Als ich heute morgen von meinem Hotel Nähe Paulskirche flirrig vor Schlaflosigkeit und der Chemie des vergangenen Abends auf den Römer ging, diesem unsäglichen Faller-Modellbausatz in 100:1, dachte ich zuerst, da wird ein Film gedreht: Aberdutzende von Chinesen, viele in uniformen grünen T-Shirts, manche gar mit Spruchbändern, hinter denen sie sich aufbauten als wäre es der Tian an men zur Zeit des ersten Mai, waren über den ganzen Platz verteilt und fotografierten sich gegenseitig in immer neuen Ensembles und Stellungen. Die Schirn hatte noch geschlossen, und so gönnte ich mir diesen Luxus, eine nicht allzu vertraute Stadt mit den Augen der Fremden zu sehen, folgte mit dem Blick den von Chinesenkameras herausfokussierten Bembeln und Wirtshausschildern, versuchte Geranienkästen schön rot zu finden (hao hong), schaute ihnen beim Postkartenaussuchen über die Schulter und versuchte (erfolgreich, nicht zuletzt aufgrund der Vorschädigungen der vorherigen Nacht) überhaupt eine Leere des Geistes walten zu lassen, die mir den Römer zurückverwandeln sollte in ein repräsentatives Bauensemble deutscher Tradition, ein eingefrorenes Stück Zeit in einer Stadt des glas– und stahlgewordenen Kapitals. Es wäre mir auch fast gelungen, da weckte mich das Gezeter eines Binding-Bierwirtes aus meiner affirmativen Milde. Irgendwas an seinem Mobiltelefon funktionierte nicht, und so stand er, der eigentlich seine Bindingbierbänke hatte schrubben wollen, vor seiner unerträglich gemütlich wirkenden Kneipe und keifte sein Nokia untertitelverdächtig auf hessisch an. Dieser audiovisuelle Mißklang führte mir erst wieder die ganze Häßlichkeit des Ortes vor Augen, auf die Keltenausstellung in der Schirn hatte ich eigentlich auch keine Lust mehr, irgendwelche blöden Schmuckfibeln zusammen mit neunmalklugen Gymnasialarchäologen und runentätowierten Neoheiden anzustarren, bloß nicht, und so beschloß ich, meinen schweren Schritt in die Golden-Gate-Sauna zu lenken, die mir als Ort mannigfaltiger Divertissementchen noch vom letzten Besuch in guter Erinnerung war. Die hatte aber bis Mittag geschlossen, und auf einmal widerstrebte mir der Gedanke, auch nur eine Minute länger in dieser sonderbar schizophrenen Stadt herumzuirren derartig, daß ich ICE-Shuttle Shuttle sein ließ, und mich vier Stunden vor der Zeit über die gemütliche alte Rheinstrecke zurück nach Düsseldorf fahren ließ, einem Ort, an dem es wenigstens keine fotografierenswerten Stadtensembles, weniger Erinnerungsmumien und auch eine schöne Sauna gibt.
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