Als ich Konrads Leichnam am zweiten Tag nach seiner Aufbahrung in der Apostelkapelle besuchte, hatte ich eigentlich vorgehabt, wie schon am Vortag nochmal ein Großmaß an körperlicher Nähe und stiller Betrachtung im schmerzhaft widerstreitenden, doch letztlich erfüllenden Wechsel zu nehmen und zu geben; es hatte mich ohnehin überrascht, als ich mit etwas verheulten Augen aus der Kapelle kam, daß mir der Beerdigungsunternehmer angeboten hatte, Konrad auch am nächsten Tag noch einmal zu sehen. Sicher, das hatte ich an jenem Tag danach gar nicht bedacht: Die Kapelle war für die ganze Zeit zwischen Aufbahrung und Beisetzung gemietet, so daß eine ganze Prozession Abschied von ihm hätte nehmen können. Außer mir ist keiner gekommen. Ich sage das nicht als Vorwurf, die Leute haben das Problem mit ihren unabgeschlossenen Abschieden, nicht ich. Jedenfalls war mir bei meinem zweiten Besuch, als ich ganz Don Gesualdo vom Fürsten Abschied nehmen wollte, der Leichenwäscher vorausgeeilt, da er mich schon in den Vortagen überflüssig deutlich darauf hingewiesen hatte, daß es manchmal bei Toten 'über Nacht' gewisse Veränderungen gäbe... Als ich ein paar Minuten später hineingelassen wurde, sah er noch so würdig aus, wie ich ihn am Vortag zurückgelassen hatte. Das linke Ohr hatte schon zuvor eine etwas ungute Farbe gehabt, aber ansonsten? Proper. Aber irgendetwas lag im wahrsten Sinne in der Luft, das mir zwar nicht den Atem, aber die Konzentration raubte und mich kurz darauf mit den sachlich vorgebrachten Worten »Ich muß jetzt los. Mach's gut. Wir sehen uns.« wieder an die Luft schickte. Dabei war es, anders als die Stichwortüberschrift vermuten lässt, ein angenehmer, fast heimelig zu nennender Geruch, ähnlich dem von an einer Kerze verbrannten Tannenzweigen, eine Marotte, die ausgerechnet mein lieber Konrad bei allem sonstigen Sicherheitsdenken stets gehabt hatte: Zu Weihnachten wurde gekokelt. Man hätte auch an eins dieser Raumluftsprays mit Tannenduft denken können, nach deren Verwendung im Sanitärbereich es immer riecht, als hätte jemand in den Wald geschissen, doch dieses so vertraute Odeur, das am Vortage noch nicht den Raum durchweht hatte, weckte im Gegenzug den Gedanken an jenen Geruch, den zu übertönen es vermutlich ausgebracht worden war. Ich hätte gut damit leben können, wenn mein armer Lazarus schon ein wenig gemüffelt hätte, so ein Fleischerhaushalt wie unserer hat schon manches getragen. Aber ihn eingenebelt zu sehen in einem Geruch, der nicht wesentlich von jenem geschieden war von dem, in dessen Dünstungen vor mehr als 18 Jahren alles begann, dem Geruch von Duftsteinen nämlich, das drohte mir einfach das Herz zu brechen.
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