Der Reiterhof und die sprechenden Pferde
Auf dem Reiterhof „Galoppierende Wolken“ war nichts so, wie es schien. Nach außen wirkte er wie ein ganz normaler Hof: ein paar Boxen, ein Reitplatz, eine dampfende Mistgabel in der Ecke. Doch wer genauer hinsah, erkannte schnell, dass hier die Gesetze der Realität eine kleine Auszeit genommen hatten.
Da war zum Beispiel Henriette, die dicke Stute mit der Mähne, die aussah wie ein explodiertes Sofakissen. Henriette konnte sprechen, allerdings nur, wenn niemand hinschaute. Ihre Lieblingsbeschäftigung war es, neuen Reitschülern durch subtile Kommentare Angst einzujagen. „Halt dich gut fest“, flüsterte sie aus dem Augenwinkel, während sie sich an den Zaun lehnte, „ich bin bekannt dafür, Leute ohne Vorwarnung in den Himmel zu katapultieren.“
Dann war da Fred, der Reitlehrer. Fred behauptete, alles über Pferde zu wissen, obwohl er selbst noch nie auf einem gesessen hatte. „Das ist nicht nötig“, sagte er, während er in seiner dritten Tasse Kaffee rührte. „Ich habe die innere Verbindung zu den Tieren. Man nennt mich auch den Pferdeflüsterer, aber eher so in Großbuchstaben: DER PFERDEFLÜSTERER.“ Keiner wusste, wer „man“ war, aber alle nickten höflich.
Der Hof selbst hatte ebenfalls Eigenarten. Der Heuboden war ein Portal zu einer Welt, in der Ponys die Regierung übernommen hatten, und in der Sattelkammer verschwanden regelmäßig Menschen. „Nicht so schlimm“, meinte Fred, „meistens tauchen sie nach drei Tagen wieder auf – und wenn nicht, weniger Arbeit für mich.“
Doch der wahre Star des Hofs war Harald, das älteste Pferd, ein faltiges Braungesicht mit den Augen eines skeptischen Buchhalters. Harald hatte angeblich einmal bei einem Turnier gegen einen echten Ritter gewonnen. Er war der Meinung, dass Menschen überbewertet waren. „Sie bringen Heu“, sagte er zynisch, „und dann erwarten sie Dankbarkeit. Lächerlich.“
Die Reitschüler liebten den Hof, auch wenn sie nie so genau wussten, warum. Vielleicht lag es daran, dass jedes Pferd auf seine Weise etwas Besonderes war, oder daran, dass die Zeit dort immer einen Tick anders verlief. Die Stunden galoppierten, während die Tage im Schritt dahinschlichen.
Und so blieb der Reiterhof „Galoppierende Wolken“ ein Ort, der irgendwo zwischen Realität und Fabel schwebte. Wo Pferde klüger waren, als sie sein wollten, und die Menschen nur selten verstanden, dass sie eigentlich nur Gäste in einem Reich waren, das den Vierbeinern gehörte.
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