In meinem früheren Leben war ich eine Räuberin, zeitweise sogar die Anführerin einer Bande von Räuber-Frauen. Heute würden wir es eher als Selbsthilfegruppe junger Frauen bezeichnen.
Ich träume immer wieder einzelne Episoden, die sich fast lückenlos zum Lebenslauf einer jungen Frau der Frühen Neuzeit (um 1600) zusammen fügen. Vergewaltigt, als Hexe denunziert, von Leidensgenossinnen aus dem Kerker befreit und in eine Räuberbande aufgenommen.
Im Urlaub im Harz besichtigte ich mit meiner Familie eine kleine Höhle, die im Volksmund Räuberhöhle genannt wurde. Hier war ich zu Hause, durchzuckte es mich. Ich erkannte alle Einzelheiten aus meinen Träumen wieder. Am Eingang hatten wir Löcher in den Fels geschlagen, um unsere Höhle mit Baumstämmen bei Gefahr zu verbarrikadieren. In der Decke gab es eine Art Kamin, durch den die Dämpfe von unserem Feuer abgezogen sind. Tagsüber haben wir mit Holzkohle geheizt, damit es keinen verräterischen Qualm gibt. Selbst die Vorratsnische für die Kohle mit Resten davon war vorhanden. Am hinteren Ende gibt es einen schmalen Felsspalt. Unser Notausgang, durch den nur wir Frauen gerade hindurch passten. Es besteht kein Zweifel, es war meine langjährige Heimat in meinem früheren Leben.
Sicher mussten wir rauben, um insbesondere die strengen Winter zu überleben. Unser Ziel war es jedoch, wieder in ein normales Leben zurück zu kehren. Vorher versuchten wir jedoch, möglichst viele Frauen und Mädchen aus ihren misslichen Lagen zu befreien. Wir hatten eine große Anzahl von Freunden und Vertrauten, die uns so gut es ging unterstützten. Kleine Bauern, Müller, einige Pfarrer (die nicht an Hexerei glaubten), befreundete Banden männlicher Räuber und nicht zuletzt eine große Anzahl Frauen, die mit gegenseitiger Hilfe zu einem neuen Leben gefunden haben.
Auch wir brauchten zu unserem Dasein hin und wieder einen Mann. Es ergaben sich manche Gelegenheiten. Der Knecht auf einem befreundeten Bauernhof, der Kutscher eines überfallenen Edelmanns und manchmal auch ein Pfarrer. Dabei ließ es sich nicht ganz vermeiden, dass manches Mädel aus unseren Reihen schwanger wurde. Es ist uns immer gelungen, sie samt Kind im Freundeskreis unter zu bringen.
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