Interview mit Jan Phillip Reemtsma über seine Gefühle im Verfahren, über Trauma und Ohnmacht, Religion und Tod
Die Zeit, vom 25.Jan.2001, Nr.5, S.12 ff
4444444444444
DZ: Sind Sie durch die Entführung von irgendetwas freier geworden?
JPR: Ich habe die Fähigkeit verloren, mich über bestimmte Dinge aufzuregen. Ich habe auch vor öffentlichen Auftritten und Lesungen kein Lampenfieber mehr. Was schlecht ist.
DZ: Können Sie die Entführung in Ihrem Lebenszusammenhang sinnvoll deuten? Oder ist sie nur Trauma geblieben?
JPR: So was hat keinen Sinn.
DZ: Es gibt Menschen, die mit einem Schicksalsschlag fertig werden, indem sie ihm einen Sinn verleihen.
JPR: Wenn so jemand jetzt hier säße, dann würde ich ihn fragen: Was meinen Sie mit Sinn? Wenn einer nach einem Unfall behindert ist, und er erfindet dann ein Gerät das die Behinderung kompensiert oder lindert, und auch anderen hilft dieses Gerät, dann hat er seiner Behinderung doch keinen Sinn gegeben. Allenfalls hat er aus dem Malheur das Beste gemacht. Ich habe viele Briefe gekriegt von Leuten, die mein Buch gelesen haben und schreiben: »Ich habe etwas erlebt, das sich mit ihren Erlebnissen trifft, in einer bestimmten Situation.« Manchem hat das Buch in irgendeiner Weise geholfen. So gesehen habe ich etwas Nützliches aus meinem Erlebnis gemacht. Aber es wäre eine völlig verdrehte Perspektive zu sagen: Ich habe dem einen Sinn gegeben.
DZ: Wie stark beherrscht die Erinnerung an die Entführung Sie noch immer?
JPR: Die Erinnerung ist natürlich immer noch da. Man kann es auch so beschreiben: Wenn Sie sich ein großes Möbel kaufen und es sich ins Zimmer stellen, dann SEHEN Sie es jeden Tag in den Wochen und Monaten nach der Anschaffung. Und irgendwann gehört es zur Einrichtung, und Sie gucken nicht mehr hin. Nur manchmal, und dann denken Sie: Was ist das für ein schöner Schrank, oder: Hätte ich ihn bloß nie gekauft. Sie müssen nur immer wissen, dass er da ist, weil Sie sonst dagegen rennen.
|