[sfv-rundmail] 20.02.2003 Agressionen gegen die Ökosteuer
Wer Versprechungen nicht einhält, zieht Enttäuschung, Zorn
und Agressionen auf sich; sein guter Ruf ist schnell
verdorben - und das ist richtig so! Ungerecht ist dies
allerdings dann, wenn es den Falschen trifft. So mag es
manchem Vater gehen, der sein jammerndes Baby mitleidig ans
Herz drückt und nur noch mehr Geschrei erntet, weil der
Kleine irrtümlich eine ergiebigere Brust erwartet hatte.
So wie es dem hungrigen Säugling mit der Vaterbrust ergeht,
ergeht es manchem Umweltfreund mit der 'Ökosteuer'. Doch
merken die Umweltfreunde meist nicht so schnell, dass sie
Mama und Papa verwechselt haben. Manche Umweltfreunde
glauben nämlich beharrlich, die 'Ökosteuer' solle die
konventionellen Energien verteuern, um mit den Einnahmen
'irgendwie' die Erneuerbaren Energien zu fördern;
doch das ist eine Fehleinschätzung, die zwangsläufig in
Enttäuschung enden muss. Die Erneuerbaren Energien sollen
gar kein Geld aus der 'Ökosteuer' erhalten. Diese
Umschichtung soll von einem anderen Förderprogramm
bewältigt werden - vom EEG, dem Gesetz für den Vorrang
Erneuerbarer Energien.
Sie glauben das nicht? Nun, dann lesen Sie einmal §1 des
EEG:
"Ziel dieses Gesetzes ist es, im Interesse des
Klima- und Umweltschutzes eine nachhaltige
Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen
und den Beitrag Erneuerbarer Energien an der
Stromversorgung deutlich zu erhöhen (...)"
Und unter §11, Absatz (4) EEG finden Sie sogar
die genaue Anleitung, wie die Mehrkosten für
die Erneuerbaren Energien auf alle Stromhändler
umgelegt werden.
Auf jeder Stromrechnung können Sie den Protest
der Elektrizitätsversorger gegen die angeblich
unsinnigen Strompreiserhöhungen durch das EEG
nachlesen.
Also - die ökologische Steuerreform (ÖSR) ist nicht
vorgesehen für die Förderung der Stromerzeugung aus Sonne-,
Wind-, Wasserkraft, Biomasse und Geothermie! Wenn es bei
Sonne und Biomasse noch etwas hapert, so liegt dies nicht
an der 'Ökosteuer', sondern an den zu geringen
Einspeisevergütungen im EEG, deren Verbesserung wir schon
lange fordern. Die Ökologische Steuerreform dafür zu
prügeln ist total ungerecht!
Die 'Ökosteuer' hat immer wieder unter Missverständnissen
wegen ihres unglücklichen Namens gelitten. Bei
'Einkommensteuer', 'Tabaksteuer', Hundesteuer' ist jedem
klar, was besteuert werden soll. Doch wie soll die
'Ökologie' besteuert werden, fragt sich der Umweltfreund
empört und kommt dann leicht auf die Idee, dass
wahrscheinlich das Gegenteil von Ökologie besteuert werden
soll; er denkt dann an eine Schadstoffsteuer, doch auch
damit liegt er falsch.
Was die 'Ökosteuer' wirklich will, ist aufgrund ihres
Namens nicht zu erraten. Wer käme schon darauf, dass hier
ein großes Reformwerk vorliegt, welches gleichzeitig die
Arbeitslosigkeit von den Wurzeln her beseitigen, zur
langfristigen Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme
beitragen, die hemmungslose Ausbeutung der Ressourcen
stoppen, die Verschwendung von Rohstoffen und das Anwachsen
der Müllberge bremsen soll. Eine erbitterte Gegnerschaft
aus den Kreisen der Neoliberalen ist der 'Ökosteuer'
deshalb gewiss, aber die mit Agressionen vermischte
Ablehnung aus dem Lager der Umweltfreunde ist unverdient
und geht weitgehend auf das Konto mangelhafter Information
und der verkorksten Namensgebung.
Umweltfreunde haben schon manches gute
Projekt durch verunglücktes Marketing
in Schwierigkeiten gebracht. Warum
müssen sie aber auch immer wieder ihre
Produkte mit möglichst abstoßenden
oder unverständlichen Namen belasten?
Wer möchte zum Beispiel in der
kalten Jahreszeit ein sogenantes
'Passivhaus' beziehen, das - so muss
er befürchten - passiv zusieht, wie er
jämmerlich friert, oder wer möchte
seinen VW-Diesel künftig mit 'PÖL'
betanken (igittigitt! - Mit PÖL ist
Pflanzenöl im Gegensatz zum Biodiesel
gemeint), und so mancher denkt beim
'EEG' eher an die Diagnose einer
Hirnkrankheit als an das erfolgreichste
Gesetz zur Markteinführung der
Erneuerbaren Energien.
Zurück also zu dem genialen Reformwerk mit dem unsinnigen
Namen 'Ökosteuer'! Am unglücklichen Namen können wir nun
nichts mehr ändern, doch können wir die abfällige Abkürzung
'Ökosteuer' wenigstens durch die seriösere Bezeichnung
'Ökologische Steuerreform (ÖSR)' ersetzen, oder von einer
'Steuerreform für Arbeit und Umwelt' sprechen.
Ich will Ihnen hier nun nicht alle Feinheiten der ÖSR
ausbreiten, sondern mich auf die Grundidee beschränken,
damit Sie selber erkennen können, ob Sinn und Verstand bei
der Verwendung der 'Ökosteuermittel' herrscht.
*** Das Problem
Aus historischen Gründen wird in den meisten
Industriestaaten die menschliche Erwerbsarbeit mit Abgaben
und Steuern belastet. Lohnsteuer/Einkommensteuer,
Sozialversicherung und Rentenversicherung belasten jeden
Arbeitnehmer und es ist für ihn in der heutigen Zeit kein
Trost mehr, dass sein Arbeitgeber einen Teil dieser
Ausgaben für ihn bezahlen muss, denn das verdirbt dessen
Bereitschaft, überhaupt noch Personal zu beschäftigen.
Beim Arbeitgeber kommt Verdruss auf, wenn er sieht, dass
er für seine Angestellten und Arbeiter mehr als doppelt
so viel bezahlen muss, wie diese letztlich als Nettolohn
zu ihrer Verfügung haben. Letztlich zahlt der Arbeitgeber
ja nicht nur den Lohn, sondern direkt und indirekt auch die
Steuern seiner Mitarbeiter und die gesamten Sozialabgaben.
Je mehr Personal ein Unternehmen beschäftigt, desto höher
ist seine Steuer- und Abgabenlast. Kein Wunder, dass
Unternehmer in Billiglohnländer ausweichen, oder dass sie
Produktionszweige stillegen, die viel Personal benötigen.
Unternehmensberater - inzwischen ein ganzer Berufstand -
verdienen gut Geld damit, alternative Produktionsverfahren
vorzuschlagen, die mit weniger Personalkosten höhere
Gewinne erzielen; die also Personal »freisetzen«.
Betrachten wir einmal solche alternativen
Produktionsverfahren: In der Regel zeichnen sie sich
durch einen hohen Grad an Automatisierung aus. Die
Produkte aus solchen Betrieben können wegen ihrer
Gleichartigkeit kaum Rücksicht auf individuelle Wünsche
der Käufer nehmen; es handelt sich um Massenware, die
wegen ihres extrem niedrigen Preises jeder handwerklich
hergestellten Ware im Konkurrenzkampf weit überlegen ist.
Es lohnt sich nicht einmal mehr, sie reparieren zu lassen.
Kein Wunder, dass die Müllberge wachsen und die Ressourcen
zur Neige gehen.
Und nun die entscheidende Frage - warum ist die Massenware
so billig?
Hören wir gut zu: Massenware ist deshalb so billig, weil
die Grundstoffe, aus denen sie gefertigt wird, so billig
sind. Und die Grundstoffe sind deshalb so extrem billig,
weil sie kostenlos der Erdoberfläche entnommen werden
können und mit Hilfe BILLIGER ENERGIE aufgearbeitet werden.
Kupfer- und Eisenerze, Kalkstein, Bauxit, Erdöl usw. werden
unter hohem Energieeinsatz zu Kupfer, Stahl, Zement,
Aluminium, Rohkunststoff usw. aufgearbeitet.
Paradebeispiel ist die Corus Aluminium GmbH; sie braucht
nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 10.08.02
mehr Strom als eine ganze Großstadt mit 350.000
Einwohnern. Und der Strompreis ist für diesen Großabnehmer
so skandalös niedrig, dass er streng geheim gehalten wird.
Kommen wir zu einem Zwischenergebnis: Die hohe steuerliche
Belastung der menschlichen Arbeitskraft einerseits und der
niedrige Preis für Energie andererseits sind Ursache für
mehrere sich gegenseitig noch verstärkende Probleme,
nämlich für die Arbeitslosigkeit, für das Elend der
sozialen Sicherungssysteme, für die Ressourcenvergeudung,
für die Müllberge.
*** Die Lösung
Nach diesem Zwischenergebnis ist die Folgerung, die die
Erfinder der Ökologischen Steuerreform gezogen haben,
eigentlich naheliegend:
Man befreie die menschliche Arbeitskraft in den unteren
und mittleren Einkommensgruppen von der Steuer- und
Abgabenlast und man bürde diese Last der Energie auf.
Für den Staat und für die Gesamtheit seiner Bürger sei
diese Lösung kostenneutral, heißt es meistens, doch das
kann leicht missverstanden werden, und außerdem glaubt
es keiner so richtig. Deswegen etwas genauer:
Die Höhe der Steuern, die dem Staat zufließen, bleibt
insgesamt gleich, aber sie wird von anderen gezahlt.
Die Kostenneutralität bezieht sich also nicht auf den
einzelnen Steuerzahler, sondern auf die Steuereinnahmen
des Staates.
Im Einzelfall gibt es natürlich Gewinner und Verlierer;
darüber sollten wir offen sprechen. Die VERLIERER
wissen sehr wohl, was für sie auf dem Spiel steht; und
entsprechend heftig ist ihre Gegenwehr. Bedauerlicherweise
wissen aber die GEWINNER nichts davon, dass sie zu den
Gewinnern zählen sollen, sondern beteiligen sich völlig
verbiestert und gegen ihre eigenen Interessen am
Widerstand gegen die ÖSR.
Deshalb: Wer werden denn nun die Gewinner sein?
Manche Entwicklungen kann man sich besser vorstellen, wenn
man einen Blick auf das Ziel wirft. Stellen Sie sich deshalb
wie in einer Vision das politische Fernziel der ÖSR vor:
Die Lohn-, bzw. Einkommensteuer fallen für die unteren und
mittleren Einkommensgruppen weitgehend weg und alle
Ausgaben für die Kranken- und Rentenversicherung werden vom
Staat übernommen. Ein Aufseufzen der Erleichterung würde
durch die Lande gehen, und ich wette, auch Sie wären
erleichtert.
Zur Zeit sind wir allerdings noch lange nicht
so weit. Es gibt nur eine Richtungsentscheidung
aber noch keine so weit gehenden konkreten
Festlegungen. Infolge der zögerlichen Einführung
der ÖSR können zur Zeit durch die Einnahmen aus
der ÖSR nur die Beiträge zur Rentenversicherung
entlastet werden und die Entlastungswirkung ist
zur Zeit auch noch geringer als der steigende
Finanzierungsbedarf infolge der zunehmenden
Überalterung der Bevölkerung. Die ersten
Ergebnisse der ÖSR haben deshalb den Anstieg
der Rentenbeiträge nicht rückgängig gemacht,
ihn nicht einmal verhindern können, sondern ihn
nur verlangsamt. Trotzdem zeigt das Ergebnis, dass
wir mit Trippelschritten auf dem richtigen Weg
sind. Ein Anfang ist gemacht.
Ein Jahrhundertwerk wie die ÖSR braucht halt
seine Zeit und viel Ausdauer und Zielstrebigkeit
bei der Umsetzung.
Aber nun zu den zukünftigen Gewinnern: Wer keine Lohn-
bzw. Einkommensteuer, keine Krankenkassen- und keine
Rentenbeiträge mehr zahlt, kann mit dem, was im
nächsten Absatz geschildert wird, gut fertig werden.
Stellen Sie sich vor, Energie würde durch Besteuerung
teurer; langsam aber gleichmäßig. Die
Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, das Heizen
und das Autofahren würden teurer. Doch auf lange
Sicht überwiegen die Vorteile: Der Wettbewerb wird nicht
mehr nur durch den Preis, sondern wieder durch die
Qualität der Waren entschieden. Die Haltbarkeit und die
Garantiezeiten würden sich verlängern. Es würde sich
wieder lohnen, Geräte mit kleinen Defekten zur
Reparatur zu bringen, anstatt sie auf den Müll zu werfen.
Es würden verbrauchssparende Autos und Maschinen nicht
nur entwickelt, sondern auch angeboten und es würden
sich mehr Menschen um eine gute Wärmedämmung ihrer
Wohnung kümmern.
Personalintensive Betriebe, der Mittelstand,
insbesondere das Handwerk, hätten den größten
Vorteil von dieser Regelung.
Die Zahl der Arbeitslosen würde zurückgehen und eines
der bedrückendsten innenpolitischen Probleme wäre
gelöst.
Und - sagen wir es geradeheraus - wer sind die
Verlierer? Wo ist die Kehrseite der Medaille?
Die Verlierer wären solche Konzerne der Großindustrie,
die sich nicht umstellen wollen, die weiterhin in
billige, unintelligente Massenproduktion investieren
wollen und es sich als Erfolg anrechnen, wenn sie
ihre Betriebe »verschlanken« und Personal
»freisetzen« können.
*** Das Schlusswort:
Nach diesem Überblick über Sinn und Zweck der ÖSR wird
Ihnen hoffentlich einleuchten, dass die Verwendung
der 'Ökosteuer'-Einnahmen zur steuerlichen Entlastung
der Arbeit keine Zweckentfremdung von "eigentlich für
die Ökologie bestimmten Mitteln" ist. Agressionen gegen
den vermuteten Missbrauch sind fehl am Platz. Die ÖSR
in ihrer derzeitigen Ausgestaltung verfolgt - wenn auch
nur sehr zaghaft - genau die Ziele, für die dieses
Reformwerk geschaffen wurde: Verminderung der
Arbeitslosigkeit, Stabilisierung der sozialen
Sicherungssysteme, Vermeidung von Müll, Schonung der
Ressourcen und damit der Umwelt.
Mit freundlichen Grüßen
Wolf von Fabeck
PS In eigener Sache:
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