"William schrieb am 29.4.01:
Stellen Sie sich vor: Russlanddeutsche Mutter kann nicht auf ihrer Muttersprache mit eigenem Kind sprechen.
Frage: Welche Sprache spricht Mutter? Welche Sprache spricht Kind?"
Eine sehr gute Quiz-Frage, die nicht als Quiz-Frage beantwortet werden kann. Sie mutet mir etwas filisterhaftes und beschrenktes an. Was meine ich damit? Es gibt Menschen, die wir als Weltbürger und intelligente Menschen bezeichnen können, derer Vernunft aber in der Frage über die Russlnaddeutsche versagt: »Soweit können wir doch nicht gehen, das wäre doch absurd, diese 'Überläufer' in unserem Land zu akzeptieren«. Bravo! Bravissimo!
Und jetzt hören Sie bitte genau zu, Sie - salonfähige Weltbürger mit filisterhaften Zügen des vergangenen und doch allgegenwärtigen Spitzbürgertums(ich versuche nicht ganz schroff zu sein).
Die Russlanddeutschen haben ihre spezifische Geschichte wie jeder Mensch. Ihr Vorteil, wage ich es hier zu sagen, liegt im Unterschied zu den Deutschen, die hier geboren sind, dass sie in einer anderen Kultur als ihre ursprüngliche aufgewachsen sind und dadurch als bikulturell gelten können. Sie haben sich nicht einfach gemacht, indem sie aus Deutschland ausgewandert sind, und da ist der erste Punkt: Weil in Deutschland ziemlich schlecht mit der Erinnerungskultur steht, werden die Russlanddeutsche im Hinterbewußtsein, das heisst an der Grenze des Bewußten und Unbewußten, eines mittelstatistischen deutschen Bürgers mit den Krigsverweigerern sprich Deserteuren gleichgesetzt. Ein Schandefleck auf dem sauberen Mantel der deutschen Iustitia, dass die deutschen Deserteure, die einzigen konsequenten Verweigerer des Verbrecherregimes waren und dem Hitlerskrieg eindeutiges mutiges »Nein« gesagt hatten, offiziell bis heute nicht rehabilitiert sind! Hitler hat doch gesagt: »Ein Soldat kann sterben, ein Deserteur muß sterben« (ohne dabei eine Werbung für diesen politischen und menschlichen Schurken zu machen). Diese Scheinmoral lebt aber im Bewußtsein vieler Deutschen weiter. Und so laufen die Russlanddeutsche herum, ohne dabei rehabilitiert zu sein. In unserem Fall aber nicht von der deutschen Justiz sondern im Bewußtsein eines deutschen Bürgers: »Sie haben unsere Heimat verlassen, dann sollen sie in ihrer neuen Heimat auch bleiben!« - sagt er nicht ohne guter Portion Sarkasmus. Eine billige Logik. Der Mensch kann dort leben, wo er möchte und kann, und so lange die offizielle Version des Deutschseins auf dem Blut- und leider nicht auf dem Rechtsprinzip fußt, werden die Russlanddeutschen ihr Recht benutzen, in ihre historische Heimat zurückzukehren.
Ja sie haben in Russland ihre neue Heimat gefunden, die ihnen mit der Zeit auch teuer und lieb war, und hier ist nichts verwerfliches. Nur allzuoft habe ich bei den Wiedergekehrten eine Tendenz bemerkt, vor unseren Bundesgenossen geistig zu kapitulieren und anzufangen, ihre Heimat (Rußland, im Unterschied zu ihrer historischen Heimat oder dem Vaterland, wenn sie wollen, Deutschland) zu verleumden: »Die Russen, diese Dreckshunde, - sagen sie - sie haben unser Leben kaputt gemacht. Jetzt sind wir endlich, Gott sein Dank, in unsere alte Heimat zurückgehert«. Armselige Menschen. Mein Beileid. Wenn ich Deutschland liebe, heisst das noch lange nicht, dass ich Rußland verleumden und hassen muß.
Also, zu unseren Schafen. Über die Mutter und Kind werde ich so sagen. Sie können beiderlei sprechen, es kommt darauf an, in welcher kultureller und sprachlicher Umgebung sie sich gerade befinden (wegen der Platzmangel wird hier über historische Hintergründe nicht gesprochen). In Russland könnte die Mutter in den ländlichen Gegenden auf ihre Frage in deutscher Sprache von ihrem Kind durchaus eine Antwort auf Russisch bekommen. Es gab eben in Rußland, besonders seit den 1970er Jahren, genau gesagt nach dem letzten Vaterländischen Krieg, ein sehr starkter Trend unter den jungen Deutschen Russisch zu sprechen (bedingt durch die Sprach- und Kulturpolitik des sowjetischen Staates). Dadurch entstand diese Sprachsituation. Nun damalige Kinder sind jetzt Mütter und Väter geworden und in Deutschland angekemmoen, sprechen sie mit ihren Kindern Russisch. Das ist aber, sehr vereehrte bundesdeutsche FilisterInen, auch nicht schlimm. Die Menschen haben das Recht die Sprache zu sprechen, in der sie sich gerade wohlfühlen. Das bereichert nur unsere bunte (mit deutschen Dialekten und anderen europäischen Sprachen geschmückte) linguistische Umgebung. Wenn sie so wollen, das ist eine zusätzliche Art der Bewußtseinserweiterung, noch eine andere Sprache als Muttersprache zu beherrschen. Andersrum, diese Andersartigkeit der Rußlanddeutschen ist eine Bereicherung für für unsere Kulturlandschaft und dient unserer stärkeren Profilierung als »richtige« Deutsche. Es lebe das deutsche Weltbürgertum, es lebe die Toleranz und nicht zuletzt unser kulturelles Kunter-bund.
Mit lieben Grüßen
Andreas
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