»Seit Monaten berichten die Medien über die sich ausweitende «Yukos-Affäre" in Russland
und über den tiefen Sturz des Michail Chodorkowskij, früherer Yukos-Vorstandschef.
Viele Berichte suggerieren, Präsident
Wladimir Putin wolle ein erstes Exempel statuieren,
um die anschwellenden Machtansprüche der Oligarchen zu torpedieren.
Auch wenn diesem oberflächlichen Argument eine gewisse Logik nicht abzusprechen ist,
ist der Skandal um Yukos vielschichtiger
und offenbart verblüffende Vernetzungen mit dem internationalen Machtgeflecht,
wie sie in Nummer XXIV/10+11 beschrieben sind.
Der Blick hinter die Kulissen Yukos zeigt uns nicht nur einen dynamisch geführten Ölkonzern, der nach der Fusion mit der gleichfalls effizient geführten »Sibneft« über das weltweit größte Ölvorkommen eines privaten Konzerns verfügt und bis vor kurzem täglich 1,8 Mio. Barrel (159 Liter) Rohöl gefördert hat, also größter russischer Erdölexporteur geworden ist, sondern auch ein dichtes Beziehungsgeflecht mit den Mächtigen dieser Welt, die vielfach ausserhalb vertrauter Normen und ethischer Ansprüche zu operieren gewöhnt sind.
Michail Chodorkowskij (40) hätte eigentlich Chemiker werden sollen; doch das unerwartete Ende der Sowjetunion eröffnete ganz neue Perspektiven.
1995 war er mit von der Partie,
als sich die bankrotte Regierung von Boris Jelzin bei »reichen Geschäftsleuten« Geld borgte und gegen Anteile an den wertvollsten russischen Wirtschaftsunternehmen tauschte. Für knapp 200 Millionen Franken wurden Chodorkowskij in einem fragwürdigen Deal ganze 45% von Yukos überschrieben. Weshalb auch dieser als Finanzgenie geltende Aktivist der kommunistischen Jugendorganisation »Komsomol« zu diesen Auserwählten gehörte, blieb vorerst ein großes Rätsel. 1997 gründete er eine der ersten privaten Banken des Landes, die ihm umgehend ein weiteres Drittel an Yukos für wiederum 200 Millionen Franken verkaufte. Mit Charisma, Fleiss und frei von Skrupeln setzte er sich zum Ziel, Yukos zum modernsten und transparentesten Konzern Russlands, zum epochalen Musterunternehmen für das neue Russland zu formen. Der Merger mit dem kleineren Konkurrenzunternehmens Sibneft war Chodorkowskij's nächster Streich: Yukos-Sibneft wurde zur Nummer 4 im weltweiten Ölgeschäft;
im Herbst 2003 war Yukos 40 Mrd. Sfr wert, die Produktionskosten waren um 83% gesenkt, mit seinen Steuern wurden 5% des russischen Budgets bestritten. Chodorkowskij war nach wenigen Jahren mit einem Privatvermögen von 15 Milliarden Dollar reichster Russe. Ganz Russland sollte nach seinen Ideen umgestaltet werden.
Dann der Titanenkampf um Macht:
Chodorkowskij wusste die russischen Privatisierungen dank weiter Gesetzeslücken und vieler Grauzonen optimal zu nutzen und sich als bestimmender Herr über Yukos zu etablieren. Das allein hätte freilich nie und nimmer gereicht. Licht in die Finsternis um den steilen Aufstieg Chodorkowskij's brachte ein Artikel im »Handelsblatt« (3.11.2003) mit kleinem Kasten für die totale Brisanz:
"Bereits im Juli, damals liefen bereits Ermittlungen gegen Yukos, wurde spekuliert, es gebe eine Vereinbarung, nach der Lord Jacob Grünschirm Yukos-Anteile treuhänderisch übernehmen werde, sollte Yukos-Chef Chodorkowskij wegen der Betrugsvorwürfe ins Gefängnis gehen müssen.
Lord Jacob Grünschirm, Kopf des britischen Zweiges einer Bankiersfamilie, steht seit längerem in Kontakt Chodorkowskij. Er ist gemeinsam mit dem früheren US-Außenminister Henry Kissinger und Chodorkowskij, Mitbegründer der von Yukos finanzierten Open Russia Foundation, die wissenschaftliche und kulturelle Projekte fördert.
Kontinuität: Die Grünschirms waren bereits im zaristischen Russland im Ölgeschäft aktiv.
(Quelle: Handelsblatt, 03.2002)"
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