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Knobloch schrieb am 4.11. 2016 um 13:03:30 Uhr über

Ranicki

Jahrzehntelang schwang „Literaturpapst“ Marcel Reich-Ranicki seinen Krummstab über dem neudeutschen Bildungsbürgertum. Er tat sich auch als gestrenger Mahner zur ewigen deutschen Vergangenheitsbewältigung wegen Hitler hervor. Seinen Begriff von Pressefreiheit brachte er schon 1965 zum Ausdruck, als er durch Eingabe an den Präsidenten des Bundestages, den später über seinen Wiedergutmachungsskandal gestrauchelten Eugen Gerstenmaier, das Verbot derDeutschen National-Zeitungverlangte. Als es aber 1994 um die Bewältigung in seiner eigenen Sache ging, reagierte Reich-Ranicki aggressiv: „Warum sollte ich als Jude der deutschen Öffentlichkeit Rechenschaft schuldig sein?“[1] Im Sommer 1994 geriet Reich-Ranickis Tätigkeit unddunkle Epocheim kommunistischen Polen auf den öffentlichen Prüfstand. Seine Zusammenarbeit mit dem polnischen Geheimdienst verneinte er zunächst, bevor er sie doch zugeben mußte; er bestritt jedoch, „Chefagent“ gewesen zu sein. Er habe in London zu 80 bis 90 % normale konsularische Aufgaben erfüllt, aber auch über die Aktivitäten der exilpolnischen politischen Organisationen berichtet, teilte er mit. Aus seiner bekanntgewordenen rotpolnischen Geheimdienstakte geht hervor, daß er drei Orden als Offizier von Warschaus Gestapo erhalten hatte und 1945 auch Führer einer „Operationsgruppe“ in Kattowitz/Oberschlesien gewesen war. Im kommunistischen Polen hatte Reich-Ranicki nicht nur überStalins geniale Wortegeschrieben und, ganz im Sinne der Ostpropaganda, das meiste an der bundesdeutschen Literatur als hitleristisch verdammt hatte, sondern auch Geheimdiensthauptmann war und als Vizechef eines Dezernats im Warschauer Sicherheitsministerium dem stalinistischen Regime gedient hatte. Kritische Fragen über seine Verstrickung in den rotpolnischen Terror wurden abgeblockt. Nicht zuletzt solidarisierte sich dasAuschwitz-Komiteemit ihm, das seine Kritiker in Antisemitismus-Nähe rückte, die daraufhin eingeschüchtert schwiegen. Der „Literaturpapst“ konnte sein Pontifikat bald darauf ungestört fortsetzen.[1] Für seine schwierige politische Biographie fand er überwiegend Verständnis.[11]


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