Gustav - Verlass die Stadt
Eva Jantschitsch balanciert virtuos zwischen Pop, Kunst und Politik.
Eva Jantschitsch alias Gustav hat mit Rettet die Wale ein erstes Album vorgelegt, das einem mit seiner Mischung aus Kunstfertigkeit und Eigensinn, naiver Schönheit und Reflektiertheit die Sinne rauben konnte. Den Nachfolger, der ein schweres Erbe antritt, ließ die Sängerin, Musikerin und Produzentin in Personalunion lang in sich reifen. Verlass die Stadt knüpft an Rettet die Wale an, greift dessen Faden auf und spinnt ihn weiter. Als Anschluss an das Debüt steht am Anfang „Abgesang“, die allererste Gustav-Komposition, die aber bislang noch nicht aufgenommen wurde. Ursprünglich als Protestsong gegen die schwarz-blaue Regierung geschrieben, macht das Lied ungebrochen Sinn – und zerstreut gleich zu Beginn alle Zweifel, das angeblich schwierige zweite Album könnte für Gustav zum Stolperstein werden. Zu einem grenzgenial billigen Casio-Keyboard-Sound singt sie zunächst einen wehmütigen Text über enttäuschte Hoffnungen: „Wenn man vieles verliert, ist dir vieles egal.“ Dann kommt der Bruch, im Refrain wird plötzlich ein fröhliches Liedchen daraus, in dem die Vögel betörend „Tschiep-tschiep“ singen.
Verlass die Stadt steht im Zeichen solcher scheinbarer Widersprüche, düstere Texte und Trostmomente, Wohlklang und Krach reiben sich auf Schönste aneinander. Das macht Gustavs Stücke so reich: Man kann sie gleichermaßen als Popmusik zum Mitpfeifen begreifen, als ambitionierte Kunstlieder und als politische Statements zu brennenden Fragen. „Neulich im Kanal“ zum Beispiel arbeitet sich an den Inszenierungen der Medienwelt ab, indem es eine Samstagabendshow analytisch beschreibt. Klingt verkopft, doch das Lied wird durch seinen beschwingten Musical-Touch ebenso virtuos wie hinterfotzig wieder in die Popkultur zurückgeführt. Im grandiosen, im Zentrum der Platte stehenden „Alles renkt sich wieder ein“ unterläuft Gustav einen kitschigen Refrain („Lass den Kopf nicht hängen, Sweetheart / Es wird alles wieder schön / Halt die Ohren steif, my darling / Und unser Glück wird in Erfüllung gehen“) und ein ganzes Blasmusik-Orchester mit grausigen Textpassagen über den Tod und weinende Kinder. Das ist weder Schlager noch Anti-Schlager, sondern beides in einem: eine höhere Wahrheit. Gleiches gilt für das am Schluss stehende „Happy Birthday“, eines der traurigsten und schönsten Geburtstaglieder aller Zeiten: „Nein, das Leben ist kein Wunschkonzert“. Und all das wirkt noch dazu nicht angestrengt. Verlass die Stadt klingt angenehm selbstverständlich, man hört ihm das Ringen um jeden Ton und jedes Wort nicht an. Als hätte das zweites Gustav-Album nur genau so werden können, wie es jetzt eben ist.
Album des Monats Mai 2008
Chicks On Speed Records / Trost
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