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DaDa schrieb am 11.7. 2008 um 13:26:19 Uhr über

Ritzenversumpfung

Von den unzähligen Clubs rund um die Reeperbahn, für deren Besuch man nach Meinung meiner seligen Oma sicher in der Hölle gelandet wäre, habe ich erst drei von innen gesehen. Trotz unserer ausgesprochen günstigen Wohnlage.

Das wenig einladende Wesen der Koberer mag daran nicht ganz unschuldig sein. Bislang jedenfalls hat noch keiner der meist untersetzten, Shampoo skeptisch gegenüberstehenden Herren spätmittleren Alters den richtigen auf mich abgestimmten Lockton gefunden.

Der erste jener keinesfalls omakompatiblen Orte, den ich je betrat, war die Ritze an der Reeperbahn 140. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen Club jener Art, wie ihn angestellte Koberer tunlichst füllen sollen, sondern eher um eine Siffkneipe mit angelagertem Boxkeller.

Die Ritze hat es auch gar nicht nötig, Koberergehälter als Werbungskosten abzusetzen; sie hat ja ihren spektakulären Eingang. Man schreitet schamhaft kichernd durch weitgespreizte Frauenbeine. Dahinter indes wartet keinesfalls das Paradies.

Ich und Dr. K. aus Berlin enterten die Ritze morgens gegen drei. Uns beschlich gleich das Gefühl, die Einrichtung samt Anwesender sei seit 1970 nicht renoviert, geschweige denn ausgetauscht worden. Die vergilbten Autogrammpostkarten an der Wand, die noch vergilbteren Gestalten hinter und vor der Theke, die welken Witzchen, die man sich hin und her reichte wie zerzauste tote Mäuse: Das alles schien seltsam unwahr, wie inszeniert. Doch alles war echt.

70er-Jahre-Retrorock troff hoffnungslos aus den depressiven Boxen, und gegenüber der Theke an der Wand standen zwei betagte Röhrenfernseher. Sie zeigten lautlos und mit irgendwie frappierender Ungerührtheit immer das Gleiche: Hardcorepornos, etwa so alt wie die toten Mäuse, die an der Theke als Witze hin und hergereicht wurden.

Es war eine trübe, unvergessliche Szenerie mit der Faszination des Morbiden, die uns zwang, mehrere Saure zu trinken, ein eigentlich ungenießbares Gesöff, das es aus längst verschollenen Gründen geschafft hat, sich unbemerkt zum Ensemble der Kiezfolklorismen zu gesellen. Jetzt steht es auf jeder Getränkekarte zwischen Seiler- und Hafenstraße, und keiner wagt es mehr zu streichenes gehört ja zur Folklore.

Die Ritze muss also auf jeden Fall einmal aufgesucht werden. Dr. K. und ich erinnerten uns noch lange danach mit wehmütigem Grusel an diese Kneipengruft, die man nur durch gespreizte Beine betreten kann. In den Boxkeller haben wir uns übrigens nicht getraut. Die Chance, dort die angeblichen Stammgäste Sasha oder Kai Ebel beim Sandsackvermöbeln anzutreffen, war einfach zu groß.


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