigt euch mit den Früchten und erfreut euch an den Schönheiten meines Gartens.«
»Doch was ist außerhalb des Gartens?« fragte der junge Mann.
»Der Wald! Versucht nur nicht, die Pforte während meiner Abwesenheit zu überwinden, denn den Wald zu betreten, ist noch mein alleiniges Vorrecht, dafür seid ihr noch zu jung. Versprecht mir dies!«
Sie versprachen es beide, der junge Mann und seine Gefährtin, doch ich konnte gut sehen, mit welchem Widerwillen der junge Mann sein Versprechen abgab.
Der alte Herr trat hinaus und verschwand, wobei ich hoffte, daß er mich nicht gesehen hatte, denn es wäre mir unangenehm gewesen, entdeckt zu werden.
Die beiden jungen Menschen erfreuten sich zunächst tatsächlich an den Schönheiten des Gartens und labten sich an seinen reichhaltig vorhandenen Früchten, doch schließlich sprach der junge Mann: »Ich will diese Pforte überwinden, und wenn mir dies nicht gelingt, so will ich die ganze Mauer einreißen - es soll nichts geben, wohin ich nicht gelangen kann.«
»Wir haben aber versprochen, nichts dergleichen zu tun!« hörte ich die junge Frau antworten.
»Na und! Versprechen gibt man, um sie brechen! Ich will nicht, daß mich etwas einschränkt!« Der junge Mann verschwand eine Weile im Haus, und als er zurückkehrte, hatte er Reisig und eine brennende Fackel dabei, ich konnte nur raten, wo er dies alles gefunden hatte.
»Ich werde diese lächerliche Pforte niederbrennen!« schrie er, und sein Lächeln kündete von Triumph. Ich hatte einen Moment lang das Bedürfnis, laut aufzuschreien, daß er das nicht tun solle, doch ich brachte nur ein leises Wispern heraus, das vom Wind davongetragen wurde.
Ich wandte mich ab, wollte eigentlich gar nicht länger hinsehen und zwang mich doch dazu: als ich wieder hinschaute, konnte ich den traurigen Erfolg, den der Jüngling erzielt hatte, in lodernder Deutlichkeit sehen: die Pforte brannte in der Tat lichterloh, doch das Feuer griff auch auf die in der Nähe stehenden Bäume über und drohte den ganzen Garten zu verzehren.
Plötzlich tauchte inmitten der Rauchschwaden der alte Mann wieder auf, und er blickte traurig zum Himmel hinauf - daraufhin setzte schlagartig ein strömender Regen ein, der jedoch nur über dem Garten niederging, während ich völlig trocken blieb. Der Regen löschte das Feuer und rettete so den größten Teil des Gartens, doch als der Niederschlag nachließ, hörte ich den alten Mann sagen: »Ihr müßt mich und meinen Garten nun verlassen, weil ihr maßlos seid und alle Mauern zu überwinden zu versucht, sei es nun zu eurem Nutzen oder eurem Schaden. Ihr würdet den Garten vollständig zerstören, wenn ihr bleiben würdet, und vielleicht auch euch selbst.« Er wandte sich noch einmal an die Frau: »Ich weiß, daß dich wenig Schukd trifft, doch dein Platz muß an seiner Seite sein, nicht na meiner. Darum mußt auch du gehen.« Er sprach sanft, und dennoch spürte ich genau, daß diese Anweisung endgültig war. So zogen sie schließlich hinaus, wie der Herr des Gartens es ihnen befohlen hatte, ich sah sie im Wald verschwinden. Anschließend schloß der alte Mann wieder die Gartenpforte, oder das, was noch von ihr übrig war, und errichtete eine Absperrung. Ich war sehr traurig, ging aber meiner Wege, nicht zurück zum Wald, sondern in die entgegengesetzte Richtung.
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